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MAGGIO MUSICALE FIORENTINO

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Der Stadt Florenz ist es beschieden, seit ihrem Eintritt in die U Geschichte das Kraftzentrum einer besonders starken künstlerischen Ausstrahlung zu sein. War es im 15. Jahrhundert die Dreiheit: Architektur, Malerei und Plastik, deren einzigartige, noch nie dagewesene und niemals wieder erreichte Hochblüte einem neuen Weltgefühl Gestalt und Form gegeben hat, so sollte gegen das Ende des 16. Jahrhunderts Florenz zur Geburtsstätte einer neuen Kunstgattung werden, und zwar auf dem Gebiete der Musik.

Im Hause des Grafen Bardi de Vernio beschließt ein Kreis hochgebildeter, kunstliebender und vom feinsten Kunstverständnis beseelter Kreis, das antike, von Musik begleitete Drama neu erstehen zu lassen. Der neue Stil, der „Stile reppresentativo“, „Stile recitativo“, legte den Grundstein zur neuen musikalischdramatischen Form, die seither als Oper wohl die kostbarste künstlerische Schöpfung der späteren'Neuzeit geworden ist. Die erste „Oper“, in Italien „melodramma“ genannt, war „Daphne“ von Jacopo Peri nach einem Text von Ottavio Rinucci; diesem im Jahre 1594 gemachten Versuch kommt wohl eine nicht zu unterschätzende Bedeutung zu, es war aber eben ein Versuch, behaftet mit allen üblichen Unzulänglichkeiten und Unsicherheiten. Die erste Oper, die nicht in geschlossenen Zirkeln, sondern vor einem großen Publikum zur Aufführung gelangte, nämlich Rinuccis „Euridike“, wurde im Jahre 1600 im Palazzo Pitti in Florenz anläßlich der Vermählungsfeierlichkeiten der Maria von Medici mit Heinrich IV. von Frankreich als Festaufführung gegeben. Die Musik zu diesem Werke, das tiefen und nachhaltigen Eindruck hinterließ, stammt von Jacopo Peri und Giulio Caccini.

Claudio Monteverdis „L'Incoronazione di Poppea“, welche 42 Jahre später aufgeführt wurde, zeigt bereits alle Eigenschaften und Vorzüge des neuen Stils, den Francesco Cavalli zur Vollendung führen sollte. Im folgenden Jahrhundert hat Berninis visionäre Schöpferkraft dem Motiv der von der Liebe Apollos verfolgten Nymphe, die auf ihre Bitte in den dem Gott geweihten Lorbeerbaum verwandelt wurde, welcher bei Homer Daphne genannt wird, ewig gültige Gestalt verliehen. Der Mythos der Metamorphose der menschlichen Gestalt in Rinde und Blätter, das Eingekleidetwerden in das Laub eines Baumes, lebt in Bräuchen und Spielen, die, auf antikem Boden entstanden, auf prähistorische Vegetationsriten zurückgehen. Allmählich durchdrang die Ideenwelt des werdenden Rittertums das noch lange heidnisch gebliebene Bewußtsein der europäischen Völker und schuf neue Werte und neue Ausdrucksformen.

Eine solche „Form“, entstanden aus einer Synthese von heidnischem und christlichem Gedankengut, ist die eines Kampfspiels, das im Monat Mai im Laufe der Jahrhunderte in den verschiedensten Gestalten abgehalten wird und in Italien „maggip drammatico? genannt wirdisWer kurz „maggio“. „Maggio“ oder „Maggiorata“ heißt auch etn Lied, das im Mai vorwiegend in Toskana von jungen Mädchen und Burschen gesungen wird, die einen Laubzweig tragen — „Maieinsingen“ heißt ein ähnlicher Brauch im deutschen Sprachraum.

