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Giovanni Gastone Bocdienni

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Als im Jahre 1943 in Italien des großen Luigi Boccherini gedacht wurde, nannte niemand den Namen seines älteren Bruders Gian Gastone Boccherini. Auch sonst ist nirgends jenes Mannes gedacht, der mit der Wiener Theatergeschichte und dem aufsteigenden Stern am Wiener Theaterhimmel, Antonio Salieri, ja sogar mit Joseph Haydn in engster Verbindung stand. Ein Büchlein in der Wiener Fideikommißbibliothek mit einem hübschen Kupferstich, dem Porträt Giovanni Gastone Boccherinis, hat mich seine Spur verfolgen lassen, und es ist mir gelungen, etwas Licht in das Dunkel seiner Laufbahn zu bringen, die ihn von Lucca nach Wien und Madrid geführt hat.

Nach diesen Forschungen ist Giovanni Gastone Boccherini am 9. Februar 1743 in Lucca geboren. Sein Vater war Kontrabassist am Theater in Lucca. Wie es in kinderreichen italienischen Musikerfamilien selbstverständlich war, wurden die Kinder wieder zu Musikern erzogen. Eine Schwester Gian Gastones wird als Sängerin ausgebildet und hat bald an dem damals sehr beachteten Theater in Lucca große Erfolge gehabt. Der jüngere Bruder Luigi wird Cellist und gelangt auf einer Tournee über Paris nach Spanien, überall wegen seiner Virtuosität und seiner hübschen Streichquartette, die er Divertimenti nennt, bewundert und anerkannt.

Der älteste Bruder der Geschwister, Giovanni Gastone, beginnt seine Laufbahn nicht als Sänger oder Virtuose, sondern als Tänzer am'Theater in Lucca. Der Beruf eines Solotänzers und Ballettmeisters war damals ein geachteter, und besonders italienische Tänzer wurden in ganz Europa sehr gesucht und machten große Karriere.

Gian Gaston Bocherini, nachdem er mit Erfolg an dem Luccheser Theater als Tänzer aufgetreten, ging in jungen Jahren nach Wien, wo er als Solotänzer am Kärntnertor.

theater gewirkt hat und bald eine erfolgreiche Tätigkeit entfalten konnte. Im Jahre 1767 gibt G. G. Boccherini in Wien zum erstenmal 100 Sonette heraus; im gleichen Band befindet sich das Textbuch des von ihm verfaßten Theaterstückes „Tumo, Rei dei Rutoli“; beide sind sieben Jahre später in Wien in einer Neuauflage erschienen.

Diese Publikation ist mit einem Kupferstich versehen, der den jungen Dichter am Schreibtisch sitzend darstellt, der mit der rechten Hand die Kielfeder hält, in der linken ein Blatt, auf dem geschrieben ist: „Amo, de liro e moralmente insegno", der Wahlspruch, mit dem er offenbar sich selbst eine Charakteristik geben will.

Boccherini war erst 25 Jahre alt, als die Sammlung seiner Sonette in Wien im Druck erschien, ein Gedichtband, der offenbar schnell Verbreitung und Anklang gefunden hat. Vielleicht aber war es auch der neu- aufgehende Stern am Wiener Opernhimmel, Antonio Salieri, der zur Verbreitung der poetischen Werke des jungen Luccheser beigetragen hat.

Salieri, der erst 27jährige, suchte fern der Heimat in der Kaiserstadt den Umgang seiner Landsleute, die ja damals als Sänger, Dichter, Komponisten, Maler und Architekten den Kaiserhof förmlich überschwemmten. Und im Kreise seiner Landsleute wird Salieri den jungen Dichter-Tänzer vom Kärntnertortheater auch kennengelernt haben. Boccherini hatte offenbar auch die richtige Feder für den angehenden Opernkomponisten, denn er schreibt das Textbuch zu Salieris erstem Bühnen werk in Wien: „Le donne letterate", das bei der Erstaufführung in Wien im Jänner 1770 einen durchschlagenden Erfolg erzielte. Die künstlerische Verbundenheit von Dichter und Komponisten brachte noch im selben Jahr ein zweites Bühnenwerk heraus: „L’amore innocente“. Diedritte Oper Salieris: „Don Quisciotte alle nozze di Gamaco“, die 1771 in Wien über die Bühne ging, hat Boccherini zusammen mit Ranieri di Calsabigi geschrieben. Das war eine bemerkenswerte Anerkennung für den jungen Boccherini: zusammenzuarbeiten mit dem bedeutenden Calsabigi, der als Textdichter von Glucks berühmten Reformopern „Orfeo und Euridice“ „Alceste“ und „Paris und Helena“ als Gegner des großen Meta- stasio in Wien viel von sich reden machte.

Zu den beiden Opern von Salieri „La Secchia rapita“ und „La fiera di Venezia“ schrieb wieder Boccherini das Textbuch, mit so viel Humor und Witz, daß nicht nur die Musik, sondern auch die Dichtung, besonders bei dem „Jahrmarkt von Venedig“, viel dazu beitrug, daß diese Oper ein großes Zugstück auf allen bedeutenden Theatern Europas wurde.

