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Die Arena-Spiele 73

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Die Wiener Festwochen bezeichnen die Arena-Veranstaltungen im Museum des 20. Jahrhunderts gerne als Antifestival, das sie sich selbst bereiten, um Impulse zu neuen Themen und Formen geben zu können. So verstanden, kommt das heurige Kinder- und Jugendtheaterfestival um mindestens zwei Jahre zu spät. Trotz der vor allem in Kulturdingen sprichwörtlichen langen Leitung in Wien möchten wir uns freuen, denn für ein Kin-dertheaterfestival ist es eigentlich nie zu spät. Wird doch der Freiraum der Kinder in unserer Gesellschaft (durch die Erwachsenenwelt) schon genügend eingeengt. Die Festwochen-Arena könnte dem als Ventil entgegenwirken, indem sie diesen Freiraum schafft.

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Die Wiener Festwochen bezeichnen die Arena-Veranstaltungen im Museum des 20. Jahrhunderts gerne als Antifestival, das sie sich selbst bereiten, um Impulse zu neuen Themen und Formen geben zu können. So verstanden, kommt das heurige Kinder- und Jugendtheaterfestival um mindestens zwei Jahre zu spät. Trotz der vor allem in Kulturdingen sprichwörtlichen langen Leitung in Wien möchten wir uns freuen, denn für ein Kin-dertheaterfestival ist es eigentlich nie zu spät. Wird doch der Freiraum der Kinder in unserer Gesellschaft (durch die Erwachsenenwelt) schon genügend eingeengt. Die Festwochen-Arena könnte dem als Ventil entgegenwirken, indem sie diesen Freiraum schafft.

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Wenn man die kleinen Zuschauer nach der Aufführung der „Mugnog-Kinder“ (aber auch schon vorher, wenn die Lieder gemeinsam durchgesungen werden) auf dem Podium herumtoben sieht und sie die Rollen nachzuspielen versuchen, die sie gerade gesehen haben, dann ist schon ein Schritt in diese Richtung getan. Im Kindertheateralltag etwa des Theaters der Jugend ist derlei ja nicht durchführbar, weil hierorts die Theaterpolizei verbietet, daß Kinder überhaupt auch nur einen Fuß auf die Bühne setzen oder zum Mitspiel animiert werden. Leider ließ zu Beginn der Kinder-Arena der Besuch sehr zu wünschen übrig.

„Die Ostindienfahrer“ und die ganz ausgezeichneten „Mugnog-Kinder“ waren bei den Premieren etwa zu zwei Drittel leer. Offensichtlich hat man sich gedacht, die Kinder würden schon von selbst kommen. Beim Puppentheaterfestival vor zwei Jahren waren sie ja schließlich auch gekommen. Dieser Analogieschluß erwies sich offenbar als Trugschluß. Es fehlte an der notwendigen Werbung, die natürlich schon rechtzeitig an den Schulen, in Heimen und Horten hätte durchgeführt werden müssen, sollte so eine erfreuliche Festivalidee nicht verpuffen. Hoffentlich ist man indessen auf den Gedanken gekommen, entsprechende Freikartenkontingente an den Mann, sprich: an das Kind, zu bringen. Mein Mugnog sagt, daß es vor allem gegen die Kindertheatergruppe des Grazer Forum Stadtpark ungerecht war, sie gegen die gähnende Leere anspielen zu lassen. Ihre kindgemäße Realisierung der „Mugnog-Kinder“ von Rainer Hachfeld hat nach dem bisher Gezeigten zweifellos die „Kleine Unsichtbare in Gold“ verdient.