Es mag Zufall sein, daß die erste, aus dem neuen Kunstwollen der Florentiner geborene Oper „Daphne“ heißt und unwillkürliche Assoziationen mit Geist und Kult des Baumes, mit Frucht-barkeits-, Frühlings- und Maifeiern hervorruft. Aber es ist wohl nicht Zufall, daß die weltberühmte Musikfestspielreihe von Florenz gerade im Monat Mai abgehalten wird und nicht den heutzutage allgemein üblichen Terminus „Festival“ gewählt hat, der von den ältesten, nämlich den englischen „Clergy Festivals“, seit 1709 an der Paulskirche in London, und den seit 1724 bestehenden „Three Choirs Festivals“ stammt.

Eine leise Erinnerung an das Moment des Kampfes, nämlich des Wettkampfes, klingt im „Concorso Nazionale di Bei Canto“ nach, der im Rahmen des ersten „Maggio“ im Jahre 1933 abgehalten wurde und Giulietta Simionato den Siegerpreis zuerkannte.

Sinn und Zielsetzung der Florentiner Musikfeste ist aber nicht der Wettbewerb, sondern eine intensive Pflege wertvoller Musik, die seit jeher ein besonderes Anliegen der Societä degli Amici della Musica war, welche besonders rührig in den ersten Jahren der Zwischenkriegszeit einsetzte und sich zunächst auf die Kammermusik konzentrierte. 1928 wurde auf Anregung Vittorio Guis die „Stabile Orchestrale Fiorentina“ gegründet, die es schon im ersten Jahr auf 22 Konzerte, fast alle unter Guis Leitung, brachte. Ab 1931 fanden die Konzerte im Politeama

Fiorentino statt, das ursprünglich eine 1862 erbaute, ungedeckte Arena war, welche 1932 überdacht und umgebaut wurde, um von nun an der ständige Sitz der „Maggio Musicale Fiorentino“ zu werden. Am 1. Mai 1944 wurde das Theater durch Bomben in Brand gesteckt, zunächst provisorisch adaptiert und erst in den Jahren 1957 bis 1961 in der heutigen Form wiederhergestellt beziehungsweise neugestaltet. shttT) ,

Mit dem Programm für den ersten „Maggio“ (1933), der zuerst alle drei Jahre stattfinden sollte, jedoch sofort auf das Intervall von zwei Jahren festgesetzt wurde, um sehr bald eine alljährliche Institution zu werden, waren auch die Richtlinien für die künftigen Jahre gegeben: vor allem sollten die Werke bereits bekannter älterer Komponisten Italiens einem internationalen Publikum vorgeführt werden — dagegen sprach der damalige Generalsekretär des Festspielkomitees, Guido M. Gatti, und riet zur Aufführung zeitgenössischer Autoren des In- und Auslandes — eine Anregung, welche den Intentionen Maestro Francesco Sicilianis besonders entgegenkam, der ab 1949 die künstlerische Leitung des „Maggio“ innehatte, um 1957 jene der Mailänder Scala zu übernehmen und gleichzeitig seine Arbeit in den Dienst eines anderen Musikfestivals zu stellen: der im Jahre 1937 gegründeten „Sagra Musicale Umbra“.

Hielt man sich besonders in den ersten Jahren des „Maggio“ vor allem an die italienischen Meister des 19. Jahrhunderts, so waren es vom Beginn an die Maler und Bühnenbildner modernster Richtung, welche die Ausstattung der alten beziehungsweise veralteten italienischen Opern dem Geschmack des heutigen Publikums nahebringen sollten. So wurden unter vielen De Chirico, Casorati, Mario Sironi, Gino Severini berufen — um nur einige der bedeutendsten zu nennen. Auch die Regie sollte der Hand eines seinem geistigen Konzept und seinen praktischen Methoden nach modernen Meisters anvertraut werden; so wurden bereits im Gründungsjahr Max Reinhardt und Jacques Copeau berufen, und ihnen dankt man zwei besonders wertvolle und interessante Inszenierungen von besonderer Schönheit: die Märchenzauberwelt des Boboli-Gartens bot der Märchenzauberwelt Shakespeares den magischen Raum, den nur die freie Natur bieten kann — nie noch hatte Reinhardt den „Sommernachtstraum“ so träumen können! Im Kreuzgang von Santa Croce gestaltete Copeau das „Mistero di Sant' Uliva“, das nach der Meinung von Vincenzo de Bartholomaeis aus dem 16. Jahrhundert stammt und in seiner Entstehungszeit mit einer Riesenkomparserie, einem hochentwickelten mechanischen Bühnenapparat ausgestattet war und ein reiches Szenarium verlangt und 'verwirklicht hat,'Besonders interessant sind die interpolierten, sozusagen obligaten „inteimezzi musicali“, deren Funktion gar nicht so weit entfernt ist von jener der Kompositionen Giulio Caccinis, welche Rinuccis „Euridike“ umrahmten, um nicht zu sagen: garnierten. Sicher ist. daß die herbe und strenge Schönheit des mittelalterlichen Kreuzganges der ideale Schauplatz für die Gestaltung eines Mysterienspieles war, das unter der Meisterhand Copeaus eine Vertiefung und geistige Dichte erhielt, die den zu großangelegten Schauspielen entwickelten „sacri reppresentazioni“ des 16. Jahrhunderts längst abhanden gekommen war.

