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Die Ratten

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Es tritt der seltene Fall ein, daß der, Film beim Griff nach einem klassischen Werk der naturalistischen Bühnenliteratur durch bedeutende Veränderungen nicht Sakrileg begeht, sondern das hoch gewertete Original unverkennbar noch vertieft und bereichert.

Gerhart Hauptmanns „Die Ratten“ stellt, wie ganze Teile des Naturalismus, weniger eine Kritik bestehender Zustande und schon gar nicht eine dynamische Lösung als vielmehr eine wohl anteilnehmende und mitleidende, letztlich aber doch passive Bestandsaufnahme neuer soziologisch-literarischer Inhalte dar: das graue, geschundene, hoffnungslose Leben der kleinen Leute. Auch der unselige Kindertausch, den die verlassene Pauline mit der kinderlosen Frau John inszeniert, an sich das Drama einer sehr dynamischen, explosiven Mutterliebe, ist von trostlosen Kulissen und Gestalten verstellt: Strolchen und frühreifen Gören, heiseren Tingeltangelsängerinnen und-abgerutschten Hamlets. Indem der Film durch die stark optimistische Retusche an der Gestalt des Karl John, die sich besonders in dem versöhnlichen Schluß ausdrückt, der. naturalistischen Willenslähmung das Resignierende nimmt, wird er zeitnaher und zugleich zeitlos gültiger. Freilich hebt er dabei das düstere Symbol des Dramentitels (die Ratten, die an den morichen Balken und Kommoden der bürgerlichen Gesellschaft nagen) fast aus den Angeln und schleift es nur so nebenbei mit: dem Durchschnittspublikum des Kinos ohne Zweifel nicht mehr verständlich. Es wäre noch ein Schritt weiter zu gehen — und auch dieser literarische Ballast, heute längst nicht mehr gültig, abzuwerfen gewesen.

In die Verlassenheit Paulines wie in andere Schicksale des Films geistert aber noch etwas, was Gerhart Hauptmanns düsterste MaJerei nicht ahnen konnte: der Riß durch Deutschland, der Ost-West-Damm, der quer durch alle Menschenschicksale schneidet. Ist es dem deutschen Film zu verdenken, daß er dieses Gegenwartsdrama schlechthin der Hauptinannschen Mitleidenstragödie einfügt? Die Art, wie es hier geschieht, rechtfertigt das Drehbuchwagnis Jochen Huths.

Robert Siodmak, eine ungewöhnliche Potenz des deutschen Films aus früher Jannings- und“ George-Zeit, hat nach langer Trennung heimgefunden. Er schenkte damit dem deutschen Film eine Leistung, die alle Nachkriegshemmungen abstreift und an seine ehrenvollste Vergangenheit erinnert: eine atembeklemmende, dichte, souveräne Führung der Handlung und der Akteure, wie wir sie nach dem Kriege kaum noch im deutschen Film sahen: Maria Schell (Pauline), ein Elementarereignis: Heidemarie Hatheyer, Curd Jürgens, Gustav “Rnuth in weiteren Hauptrollen und' eine Handvoll präzise gesetzter Episödenfiguren — alles aus einem Guß. Kamera, Schnitt und Musik haben nicht unwesentlichen Anteil daran. Ein großer, erschütternder Film.

Härter noch und auswegloser, weil von programmatischer Sinnlosigkeit alles Tuns und Seins überschattet, greift das Schicksal, in dem französischen Film nach Sartres „Die schmutzigen Hände“, nach dem Idealkommuhisten Hugo, der den linienuntreuen Realpolitiker Hoederer liquidieren soll, aber auf grausam verschlungenen Umwegen selbst unter die Räder kommt. Unter Sartres raffinierten Händen kommt die ganze saubere Dramaturgie zweier Jahrhunderte ins Wanken: zweimal schlägt das Drama um, einmal, als Hugo nicht kann und will und dann aus purer Eifersucht die Kugel abläßt, und dann, als er, aus dem Kerker kommend, erfahren muß, daß sich die Windfahne der Partei wieder gedreht hat und auf die Hoederer-Linie zurückgeschwenkt ist, Da erklärt er sich und die ganze Welt bankrott und stellt sich den Liquidierenden mit den Worten, die wie Hammerschläge fallen: „Nicht mehr verwendungsfähig l“ Trotz dieser Doppelgipfligkeit: nirgends ein Bruch, nirgends ein Riß. Die Dialoge, von Sartre selbst aufs äußerste zugespitzt, schnellen noch in der deutschen Ueber-setzung wie giftige Pfeile ab, unfehlbar treffend, unweigerlich, tötend. Und Rollen! Hoederers fast animalische Bonhomie und Hugos dunkel flackernde Besessenheit haben in Pierre Brasseur und Daniel Gelin eine geradezu unheimliche, infernalische Inkarnation gefunden. Dazu das Weibchen Jessica (von des Sexualexistenzialisten Wedekind Gnaden) Monique Arturs und die eiskalte, parteitreue Olga der Claude Nollier: stilvolle“ Episoden. Regie Fernand Rivers; unter Mitarbeit von Simone Berriau. — Daß sich eine Partei davon betroffen fühlt, ist nicht nötig. Es wäre aber auch schlimm, wenn alle damit richtig porträtiert worden wären. Es lohnte sich dann nicht einmal mehr, so großartige Stücke für die Welt zu schreiben; sie wäre als Ganzes nicht verwendungsfähig.

Weit, weit- sind wir schon von 1945 entfernt, wenn wir heute mit dem todernsten Problem der schmerzlichen Verkennungen der Besiegten durch die Sieger und ihren vergeblichen Erziehungskünsten, schon lust-spielen können! Nicht alles gelang dem deutschen Film „Der Major und die Stiere“: aber das obige gelang ihm; stellenweise sogar befreiend ... Große Rollen für Attila Hörbiger und Fritz Tillmann.

Dagegen will und will die deutsche „Cavalcade“ nicht restlos gelingen. „Die B a r r i n g s“ waren wieder einmal nahe daran (näher als dem von der Reklame zitierten Vorbild „Vom Winde verweht“!). Man müßte sich aber über die gute, alte Zeit geistig souverän erheben können. Und das kann man nicht im deutschen Film.

Jacques Tati darf so etwas wie eine französische Chaplin-Nachfolge beanspruchen, nicht nur, wie in dem Film „Die Ferien des Herrn Uelo“ exerziert wird, wegen der idealen Personalunion von Dichter, Regisseur und Darsteller, sondern auch wegen der Verliebtheit in die heiter-sentimentale Idylle des Kleinen, Nebensächlichen. Es geriet ein liebenswürdiger Film, ohne den murrenden, grollenden Unterton, den Chaplig-Filme auch beim Märchenerzählen nicht ganz unterdrücken konnten.

„Die Försterbuben“ versetzt Rosegger iri unsere Zeit. Kein Wunder, daß nur die Berge echt gerieten. Sie haben sich nicht geändert.

F i I m s c h a u (Gutachten der Katholischen Filmkommission für Oesterreich): III (Für Erwachsene und reifere Jugend): „Die Barrings“ — IV (Für Erwachsene): „Ein Mann liebt gefährlich“, „Geknechtet“ — IVa (Für Erwachsene mit Vorbehalt): „Die Försterbuben“ — IV b (Für Erwachsene mit ernstem Vorbehalt): „Rebellion der Gehenkten“. .

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