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USA, Österreich und Griechenland…

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The Theatre Guild American Repertory Company gal mit einer Truppe, die eben für eine große Überseetournee zusammengestellt wurde, ein dreitägiges Gastspiel im Burgtheater. Der erste Abend wat Thornton Wilders „The Skin ol ou r Teeth“ gewidmet, Wien unvergeßlich in Erinnerung durch die Aufführung in der Josefstadt 1946. „Wir sind noch einmal davongekommen“, das war damals, im Frühlicht über den Gräbern, eine apokalyptische Ballade, voll Poesie, Grauen und Ergriffenheit. Wobei die Kunst der Schauspieler, um die Geß- ner und Attila Hörbiger, die Ergriffenheit weckte, die damals noch in der Luft lag. Die amerikanische Aufführung von 1961 gibt hell, ironisierend, komödiantisch, gekonnt und wohldurchdacht bis ins letzte, eine Travestie auf amerikanische und allgemeinmenschliche „Verhältnisse“. Die Tragödie des Menschen um Mr. und Mrs. Antrobus, der Family of man, wie die großartige amerikanische Photoaus- stellung hieß, ist hier ganz eingeschmolzen in das Drama einer amerikanischen Familie, in der Kain, Henry, eben der gegen den Vater rebellische Sprößling ist. Die sehr berühmte Helen Hayes spielt Mrs. Antrobus, June Havoc die Sabina, der vom Film bekannte Leif Erickson gibt Mr. Antrobus. Helen Menken, eine große alte Dame des amerikanischen Theaters, spielt die Wahrsagerin, den unartigen Kain-Henry verkörpert Thomas Hawley.

Der zweite Abend galt der „Glas- menagerie“ von Tennessee Williams. Uns ist die zauberhafte Aufführung im Akademietheater in Erinnerung. Die amerikanische „production"gibt, ohne auf Charme und Poesie Wert zu legen, eine Studie zur Soziologie einer gescheiterten Gesellschaftsschicht. Die Mutter, Helen Hayes, spielt eine von den hunderttausenden Müttern, die um ihre nicht ganz wohlgeratenen Kinder bangen; sie ist selbst kein Symbol, kein großer Traum — Erinnerung an Glanz und Glorie der guten alten Gesellschaft im deep south, im tiefen Süden der Staaten —, sondern eben ein sehr braves, sehr tüchtiges, sehr menschliches Mütterchen. Dazu eine Schauspielerin, die mit herzhafter Unbekümmertheit das Komödiantische ausspielt, mit einer Naivität, die hierzulande Schauspielerinnen ersten Ranges nicht gestattet ist. Die im Stück unvergeßliche Tochter (Käthe Gold spielte sie) wird durch Nancy Coleman als eine klinische Studie präsentiert. James Broderick lBbr!deni!!Söhn Sehr nėtt'sympathisch ohne viel Aufhebens. Leif Erickson, als gentleman caller, in schon vom Vortag bekannter Anständigkeit, sympathisch, ohne starke Akzente.

Das dritte Stück habe ich nicht gesehen. „T h e miracle worker“ von William Gibson behandelt das Kindheitsschicksal der Helen Keller, der nachmals weltberühmt gewordenen Schriftstellerin und Kämpferin für körperlich behinderte Menschen. Das siebenjährige blinde und taubstumme Mädchen erhält in der früher selbst blinden Lehrerin Annie Sullivan eine Erzieherin, die mit unendlicher Liebe, Geduld, Erfahrung das Kind zum Vollmenschen erweckt und erzieht. Inwieweit das ein Thema für die Bühne ist, darüber waren die Meinungen der Zuseher geteilt. Die neunjährige Rona Gale spielte die Helen Keller, Barbara Barrie die Erzieherin Sullivan. — Das amerikanische Gastspiel in der Burg wurde vom Publikum sehr herzlich aufgenommen, allgemein wurde der Wunsch ausgedrückt, wieder einmal eine Tournee hier zu sehen, wohl von einer anderen Truppe.

