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Stücke zum Fürchten

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Theater der Courage: Wenn sich manche Autoren nur entschließen könnten, so lange auf die Eingebung zu warten, bis auch die als Füller getarnten Notnägel durch Qualität ersetzt werden könnten, dann wäre man im speziellen Fall in der Lage, die Uraufführung von Georg Orgels „Gemmasifirchtn!“ mit einigem Enthusiasmus zu begrüßen. So aber interessieren einem bei dieser „Grottenbahnfahrt durch fünf zeitgenös- siche Stationen“ immer bloß die Endstationen. Die anderen Haltestellen lohnen sich nicht: Bei der „Blumö“ liegt die Pointe allzu offensichtlich auf der Hand, beim „Little Willie“ ist sie kläglich (wann hat man zuletzt eine so aufgeblähte Banalität gesehen?), beim realistischen „Testfall“ gar nicht. Eine unausgegorene kabarettistische Begabung — möchte man sagen, wenn sie nicht die „Sperrstund“ und „Haben Sie schon einmal im Dunkeln geküßt ?“ hervorgebracht hätte. Zwei Szenen, derentwillen sich die

Grottenbahnfahrt auszahlt, witzig, hintergründig und schauspielerisch zum Teil brillant dargeboten. Um die also sehr unterschiedlichen Phantasieprodukte Orgels bemühte sich der Regisseur August Rieger mit ebenfalls wechselndem Erfolg. Aber bereits der Gedanke, daß er an dem denkwürdigen Solo Emmy Werners nicht ganz unschuldig sein könnte, machte das Ganze für ihn zum Erfolg.

Ateliertheater: Viel eher zum Fürchten ist das als deutschsprachige Erstaufführung gezeigte Stück „Gerettet“ von dem jungen Engländer Edward Bond. Die drastische Milieuschilderung einer Jugend, der jede Möglichkeit annehmbarer Zwischenmenschlicher Beziehung verlorengegangen ist, bei der es, von Maßstäben ganz zu schweigen, nicht einmal zur Konvention reicht. Doch nach den Ordinärheiten, Brutalitäten, dem ganzen Schmutz und Gift eines abendfüllenden Stückes stellt sich der ironische Titel über das letzte Bild: da hockt der ganze Auswurf vor dem TV und blödet sich friedlich an.

Endstation Konvention, wie sind wir dankbar Diese überraschende Wendung macht das grausame Spiel gemeinsam mit einigen starken Szenen und dem merkwürdigen Humor etwas erträglicher; um ein gutes Stück oder entwicklungsfähiges Theater handelt es sich zweifellos nicht. In England ist das Problem bedeutend größer, hat diese Art von Dramatik eine Tradition. Durch sie wissen wir, was an Tolen so sexy ist, und sind zu Mr. Sloane besonders nett. Auf Bonds Rettung hätten wir verzichten können.

Veit Relin war diesmal sehr eifrig, er übersetzte, bearbeitete und führte Regie. Alles ausgezeichnet und mit einer Sorgfalt, die vor allem den zum Teil gar nicht so qualifizierten Schauspielern zugute kam. Aus der dichten Ensembleleistung ragte Jutta Schwarz hervor Wenn das die letzte Premiere des Ateliertheaters gewesen sein sollte, wer wird uns in Hinkunft über die Sexualnöte des britischen Löwen informieren?

Theater am Belvedere: Die Aufführung des „Don Carlos“ nach Friedrich von Schiller als eine Art Parodie wäre an sich nicht einmal so schlecht gewesen. Da hat man schon Schlechteres gesehen. Sie war zwar streckenweise ein wenig langweilig, da abendfüllend zerdehnt, es fehlte auch schauspielerische Naivität oder Brillanz, was bei einer echten Parodie dem Versuch eines Zwergpinschers gleichkäme, einen Bernhardiner zu verulken, aber man hätte das Ganze einfach als Spaß auffassen und einiges an der durchaus komischen Wirkung feststellen können: Das Reduzieren der kleinen Bühne zu einer winzigen, manche Auftritte, die Kostüme oder der in seiner Jämmerlichkeit zum Teil beachtliche Philipp Leider wollte der Hausherr und Regisseur, Doktor Irimbert Ganser, „viel“ mehr. In einem (reichlich wirren) Manifest im Programmheft stellt er diesen Mini- „Carlos“ als Protest hin gegen mangelnde Kunstförderung, gegen ein verblödetes Publikum, gegen staatliche Allmacht usw. Dem Zuschauer soll vor allem etwas vorgesetzt werden, „das er material! und geistig verkraften kann“. Da beschmutzt aber der zur Pseudosatire pervertierte Spaß das eigene Nest und provoziert die Frage, wer zum Beispiel bei den letzten Uraufführungen was nicht verkraftet hat! Welcher Hafer sticht die Leute im Theater am Belvedere eigentlich?

Kulturnotizen

• Zum Ehrenmitglied der Akademie der Künste, Wissenschaften, Philosophie und Theologie in Boston wurde Kardinal Franz König ernannt.

• Anläßlich des 65. Geburtstages des Komponisten Hans Erich Apostel lud der Verlag Döblinger die Freunde des Jubilars zu einer kleinen Feier, bei der prominente Ausführende Lieder und Kammermusik des Meisters vortrugen. Unmittelbarste Wirkung erzielten das Kleine Kammerkonzert für Flöte, Viola und Gitarre sowie die vom Jubilar humor- und geistvoll gesprochene „Laudatio“ über sich selbst.

• Der Abbruch der alten Metropolitan Opera wurde vom Komitee „Rettet die Met!" vorläufig verhindert. Das Komitee will das Gebäude erwerben und renovieren lassen.

• Das Ensemble MVSICA ANTIQVA wurde eingeladen, im September 1966 eine Tournee durch Belgien zu absolvieren. Die Programme der Konzerte umfassen mittelalterliche Tanzmusik sowie geistliche und weltliche Musik Frankreichs bis zur Renaissance.

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