Was ist das überhaupt, ein Mugnog? Die Kinder sagen, „ein Mugnog ist ein Mugnog“. Im speziellen Fall eine schäbige Kiste oder ein mehrfach teilbares Ofenrohr. Der Mugnog ist ein Phantasiestimulans, ein wohlmeinender Einflüsterer, der den Kindern gegen „unvernünftige“ und unverständige Erwachsene hilft,

der dafür sorgt, daß sich die Kinder frei entfalten können. Die Erwachsenen nennen es frech und ungezogen, sie rufen nach einer Tracht Prügel, nach dem Polizisten oder gar nach dem General. Nach Ordnung, Sauberkeit und Leistung. Die Kinder rufen nach offenen Gärten, Spielplätzen. Sie sagen das auch dem Bürgermeister. Wenn sie an das Forum Stadtpark schreiben, werden ihre Vorschläge weitergeleitet. Die „Mugnog-Kinder“ sind eines jener aufmüpfigen Kinderstücke des ehemaligen Berliner Reichskabaretts, nunmehr Grips-Theaters, und haben schon wiederholt (wie bei der „Maxi-milian-Pfeiferling“-Aufführung in der Courage) redliche Lehrer auf die Barrikade der Schulautorität gebracht. Man sollte sie alle einladen, damit sie sehen, wie locker, wie kindgemäß, wie undogmatisch (zum Unterschied von den Berlinern) die Grazer Gruppe vorgeht. Da werden schon vor Beginn Lockerungsübun-Ten eingebaut, da wird vor allem das Mitspiel sehr demokratisch, geschickt auf das Kinderpublikum eingehend, praktiziert und nicht nur versprochen.

Dagegen wirkte der Einstieg in die Arena-Veranstaltungen mit Ken Campbeils „Fazz und Zwoo“ eher lahm. Dabei wäre mit den Inhalten durchaus etwas anzufangen gewesen: Clownerien, Fallenstellen, karikierter sportlicher Wettkampf, parodierte Märchen-Monarchie usw. Das alles wird von Campbell allerdings ziemlich lustlos zusammengewürfelt und wirkt in der trockenen, für Wiener Kinder vielfach unverständlichen bundesdeutschen Bearbeitung von Wolfgang Wiens humorloser als eigentlich nötig. Regisseur Herwig Seeböck wirft den Ernst des Burgmimen in die clowneske Geschichte und zwingt den Schauspielern nur ein verzerrtes Lächeln ab. Dabei hätte aus dem Stück (etwa in Anklang an Savary) so etwas wie ein kleiner „magic circus“ werden können: locker, artistisch, mit lustigem Augenzwinkern. Statt dessen dampft forcierte Heiterkeit über das Arena-Podium. Optisch macht immerhin

der von Kindern des Malstudios Luksitz gepinselte Hintergrund einigen Spaß.

Nach dieser Eigenproduktion hatte auch eine Aufführung des Theaters der Jugend in der Arena nicht sehr viel Glück. Das Stück „Die Ostindienfahrer“ der Göteborger Kindertheatergruppe (für die Zehn- bis Vierzehnjährigen gedacht), ein historischer Bilderbogen aus der Zeit der ostindischen Handelskompanien, verspricht in seiner ehrlichen inhaltlichen Komposition mehr als die Aufführung, die in einem lahmen Realismus steckenbleibt, halten kann. Das prächtige Segelschiff Wolfgang Müller-Karbachs ist leider keine Hilfe, die Arena-Bühne räumlich zu bewältigen, die Seefahrerkünste der Mannschaft bleiben laienhaft. Schade, denn die Revue hat durchaus Unorthodoxes zu bieten: da wird kein heroisches Kapitänsbild aufgebaut, da wird kein verlogenes Happy-End konstruiert, sondern der Verrat an den zu Recht meuternden, da ausgebeuteten Seeleuten gezeigt, die sich nach der Heimkehr an die Wand stellen lassen müssen, dafür, daß sie das Vaterland gegen Seeräuber und Naturgewalten mutig verteidigt haben.