In jenen Jahren wurde Boccherini auch mit Joseph Haydn bekannt und schrieb für ihn das Textbuch zu seinem Oratorium „II ritorno di Tobia", das. zum Besten der Waisen und Witwen des neugegründeten Tonkünstlervereins am 2. und 4. April 1775 in einer Akademie des Kärntnertortheaters aufgeführt wurde und den bemerkenswerten Reingewinn von 2085 Gulden erzielte. Dieses Oratorium von Haydn wurde unter Franz Lachner 1861 in München aufgeführt und vom Grafen Pocci, dem bekannten Dichter der Münchner Marionettentheaterstücke, für die Lachnersche Aufführung ins Deutsche übersetzt. Auf dem Titelblatt dieses Textbuches ist ausdrücklich vermerkt: „Dichtung von G. G. Boccherini aus Lucca.“ Damit ist die Richtigkeit meiner Forschung bewiesen.

Nach dem Jahre 1775 ist der Name Boccherinis als Textdichter in der Kaiserstadt verschwunden. Wie ist es nun möglich, daß ein so erfolgreicher jünger Poet in Wien keinen feten Fuß fassen konnte? Die Erklärung wird darin zu finden sein, daß trotz dem Kampfe Calsabigis mit den Ideen der Reformoper im Sinne Glucks die Stellung des seit 1729 in Wien wirkenden, mächtigen Hofpoeten Metastasio doch nicht untergraben werden konnte und daß für Boccherini noch ein neuer Rivale auftauchte: Giovanni da Camera, der von 1774 ab Salieris Textdichter wurde.

Wohin sich Boccherini nach seinem Weggang von Wien hinwendete, ist bis jetzt unbekannt. Erst für das Jahr 1795, also 21 Jahre später, konnte ich seine Spur durch einen Akt im Staatsarchiv in Madrid unter den Dokumenten des berühmten königlichen Theaters „Canon dėl Perai“ wiederfinden. In der Blütezeit dieses Theaters kommt Gian Gastone Boccherini in die spanische Hauptstadt und erhält an dem Theater „Canon del Peria“ eine bedeutende Stellung als Theaterdichter, Regisseur und Textdichter der Opern und Pantomimen, ist also seiner ursprünglichen Laufbahn als Textdichter und Tänzer treu geblieben. Nach dem Vertrag mußte er die Textbücher sowohl für die Opera šeria als für die Opera buffa schreiben, mit „Berücksichtigung der ihm zur Verfügung stehenden Sänger und Sängerinnen“. Dann mußte OT die Umänderungen und Korrekturen der Textbücher besorgen und italienische Text- i bücher ins Spanische übersetzen, woraus zu schließen ist, daß er schon längere Zeit in Spanien gelebt hat, um die Sprache bis zu diesem Grade zu beherrschen. Ja, er mußte sogar Operntexte direkt in spanischer Sprache dichten und Pantomimen šerio und buffo verfassen, was beweist, daß er auch als Ballettmeister noch als eine Autorität angesehen wurde. Denn diese Tanzpantomimen, die zur Zeit Boccherinis in so hoher Blüte standen, erforderten die Kenntnisse aller Feinheiten eines gewiegten Tanzmeisters.

Boccherini mußte außerdem alle Konzerte und Akademien überwachen, die in Madrid in der Fastenzeit abgehalten wurden, in der alle Opernaufführungen verboten waren. Die Sänger und Sängerinnen der Oper mußten statt dessen für die Konzerte zur'Verfügung stehen. Außerdem hatte Boccherini für das gesamte Theaterpersonal die Oberaufsicht, was bei der strengen spanischen Etikette auch keine leichte Aufgabe war. Weiter mußte Boccherini als Regisseur bei allen Proben anwesend sein, die Dekorationen besorgen, die Maschinerien bestimmen und sogar die Auswahl der Kostüme treffen. Wahrlich ein gerüttelt Maß von Arbeitsleistung.

Zu all diesen Aufgaben, die dem 54jähri- gen Manp gestellt waren, steht sein Gehalt in gar keinem Verhältnis. Nach dem Vertrag bekam er alljährlich eine leere Wohnung und einen Gehalt von 300 Pezzo Forte, wohingegen eine Primadonna einen Gehalt von

2000 Pezzo Forte bezog. Trotz dieser kargen Bezahlung wird der Kontrakt drei Jahre lang immer wieder erneuert. Der letzte Eintrag in den Akten findet sich unter dem 10. April 1795. Dort heißt es: „Juan Gasto Boquerini erhält eine Auszahlung von 2000 Reales“, also nochmals 100 Pezzo Forte. Ob dies nun eine Abfindungssumme oder eine Nachzahlung war, geht aus den Akten nicht hervor. Daß dieser Akt in spanischer Sprache geschrieben und nicht wie die anderen in italienischer und sogar der Name des Künstlers hispanisiert worden ist, läßt befürchten, daß auch Boccherini von der strengen Ver-

Ordnung 1799 betroffen wurde, wonach nur noch spanische Sänger und Sängerinnen im königlichen Theater auftreten durften.

An Stelle des Italieners folgte als Leiter des Theaters der berühmte Spanier Manuel Garda. Ob Boccherini unter ihm weitergearbeitet oder Spanien verlassen hat, geht aus den Akten nicht hervor. Das letztere ist aber anzunehmen, da der Sohn Luigi Boccherinis in der Biographie seines Vaters — ein fast unbekanntes Büchlein, das in der Madrider Staatsbibliothek erhalten ist — diesen Onkel Gian Gastone Boccherini gar nicht erwähnt.

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