Ein sehr österreichischer Abend im Konzerthaus: Im Zyklus „Die berühmte Stimme" lasen Adrienne G e fine r und Ernst Lothar., Die Geßner las den berühmten Brief der Mutter Goethes an ihren in Italien weilenden Sohn, Stücke aus Thomas Manns Tonio Kröger, und vor allem, als Höhepunkt, Szenen aus Wedekinds „Frühlings Erwachen“. Spröde, scheu, rührend im herben, guten Sinn des Wortes, klang da eine Stimme durch den großen Saal, die in viel Reif gereift ist. Ernst Lothar las aus seinem Erinnerungsbuch „Das Wunder des Überlebens“: Schmerz und Verhaltenheit. Wie bitterschön ist dieses Österreich, wie schwierig seine Menschen, wie nah hausten da im letzten halben Jahrhundert Banausen, Bürokraten, Dichter, Künstler neben- und gegeneinander. Wie reich war gerade noch in der Zwischenzeit, zwischen 1918 und 1938, dieses Land an bedeutenden Erscheinungen. Vergangenheit. Karl Kraus’ satirische Skizze „Der Biberpelz“, von der Geßner zum Abschluß gelesen, machte noch einmal auf die Einsamkeit des geistig Schaffenden in diesem seltsamen Leben aufmerksam.

„Antigone" im Burgtheater: Experimente dieser Art verdienten, sehr ausführlich besprochen zu werden. Nur ein Hinweis ist hier möglich. Rudolf Bayr hat den Sophokles mit hohem Kunstverstand in ein helles, hartes, vibrierendes Deutsch übertragen. Fritz Wotruba hat stählerne Steingebärden um das Spiel gestellt. Der Regisseur Gustav Rudolf Sell- ner läßt aus allen Höhen und Tiefen des Theaters auf Tonbändern Stimmen und

Melodien erklingen und hat dem Chor ein Höchstmaß von Disziplin und Tempo abverlangt. Frau Joana Maria Gorvin als Gast, den Wienern bereits bekannt, gestaltet voll Kraft, wohl durchdacht, jede Sekunde, das Mädchen Antigone. Woher kommt es, daß soviel Können und Kunstverstand nicht zu ergreifen vermögen? Gelegentlich packt „es", fasziniert, gleißt, glitzert. Blinklichter, künstlich, in einer künstlichen Nacht. Diese Nacht da ist nämlich nicht die Urmutter Nacht des antiken Mysterienspiels, ist nicht die Nacht, um die Goethe, Hölderlin und wieder Nietzsche wissen; der Mutterschoß des Grauens, aus dem die Götter die Menschen hervorrufen, um zu kämpfen; um im Kampfe mit den Göttern und sich selbst zu fallen. Diese Bühnennacht hier ist ein dunkles Loch, aus dem der Regisseur Rollen hervorruft, die auf ihr Stichwort warten, um exerziert zu werden. Vielleicht ist es das charakteristischeste Merkmal dieser sehens- und hörenswerten, dieser studierenswerten Fehlleistung: alle diese Figuren haben keine Zeit. Sie stehen unter dem Peitschenhieb eines chronometerbewaffneten Mannes, der auf die Sekunde, ja auf den Bruchteil einer Se-

kunde hin ihren „Einsatz" kommandiert. Unsterblich, irdisch unsterblich ist das große Drama nicht zuletzt dadurch, daß es in der Aufführung keine Rücksicht auf diese Uhrzeit nimmt. Die alten Passionsspiele in hundert Alpendörfern dauerten tagelang; die Wiedergeburt des europäischen Theaters, durch die großen Russen vor 1914, setzte eben hier wieder an: vier- bis fünfstündige Aufführungen von Komödien waren selbstverständlich. Zum Fehlen an Zeit gesellt sich hier nun das Fehlen an Innenraum, an Personmacht: diese „Rollen“ haben nur mehr zu repräsentieren. Sie haben mehr zu scheinen, als sie sein dürfen. — Trotz dieser Behinderungen kämpfen Skoda als Kreon, und besonders eindrucksvoll Josef Meinrad als Teiresias um diesen Raum der Person. Wirkungsvoll (dieses Prädikat scheint höchste Absicht dieser Aufführung zu sein) ist Erich Schellow als Bote, Elisabeth Höbarth als Eurydike. Weniger wirkungsvoll Erika Pluhar als Ismene, Walter Reyer als Haimon. Durchbruch zu eigenster Menschlichkeit: Günther Haenel als Wächter. — Das Ganze: kein Sophokles, wohl aber ein modernistisches Schauspiel, das sich Vorgenommen hat, die Antike zu entrümpeln; wobei die Bühne von den Göttern und Menschen freigefegt wird.

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