Die restlichen Arena-Produktionen und Gastspiele bis zur „Halbzeit“ wenden sich nicht an Kinder, zum Teil an Jugendliche, in jedem Fall

an Erwachsene. Die interessanteste Begegnung war wohl die mit dem New Yorker National Theatre of the Deaf, einem Taubstummentheater, bei dem es sich aber keineswegs um Dilettanten handelt, die zur Selbstverstärkung Theater spielen, sondern um Professionals, die auch Tschechow und Büchner im Spielplan haben. In Wien zeigten sie neben einem Programm für Kinder ihre szenische Fassung des „Gilgamesch“-Epos, eine Zusammenfassung der wesentlichsten sumerischen Sagen und Mythologien. Die darstellerische Realisierung fasziniert durch die Sparsamkeit der Mittel, durch die Kraft und den Nuancenreichtum des Ausdrucks. Die Zeichensprache der Taubstummen, theatralisch eingesetzt, vermittelt den Zauber irgendeines ostasiatischen oder afrikanischen Theaters. Nur ist der Code unserem westlichen Kulturkreis entnommen: er ist entschlüsselbar. Das Spiel der Taubstummen zielt weit über das Ästhetische hinaus. Freude, Leid, Angst, Zuneigung, alle Gefühle werden gestisch und mimisch ausgedrückt, aber eben nicht pantomimisch, sondern mit der Sprache des Körpers, die eine schier unglaubliche Intensität erreicht.

Natürlich darf in der Arena '73 auch das Show-Element nicht fehlen. Für Shows sorgen diesmal das „Hofa“-Team von Josef Prokopetz und Wolfgang Ambros sowie Wiens „einziges lebendes Gesamtkunstwerk“ Otto M. Zykan. Prokopetz ist unter die Literaten gegangen und hat den „Faust“ zu einem Ottakringer „Fäustling“ umgearbeitet, der seine Beamtenlaufbahn aufgibt und Posten wie Pension dem Teufel verpfändet. Eine Zeitlang goutiert man ja die Transponierung berühmter Zitate ins Wienerische, bald aber schlägt Maturantenulk durch. Dagegen ist die diesmal (bis auf wenige Ausnahmen, wie das Hadermann- Lied) nur mäßig inspirierte Musik von Wolfgang Ambros auf verlorenem Posten. Regielische Musiktheater-Gehversuche (ebenfalls Prokopetz) werden nur bis zum Osterspazier-gang für alle sichtbar unternommen. Dann wird der „Fäustling“ zu einer Bunten-Abend-Walpurgnisnacht, wobei natürlich auch die „Milestones“ nicht fehlen dürfen. Unverhohlene Freude äußert sich hingegen bei allen Auftritten Uzzi Foersters, Wiens Saxophon-Faktotum, der schon beim Musizieren so sehr schauspielert, daß er auf die Rolle des Erdgeistes hätte verzichten können.

Bei der Uraufführung von der erweiterten Zweitfassung von „Singers Nähmaschine ist die beste“ (erste Fassung 1966) beweist Zykan wieder einmal, daß er Wiens beste Ein-Mann-Multi-Media-Show ist. Er ist Autor, indem er Artmann, Steiger, Schiller und andere montiert, er ist Komponist, Parodist, Vibraphonist und Pianist, er schwingt Volksreden, die sich in ihre kleinsten Partikelchen (sprich: Phoneme) auflösen, er ist sein eigener Filmstar, er hantiert clownesk mit Hüten; er nennt sich Wagner-Zykan und Chaplin-Zykan. Er ist der Größte. Und er ist Staats-

Kindertheater aus Graz: „Mugnog“-Kinder

musiker, was er sich wie vieles andere auch von Mauricio Kagel abgeschaut hat. Bei der Genoveva-Geschichte kriegt man Sehnsucht nach Eric Satie. Aber unter dem Motto „Humanic paßt immer“ läßt sich eben einiges unter die chapli-neske Melone bringen: Surrealismus, Dada und „Berühmtes“ aus der Wiener Gruppe. Trotz des personellen Aufwands (sechs Schauspieler, drei Tonträger, die sehr präzisen MOB art & tone ART, die singende Gail Curtis, die „Singer-Singers“) bleibt natürlich Zykan sein bester Interpret: eloquent aggressiv, verspielt und genial in intellektueller Selbst-bespiegelung. Er ist selbst sein bestes Instrument, nennen wir es Zyka-phon. Ein lebendes Gesamtkunstwerk eben.

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