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Die erste Mozart-Aufführung auf einer Wiener Bühne

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Als Leopold Mozart im Herbst 1767 mit seiner Familie zum zweitenmal nach Wien reiste, um Wolfgang diesmal nicht mehr wie im Jahre 1762 als klavierspielendes Wunderkind, sondern auch als komponierenden Wunderknaben der musikalischen Welt der Donaustadt vorzuführen, sollte eine Oper des Zwölfjährigen als Gipfelpunkt seiner Leistungen den Wiener Aufenthalt krönen. Nach den Briefen Leopolds nach Salzburg hatte der Kaiser selbst in dem ehrgeizigen Salzburger Kapellmeister den Gedanken wach werden lassen, „es einmahl auf etwas ganz außerordentliches ankommen zu lassen“; Joseph II. hatte, so erzählt er, den Knaben zweimal gefragt, „ob er lust hätte, eine opera zu componieren und selbe zu dirigieren“.

Der Plan schien sich in der Tat auch zu verwirklichen. Mit dem Unternehmer der Wiener Hoftheater, Affligio, wurde ein Kontrakt auf 100 Dukaten abgeschlossen, der Theatraldichter Marco Coltellini, der auch für Gluck den „Telemacco“ verfaßt hatte, schrieb für Wolfgang ein Buffa-Libretto „La finta semplice“ und das erste Halbjahr 1768 war mit eifriger Arbeit des jungen Komponisten an dem Wiener Opernwerk ausgefüllt. Aber „was glauben Sie“, schreibt Vater Mozart an Freund Hagenauer, „was für ein Lärmen unter der Hand unter denen Componisten entstanden? — —- was? — heut soll man

einen gluck und morgen einen knaben von zwölf Jahren bey dem flügel sitzen und seine opera dirigiren sehen?“ Es hatte „die ganze Musick-hölle sich empört“ und trotz einer Beschwerdeschrift an den Kaiser konnte Mozart die Aufführung nicht durchsetzen.

Die vielberufene Aufführung von „Bastien und Bastienne“ im Herbst 1768 im Gartentheater des Mesmerischen Besitzes auf der Landstraße, die bisher als schwacher Ersatz für die getäuschte Hoffnung der „finta semplice“ galt, hat sich in jüngster Zeit auch als bloße reizvolle Legende herausgestellt. Spätere Aufführungen der Weiskernschen Bearbeitung des französischen Operettchens auf Wiener Vorstadttheatern (Penzing 1775, Josefstädter Bühne 1779) verwendeten keinesfalls Mozarts Musik. So scheint denn am 16. Februar 1782, als die „Entführung aus dem Serail“ im Burgtheater über die Bretter ging, auch zum erstenmal Mozartsche Musik von einer Wiener Bühne herab erklungen zu sein. Eine alte Wiener Theaterchronik belehrt uns aber eines Besseren.

Im Juli 1773 war Leopold Mozart, vier Monate nach der Rückkehr von der dritten und letzten italienischen Reise, mit Wolfgang wieder nach Wien gefahren. Welche bestimmte Absicht ihn dazu veranlaßt hatte, bei dem neuen Dienstherrn — 1772 hatte Erzbischof Hieronymus Gjaf Collo-

redo die Salzburger Herrschaft angetreten — schon wieder um einen Urlaub anzusuchen, kann mit voller Sicherheit nicht festgestellt werden. In den Briefen an die in Salzburg verbliebene Gattin tut Vater Mozart äußerst geheimnisvoll. Die bisherige Annahme, Leopold habe versucht, für Wolfgang eine Anstellung in Wien, allenfalls sogar die Nachfolge des erkrankten Hofkapellmeisters Florian Gaßmann zu erreichen, kann nicht aufrechterhalten werden. Denn wenn auch vor dem Erzbischof, der erst im Vorjahr Wolfgang durch Verleihung eines Jahresgehalts fester an seinen Hof gebunden hatte, irgendein Vorwand das Urlaubsansuchen begründet hätte, so hätte der Fürst, der sich im August 1773 gleichfalls zum Besuch des kaiserlichen Hofes in Wien aufhielt, hier sicherlich von solchen Bemühungen erfahren und bestimmt nicht am 12. August mündlich eine Urlaubsverlängerung bewilligt, nur damit sein junger Konzertmeister um so sicherer seinem Dienste Lebewohl sagen könne.

Es scheint sich vielmehr für Vater Mozart darum gehandelt zu haben, mit dem Wiener Musikleben und vor allem mit dem Wiener Theater nach den italienischen Opernerfolgen des Sohnes neuen Kontakt aufzunehmen und vielleicht sogar einen Opernauftrag für Wien zu erhalten. Dies mußte aber möglichst geheim gehalten werden, um neuerliche Intrigen und einen zweiten Eehec zu vermeiden. Für einen derartigen Auftrag war aber die Zeit durchaus ungünstig. Das Theaterinteresse galt damals neben den fast täglichen Ballettaufführungen unter dem berühmten Noverre vor allem dem deutschen Schauspiel, das eben im Endkampf gegen die improvisierte Hanswurstiade lag. Daneben spielte die (italienische) Buffooper eine verhältnismäßig minder bedeutsame Rolle. Während der Anwesenheit der Mozarts in Wien fanden unter mehr als 120 Aufführungen an beiden Hoftheatern zusammen nur 39 Operndarbietungen mit fünf Werken (je einem von Galuppi, Salieri, Anfossi, Felici und Pacini) statt. Ballett war jeder Aufführung angefügt.

