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Innsbrucker Kulturleben

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Das einst so böse, abschätzige Wort „Provinz“ gilt jedenfalls nicht mehr für das rege geistige und künstlerische Leben in der Hauptstadt Tirols. Das Landestheater unter der Intendanz von Paul Schmid hat in seiner Programmgestaltung Anteil an der Weltliteratur und damit an der künstlerischen und weltanschaulichen Problematik unserer Tage.

Zwei in ihrer Eigenart sehr betonte Schriftsteller, A n o u i 1 h, heute wohl der beliebteste md meistgespielte Bühnenautor Frankreyhs, bekannt auch als der geniale Schöpfer des St.-Vincent-Films, und der Engländer Cto-n i n, uns mehr als Romanschriftsteller vertraut, nehmen zu einer Grundfrage unserer Existenz auf verschiedenen Ebenen Stellung: „Wie werden wir fertig mit dem Leben und den abstoßenden Erscheinungen der Wirklichkeit, wie finden wir aus dem Chaos, in das unsere Generation durch das tragische Gegenwartserleben gestürzt wurde, da alle großen ethischen und geistigen abendländischen Traditionen verschüttet scheinen?“

Anouilhs „Antigone“, welche in Paris während der deutschen Besetzung erstaufgeführt wurde, hat mit der Dichtung des

Sophokles nur den Namen und die äußere Handlung gemein. Antigone ist die Trägerin moderner Seelenkonflikte in der Analyse jüngster Psychologie, wenn sie mit „dem kleinen Leben“ und seinen niedrigen, häßlichen Seiten sich nicht abfinden kann. Sie will sterben, obgleich ihr Onkel Kreon, der Vertreter einer wirklichkeitsnahen Anschauung, welche sich (frei nach Goethe) nicht scheut, handelnd schuldig zu werden, sie zu retten versucht. In Antigone steigt wie aus einem

Meer des Unbewußten, plötzlich — in der Schilderung solcher vernichtenden psychischen Durchbrüche ist Anouilh Meister — der Lebensekel auf, der sie, trotz ihrer kindlichen Angst vor dem Tode, in seine Arme treibt.

Die modern-psychologische Deutung des antiken Stoffes durch Anouilh fand im Innsbrucker Landestheater eine kongeniale Darstellung, in erster Linie durch die Antigone Tony van Eycks. Das vortreffliche Ensemble wußte dem Publikum die Größe der Problematik und die dichterische Schönheit Anouilhs nahezubringen, auch wo der Zuschauer dem Dichter gedanklich aus anderer Anschauung heraus nicht folgen konnte oder wollte.

Auf die ehristlicn-ethischc Ebene führt Cronins Stück .Sperlinge in Gottes Hand“ durch die Erlösung eines Arztes aus der Vereisung seiner materialistisch-naturwissenschaftlichen Weltanschauung. In dem Inferno eines englischen Provinzsanatoriums, wo alle gegen alle stehen, leuchtet nur das milde Licht menschlicher Güte eines alten, vom Leben enttäuschten Arztes und strahlt zuletzt sieghaft die christliche Nächstenliebe eines jungen Mädchens, das sein Leben der Mission weihen will. Ohne Sentimentalität, ohne Kitsch wird mit außerordentlicher Delikatesse durch Dichter und Darsteller das Wunder der Wandlung von Egoismus zu praktischer Nächstenliebe glaubhaft gemacht. Die Aufführung war eine vollendete, feinst abgestimmte Ensembleleistung mit hervorragenden Schauspielern welche die behutsame, eindringliche Regie Otto Bürgers mit gleicher Betonung der brutalen wie der lyrischen Partien der Dichtung immer mit sicherem Takt auf einander abstimmte.

Die österreichische Kulturwoche in Innsbruck Das tiefste Theatererlebnis der Festwoche bot wohl die fein abgeschliffene Inszenierung von Grill parzers „Bruderzwist in Habsburg“. Der große österreichische Dichter hat lange.mit der Veröffentlichung dieses seines gedanklich bedeutendsten und dichterisch schönsten Dramas gezögert. Vielleicht entsetzte ihn selbst das mit unheimlicher Ahnungskraft geschaute Bild der Zukunft des nivellierten und nivellierenden Massenzeitalters mit seinen Schrecken für eine Persönlichkeit vom Schnitte Grillparzers. Manche Stellen der Dichtung hören sich wie Prophezeiungen eines Visionärs an, der ferner und tiefer zu schauen verstand als seine Zeitgenossen. Der auf die Tat verzichtende Rudolf II., der Mahner im Streite der hadernden Parteien, der sich selbst geistig auf den Höhen des alten christlich-abendländischen Ordnungsdenkens als Kaiser bewegt, von dem sich seine Gegenwart im religiösen und politischen Widerstreit unaufhaltsam abwendet, ist der ideale Vertreter jener dementia Austriaca als Regierungsdoktrin, die auch auf den österreichischen Volkscharakter durch Erziehung von der Dynastie her gewirkt hat, wie auf den preußischen das Erziehungswerk der preußischen Könige zu Pflicht und Gehorsam. Es steckt eine tiefe Erkenntnis der tragischen Vergeblichkeit menschlichen Handelns in Grillparzers Auffassung des Matthias, der beim Anblick der so heiß ersehnten Krone, für deren Erringung er sich in Schuld stürzte, ebenso den Tod ersehnt wie sein inaktiver Bruder angesichts menschlicher Niedrigkeit und Gemeinheit. Fast wäre man versucht zu sagen, daß sich hier ein weiter Bogen des Erlebens von Anouilh zu Grillparzer spannt. Das gute Wollen Rudolfs scheitert an Indolenz (Erzherzog Maximilian), Fanatismus (der spätere Ferdinand IL), unbesonnenem jugendlichem Überschwang (Erzherzog Leopold), persönlichem Ehrgeiz und Wichtigmacherei ohne persönliches Niveau (Matthias) und an der nationalen Unduldsamkeit der böhmischen Stände, die alle für die hohen universalistischen abendländischen Werte, welche Rudolf als großer Einsamer vertritt, kein Verständnis mehr haben. Meinen wir da nicht Töne von gestern und heute zu hören?

Das Landestheater konnte die Aufführung wagen, weil es einen überragenden Rudolf II. in Otto Burger besitzt. Ohne falsches Pathos, immer diskret in seinen Mitteln, weiß dieser Schauspieler mit unerhörter Eindringlichkeit, ohne je den Stil zu verletzen, auch die pathologischen Seiten im Charakter dieses seltsamen Habsburgers anschaulich zu machen. Das übrige Ensemble begleitete vortrefflich in den Hauptpartien.

Als zweites Drama ging von Josef Wentel „Die schöne Welserin“ in Szene Tiroler Lokalpatriotismus — es fehlte nicht in der Dichtung das Ambras verherrlichende Schlußbild — die Südtiroler Herkunft des Dichters, eine im ganzen gelungene Aufführung sicherten Wenters Dichtung den Erfolg auf der Bühne, trotz aller Schwächen des Schauspiels. Der Dichter weicht echter Dramatik aus, er verniedlicht die historische Problematik der Ehe der schönen und reichen Augsburger Bürgerstochter mit einem österreichischen Erzherzog wie in einem Gartenlaube-Roman. Hübsche Szenen und Bilder — ja, aber das mangelnde Relief hätte Wenter leicht durch größere Nähe an der historischen Wirklichkeit erreichen können, ohne in die Darstellungsweise der Genre- und Historienbilder von 1880 zu verfallen. Übrigens verweilt auch der repräsentative österreichische Film gerne in der Atmosphäre des Jahrhundertendes, als ob in der Welt inzwischen nichts geschehen wäre. Der Erzherzog räsoniert wie ein Bürgerssohn von Anno dazumal. Er war auch nicht bloß ein feuriger Liebhaber, tapferer Soldat und guter Jäger und Genießer, er war nebenbei auch einer der kunstsinnigsten Fürsten seiner Zeit, dem wir die Ambraser Sammlungen verdanken. Gewisse Schlacken der dreißiger Jahre, wie der Satz, daß „Österreichs Stände darauf stolz seien, für das Reich zu bluten“, seien nicht angekreidet. Weniger leicht ist die Verzeichnung des „spanischen“ (in Wirklichkeit aber in seiner Wesensart mehr burgundischen) Karl V. als „bösen“ Verwandten und die Kontrastierung mit dem „gutmütigen“, „deutschen“ Ferdinand I. hinzunehmen. Hier wird das Körnchen Wahrheit übertrieben. Aber schließlich hat Wenter sein Stück nicht als Historiker geschrieben. Dank seiner leichten Zugänglichkeit für jedermann und dank der vortrefflichen Inszenierung und Darstellung wurde der Theaterabend ein voller Erfolg.

Die Oper war in der Innsbrucker Kulturwoche vertreten durch Mozarts Zauberflöte in einer befriedigenden Aufführung und durch Beethovens „Fidelio“ mit Hilde Konetz n i und Julius P a t z a k von der Wiener Oper.

Der „Zigeunerbaron“ von Johann S t r a u B und Lehars „Schön ist die Welt“ schlössen den Reigen. Die hübsche Inszenierung des bereits länger auf dem Spielplan stehenden „Zigeunerbarons“ rechtfertigte die Aufnahme in die Darbietungen der Festwoche. Lehars Operette erfuhr eine ohne Übertreibung blendende Wiedergabe. Daß das Duo Greta R u n a - Rudolf Reimer allein den überaus anstrengenden zweiten Akt glücklich bestand, darf als Zeichen großen Könnens gewertet werden. Ein äußerst gewandtes, operettensicheres Ensemble, ein reizendes Ballett, geschmackvolle Ausstattung ein herrliches Bühnenbild (Paul Gorn) ließen diesen Abend der leichten Muse zu einem theatralischen Ereignis werden.

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