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Diese sind es, auf welche die Tradition der Freilichtaufführungen zurückführt, denen in unseren Tagen das besondere Interesse und die uneingeschränkte Begeisterung der Besucher des „Maggio Musicale Fiorentino“ gilt. Aus den „devoziones“, Andachtsübungen, deren musikalisch-dramatische Gestaltung viele Zuseher anlockte und die deshalb mit der Zeit „all' aria aperta“, in die freie Luft, nämlich auf die Plätze und Straßen verlegt werden mußten, hatten sich allmählich figuren- und requisitenreiche geistliche Schauspiele entwickelt; das früheste auf Florentiner Boden ist das 1303 nachgewiesene Spiel von Ponte Caraja.

Die andere Wurzel des Theaters unter freiem Himmel liegt dort, wo die Wiege jeder Kunstübung in Italien zu finden ist, nämlich auf antikem Boden. Wieder erstanden, neu belebt und den Menschen des 20. Jahrhunderts zugänglich, sind die klassischen Dramen und Komödien in den Freilufttheatern Siziliens und der Apenninenhalbinsel, während die im Kult der Götter und Dämonen wurzelnden rituellen Feiern nur in ihren Ausläufern erkennbar sind, die sich in der religiösen und profanen Folklore erhalten haben — der scheinbar profanen Folklore, müßte es richtiger heißen, denn der Keim jeden Brauchtums liegt im Ritus, und diesen aufzuspüren ist zum besonderen Anliegen der Volks- und Völkerkunde und auch der Psychologie geworden.

Italien ist überreich an ständigen Musik- und Theaterfesten; die meisten von diesen haben ihre bestimmte Programmation, ihre präzis gestellte Zielsetzung und ihre, auch in den mannigfachsten Darbietungen klar erkennbare Linie. Da ist vor allem die „Sagra Musicale Umbra“, die Festwochen Umbrischer Musik in Perugia zu nennen, die österliche .Woche der liturgischen Musik“ in Palermo und Monreale, der „Wettbewerb des Chorgesangs“ in Arezzo, das Musikfest von Venedig, die klassischen Aufführungen in Syrakus, Taormina, Ostia und fast überall dort, wo es antike Tempel gibt, das „Festival dei due mondi“ in Spoleto, die Musikwochen von Siena und noch viele andere.

Welchen Platz nimmt nun der „Maggio Musicale Fiorentino“, einer deT ältesten Musik- und Festspielzyklen Italiens, in dieser glanzvollen Reihe ein?

Übersieht man die Programme der 25 Aufführungsjahre, auf welche Florenz zurückblickt, so ist sowohl eine bedeutende Erweiterung des ursprünglichen Konzepts als auch ein großzügiger Ausbau auf allen Sektoren festzustellen, durch welche, dank der Heranziehung der hervorragendsten Künstler aus aller Welt, die Florentiner Festwochen zu einem der beglückendsten Ereignisse in einem der schönsten Orte Europas geworden sind.

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