Ob ein Besuch bei Noverre, von dem Leopold Mozart nach Hause berichtet, vielleicht einem Vorfühlen gegolten hat, ob Wolfgang nicht von dem berühmten Tänzer zur Mitarbeit herangezogen wurde, wissen wir nicht. Jedenfalls beweist aber eine andere Komposition dieser Wiener Wochen, daß Vater Mozart bemüht war, wohl angesichts der Aussichtslosigkeit einen Opernauftrag zu erreichen, für Wolfgang auf dem Umweg über das deutsche Schauspiel Eingang auf die Bühne des Wiener Hoftheaters zu finden.

Am 18. September 1773 fügt Leopold Mozart seinem Brief an Anna Maria den Schlußsatz bei: „Der Wolfgang Compo-niert an etwas ganz Eyferig.“ Man darf es fast als sicher annehmen, daß es sich dabei um die Musik, zumindest um die Chöre zu dem Schauspiel „Thamos, König von Egypten“ handelte. Das Stück war eben 1773 im 3. Band der Theatral-schriften des Tobias Philipp Frh. v. Gebler erschienen, und der hochmögende Autor, kaiserlicher Staatsrat und Vizekanzler der böhmisch-österreichischen Hofkanzlei, eifrig um seine Aufführung bemüht.

Schon im Mai hatte Gebler an Friedrich Nicolai nach Berlin geschrieben, er könne für eine dortige Aufführung „mit einer gar nicht übel gesetzten und von H. Ritter von Gluck durchaus übersehenen Musik der Chöre aufwarten“. Damals handelte es sich um eine Komposition des Mag. Johann Tobias Sattler. Im Dezember 1773 legt Gebler aber einer Sendung an Nicolai die Musick des Thamos bey, so wie selbe unlängst von einem gewissen Sign. Mozzart gesetzt worden“.

Schon anfangs 1774 berichtet der „Al-manach des Theaters in Wien“, daß für dieses Jahr schon vier Stücke „bereit liegen“, darunter Geblers „Thamos“. Am 24. März 1774 verkündet die „Historisch-Kritische Theaterchronik von Wien“, daß am Ostermontag die „teutsche Schaubühne mit dem neuen Trauerspiel des Verfassers des .Ministers' (Freiherrn von Gebler), genannt ,Thamos, König von Egypten“, mit Chören, von Herrn Starzer dazu gesetzt, eröffnet werden“ wird. In ihrer Nummer vom 13. April bekennt sie aber, sie habe in ihrer vorangehenden Nummer „dadurch eine große Sünde be-

gangen, daß sie unter den vermischten Neuigkeiten gesagt hat, Herr Starzer“ (der bekannte Hauskomponist der Hoftheater Joseph St.) „habe die Chöre zu Thamos gesetzt. Nicht Herr Starzer, sondern Herr Mozzart hat die Musik gemacht“. In der Besprechung der Premiere geht sodann der Rezensent der „Theaterchronik“ auf Geblers Vorbemerkungen zu seinem Stück ein und meint, seine „Entschuldigung wegen der Chöre des ersten und fünften Akts ist nicht minder lobenswert, ob sie gleich nach meiner Meinung nicht nöthig war. Sie haben ihre Wirkung gethan — denn die Musik von Herrn Karl (!) Mozzart ist künstlich und schön gesezt — und mehr, glaube ich, wollte der Herr Verfasser nicht. Nur schade, daß sie nicht besser abgesungen wurden“.

Ob auch schon die Zwischenaktsmusiken damals von Mozart waren, oder ob sie von ihm erst 1779 für die Böhmsche Theatertruppe in Salzburg hinzugefügt wurden, ist ungewiß. Daß es schon damals in Wien üblich war, den Sprechstücken Musik voranzustellen und zwischen den Akten einzufügen, bezeugt uns Dr. Charles Burney in seinem Wiener Reisebericht vom Jahre 1772. Das Orchester bei einer Aufführung von Lessings „Emilia Galotti“ war „stark besetzt und

die Stücke, die man zur Anfangssinfonie und zwischen den Akten spielte, wurden sehr gut ausgeführt und taten eine schöne Wirkung. Sie waren von Haydn, Hoffmann und Wanhal*. Man wäre geneigt anzunehmen, daß Leopold Mozart Wolfgang veranlaßt hätte, auch die Zwischenaktsmusiken schon für die Wiener Aufführung — wohl nach der Rückkehr nach Salzburg — zu schreiben, und sie nicht anderen Komponisten überlassen.

Wahrscheinlich hatte der aus dem Mesmerkreis mit Mozart bekannte Franz von Heufeld, einer der Mitkämpfer für das regelmäßige deutsche Schauspiel in Wien, der laut der erwähnten Theaterchronik eben in der Spielzeit 1774 wieder „die Regie der deutschen Theaters oder vielmehr die Direktion desselben“ übernommen hatte, die Verbindung zu Gebler hergestellt. Im Jahre 1783 bedauerte Wolfgang allerdings, daß er „die Musi-que zum Thamos nicht werde nützen können! Dieses Stück ist hier, weil es nicht gefiel, unter die verworfenen Stücke, welche nicht mehr aufgeführt werden“. Dennoch bescherte uns diese vergessene Arbeit Wolfgangs die erste Aufführung Mozartscher Musik auf einer Wiener Bühne: im Kärntnertortheater am 4. April 1774.

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