6788329-1970_23_13.jpg
Digital In Arbeit

Ein Schauspielfestival

19451960198020002020

Neben bedeutenden musikalischen Ereignissen rückt bei den heurigen Wiener Festwochen erstmals das Schauspiel ins Zentrum der Veranstaltungen. Zu den Eigenproduktionen kommen zahlreiche Gastspiele ausländischer Truppen, die einen internationalen Überblick über wesentliche Aufführungen zwischen New York und Tokio, Stockholm und Tunis zu bieten versprechen. Die Einrichtung einer Rundbühne „Arena 70“ im Museum des 20. Jahrhunderts für Stücke und Darbietungen mehr experimenteller Art ist sehr zu begrüßen. Daß sich unter dem Gebotenen auch Uraufführungen und eine deutschsprachige Erstaufführung befinden, hat vor allem für die Auslandswirkung des Wiener Theaters Bedeutung.

19451960198020002020

Neben bedeutenden musikalischen Ereignissen rückt bei den heurigen Wiener Festwochen erstmals das Schauspiel ins Zentrum der Veranstaltungen. Zu den Eigenproduktionen kommen zahlreiche Gastspiele ausländischer Truppen, die einen internationalen Überblick über wesentliche Aufführungen zwischen New York und Tokio, Stockholm und Tunis zu bieten versprechen. Die Einrichtung einer Rundbühne „Arena 70“ im Museum des 20. Jahrhunderts für Stücke und Darbietungen mehr experimenteller Art ist sehr zu begrüßen. Daß sich unter dem Gebotenen auch Uraufführungen und eine deutschsprachige Erstaufführung befinden, hat vor allem für die Auslandswirkung des Wiener Theaters Bedeutung.

Werbung
Werbung
Werbung

Der 42jährige Mexikaner Carlos Fuentes, von dem fünf Romane und zwei Erzählbände in vielen Ländern Erfolge brachten, ist im deutschsprachigen Raum noch wenig bekannt. Sein ersten Theaterstück „he borgne est roi (Der Einäugige ist König) wurde zu Beginn der Festwochen in französischer Sprache im Theater an der Wien uraufgeführt. Es erweist sich als ein Kompositum mannigfacher Anleihen, so durch das völlige Abgeschnittensein zweier Menschen von der Umwelt in einem verfallenen Haus wie bei Beckett, bei Sartre, ja, auch bei der Sagan. Es sind dies Herrin und Diener, Donata und Duc. In ihrem sadomasochistischen Zueinander ersteht nun die Situation von Strindbergs ,,Fräulein Julie“. Doch sind beide blind, wobei sie ihn, er sie für sehend hält. Die Blindheit mag begründen, daß sie sich in der bis zum Schluß gleichbleibenden Situation überquellenden Phantasievorstellungen ergeben, in denen sie ständig wechselnde Positionen einnehmen, Traum und Wirklichkeit, Vergangenheit und Gegenwart greifen ineinander. Wirkt das alles, trotz des Blindheitsmotivs, wenig originär, so ist das kennzeichnend Eigene an Fuentes das Verbale, die wie ein Urwald hypertroph wuchernde Bildsprache, das vehement hemmungslos Poetische, wobei Poesie durch Poesie erschlagen wird. Fuentes ergibt sich merkbar mit Wonne diesem Seelenmuff aus der Herrschafts- und Dienerzeit und ihren Perversionen. Knapp vor Schluß des Stücks läßt er Duc völlig grundlos von Guerillas erschießen. Das Bild Che Guevaras erscheint riesengroß auf dem Vorhang. Und doch hat dies einen Grund: So gelingt es Fuentes, sich als Revolutionär zu etablieren, der den Bourgeois Fuentes liquidiert.

Der Argentinier Jorge havelli bot als Regisseur in den modrig wirkenden Bühnenbildern des Italieners Augusto Pace eine stimmiungsdichte Aufführung. Die französische Schauspielerin spanischer Abstammung Maria Casares gab der Donata die Vehemenz ihrer starken Persönlichkeit, Samt Frey, Franzose polnischer Abkunft, war ein Duc von federnder Kraft. Die Bilderfülle des Autors verführte zu Pathos.

Das Abbey Theatre, Dublin, dem vor allem in den ersten Jahrzehnten unseres Jahrhunderts große Bedeutung zukam, führte im Theater an der Wien das Schauspiel „The Hostage“ (Die Geisel) von Brendan Behan vor, der 1954 im Alter von 41 Jahren der Trunksucht erlegen war. Was er geschrieben hatte, wurde freilich erst durch Joan Littlewood, die Leiterin des berühmten Londoner Workshop Theatre, zu einem wirkungsvollen Stück, Behan kam meistens nur mit ein paar Blättern Text zur Probe.

Die Szenen spielen in einem Bordell niederster Sorte, das den Leuten der unterirdischen Freiheitsarmee als Stützpunkt dient. Ein gefangener englischer Soldat soll als Geisel erschossen werden, falls die Engländer einen zum Tod verurteilten Iren hinrichten; doch trifft den jungen Engländer während einer Schießerei eine Kugel, die gar nicht ihm galt. Das Großartige an diesem Stück ist die Mischung des Politischen mit Privatem, des Tragischen mit Witzigem, des Ordinären mit Zartem, großartig ist die Totalität des Gegensätzlichen, die Fülle an Traurigkeit, Ironie und Spott. All das widerspricht sich nicht, erweist sich als prallvolles Leben. Es gibt zahlreiche Songs, es wird getanzt. Dieser Reichtum kam in der Inszenierung von Hugh Hunt mit Philip O'Flynn und

Angela Newman, mit Donald Mc-Cann und Maire ni Ghrainne voll zur Entfaltung. Im Hintergrund hatte der Bühnenbildner Christopher Baugh diese Dirnenbude als Fragment aufgebaut.

Der starke Eindruck, den man von mehreren früheren Aufführungen des Preßburger Slowakischen Nationaltheaters im Volkstheater erhielt, bestätigte sich bei einem neuerlichen Gastspiel, nun mit Tschechows Komödie „Der Kirschparten“. Unnaturalistische Bühnenbilder von Zbynek Kolar, der auch die letzte Inszenierung des Burgtheaters ausstattete, rücken die Wiedergabe vom Konventionellen weg: Möbel und Vorsatzstücke stehen vor dem Rundhorizont mit angedeuteten schmalhohen Fenstern, mit gelegentlich darauf projizierten Silhouetten von Baumästen. Dem Wunsch Tschechows entsprechend, der wollte, daß man über diese Komödie lache, erhält die Aufführung durch Regisseur Jozef Budsky ein vorwiegend leichtes, mitunter komödiantisches Gepräge, was nicht hindert, daß einzelne Figuren, so die Gutsbesitzerin durch die damenhafte Maria Krälo-viiovä und besonders ihr Buder durch Ctibor Filctk subtil durchgezeichnet sind. Komödiantische Züge mit profilierter Charakteristik vereint Karol Machata als Kaufmann Lopachin. Wir haben in beiden Männerrollen nicht gleichermaßen dek-kende Besetzungen gesehen.

Die Rundtheateraufführungen der „Arena 70“ im Museum des 20. Jahrhunderts, durch Einbau von Tribünen rings um einen zentralen Spielplatz ermöglicht, brachten zunächst zwei Uraufführungen, die enttäuschten. In dem Mameluckenspiel „Qui-rilikisti“ von Wolfgang H. Fleischer wird der Mensch fast nur noch zu Spruchbändern reduziert. Die Beziehungen von drei Paaren sind nur angedeutet, sie dienen lediglich als wechselnder Anlaß, knapp formuliert Gemeinplätziges, saloppe Verhaltensregeln, Scheinphilosophisches plakativ auszusprechen. Der Name H. C. Artmann auf dem Programmzettel weckt Erwartungen. Er, der beglückt und auch beglük-kend in den Geheimkammern des Abstrusen herumstöbert, begibt sich in dem Einakter „Off to Liverpool oder Ein Engel hilft mir früh auf-stehn“ der im Anschluß gegeben wurde, in den Schundbereich der

Kolportagestorys mit kesser Dirne, Gangster und Commissiaire Maigret. Was wohl eine Parodie sein soll, bleibt hilflos im Kitsch stecken. Georg Madeja bot in beiden Stücken gewandte Regie. Gelöstes Spiel aller Darsteller, vorab von Gabriele Buch. Das dreiteilige Monologstück „Kiste — Worte des Vorsitzenden Mao — Kiste“, das im Mittelteil aus einer Montage dreier inkohärenter Monologe besteht, wurde in der „Furche“ bereits besprochen. Bei der Aufführung im Museum des 20. Jahrhunderts ersetzte den wandumschlossenen Kubus, in den man im ersten Teil beim Lautwerden einer „Stimme“ blicken soll, ein völlig offener Rohrwürfel. Auf die von Albee beabsichtige Wirkung kontemplativer Konzentration mußte, bedingt durch die Arenadarbietung, verzichtet werden. Da sich hiebed die Darsteller des Mittelteils vor den Zuschauern kostümieren und Masken anlegen, entlarvt der Regisseur Wolfgang Lesowsky die recht mäßigen Weisheiten der „Stimme“ als belanglos, indem er davon ablenkt. Die Masken steigern das maskenhaft Erstarrte der verschiedenen Positionen, im besonderen die Kriegsideologie Maos. Daß die Darsteller des Mittelteils den Spielraum rings mit Netzen umschlingen, trennt diese in sich verbohrte Welt von uns ab, gibt sie der Kritik preis. Dennoch kommt Albees Stück, wohl sein schwächstes, zu keiner packenden Bühnenwirkung.

Im Dunkel verbirgt sich das Unfaßliche. Aus der Dunkelheit holt Nelly Sachs in dem Spiel „Simson fällt durch Jahrtausende“, das im Wiener Theater am Belvedere uraufgeführt wurde, manches, das wieder Dunkles umfaßt. In der Fülle der Gestalten und Chöre, die mehr Erscheinung als Realität sind, erstehen Simson und Delila, die sich als Schuldiener Manes und seine Frau Nina wiederverkörpern. Schuldiener? Wohl auf einem Stern. Was sich begibt, ist im Gewoge der Gesichte, der orphischen Aussagen kaum recht zu fassen. In diesen Szenen wird die Weite des Kosmischen spürbar, das auf Manes und Nina einwirkt, dessen Potenzen sie zugleich sind.

Man mag bei diesem Spiel an Strindbergs „Nach Damaskus“ denken, aber die Szenen von Nelly Sachs wirken noch visionärer, noch weniger Fäden verknüpfen sie mit der Realität des Alltäglichen. Regisseur Irimbert Ganser gelingt es, das schwierig darzubietende Stück mit Darstellern, die Aufgaben dieser Dimension überfordern, in Schwebe zu halten.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung