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Meyerbeer verstimmt Florenz

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Wer das Musikleben Italiens mit Interesse verfolgt, muß mit Befriedigung feststellen, daß sich nun auch die Pflege der Musik — lange Zeit im Gegensatz zu der so regen der bildenden Künste- — intensiv weiterentwickelt. Die Teilnahme des großen Publikums am Wirken der schaffenden und ausführenden Musiker wird nachgerade erstaunlich: hauptsächlich dank jener der Jugend, die neuerdings ihr Interesse durch häufigen Besuch von Opern-und Kon zertveranstaltungen lebhaft bekundet. In Florenz — bis vor kurzem als Mittelpunkt eben jener bildenden Künste bekannt und berühmt — konnten in dieser Saison oft bis zu drei musikalische Ereignisse pro Abend vor vollen Sälen stattfinden. Und nun, da eines der ersten der in Europa so zahlreich gewordenen Musikfestivals, der wohlbekannte „Maggio musicale Fiorentino“, zum einunddreißigsten Mal angekündigt wurde, sind alle Veranstaltungen im Nu ausverkauft worden.

Die angekündigte Reihe von Veranstaltungen wurde mit einer großaufgezogenen, kaum noch bekannten Oper „Robert der Teufel" von Giacomo Meyerbeerglanzvoll er- eröffnet. Der Glanz strömte nicht so sehr aus dem recht antiquierten, gar nicht mehr „teuflischen“ Sujet des Werkes, auch nicht so recht aus der langwierigen, oft brillant konzipierten, doch eben dem heutigen Zuhörer nicht mehr durchwegs verdaulichen Tonika-Dominanten- Vertonung: Verharren in musikalischen Klischees, nur zu häufige Wiederholungen eines jeden ursprünglich fesselnden Einfalles ermüden etwas; hingegen fasziniert die äußerst gewandte, ja bravouröse Handhabung der immer noch wirkungsvollen unverfälschten Atmosphäre der „grand opera“.

Alles war an dieser Aufführung „grand“: das volle vier Stunden lange Verharren in der Technik jenes so simpel anmutenden Fortschreitens, der riesenhafte Chor, der Aufwand in den Szenerien, Kostümen und Regieeinfällen. Was dabei kaum herauskam, war das „teuflische“ Element des Stoffes; wie es die beiden, an und für sich vorzüglichen Sä'nger, Boris Christoffals jene teuflische, doch etwas unklare Figur des Bertram, dem es nicht gelingt, den Titelhelden Roberto, dargestellt von Giorgio Merrighi, ins Verderben zu führen, verkörperten. Und dem überfüllten Haus schien trotz aller vorzüglichen Leistungen des Ensembles die ganze Sache nicht besonders ansprechend; bloß die Darstellerin der weiblichen Hauptpartie, Renata Scotto, erntete mit ihrer großen Gesangskunst jenen minutenlangen, donnernden Applaus, der auf italienischen Bühnen noch und noch —- diesmal vergeblich! — nach Wiederholungen und Zugaben verlangt. Und so mancher jener zahlreichen Hörer, deren Bedarf an ,, großer Oper“ nach vollen vier Stunden götter- dämmeruhgsartiger Dauer etwas zuviel wurde, schied von seinem Sitz wohl mit der Empfindung, daß weniger mehr gewesen wäre. Angesichts der luxuriösen Blumendekorationen des Hauses hörte man etwas Gemurmel: „Zwölftausend Nelken für einen armen Teufel…!“

Unter einem noch ungünstigeren Stern stand der zweite Abend des „Maggio“-Programmes; in letzter Minute sagte plötzlich unmotiviert und willkürlich Jon Vickers ab; ohne den Intendanten von seiner Absicht zu benachrichtigen, war er wegen angeblicher Gesundheitsstörungen aus Florenz geflüchtet. Die Aufführung von Verdis „Othello“ setzte er damit in bedenklich undisziplinierter Weise aufs Spiel.

Das Publikum, verärgert durch die Absagekomplikationen, konnte sich nur wenig für Verdis spätes Meisterwerk erwärmen, zumal die musikalische Leitung unverständlicherweise dem Engländer Edward Downesanvertraut worden war.

Die durch solche Ereignisse ziemlich gedrückte Stimmung wurde mit einem Schlag durch das Erscheinen eines wirklich erstklassigen Dirigenten gehoben, der ein prachtvoll ausgewogenes Programm zu Gehör brachte: Die sich stets steigernde, durchaus motivierte Beliebtheit des mit Florenz seit jeher eng verbundenen Carlo Maria Giulini wurde geradezu ein Fest mit Beifallssalven, wie man sie auch in diesem begeisterungsfähigen Lande nur selten hört. Die Aufführung einer der letzten Mozart-Symphonien, jener in Es-Dur, und noch mehr von Rossinis selten gehörtem „Stabat Mater“ rissen den vollen Saal zu begeistertem Applaus und „Bravo“-Rufen hin. Orchester und Chor schienen unter dem Einfluß eines Leiters solchen Niveaus hingerissen und geradezu ausgewechselt; auch das Solistenquar.tett, darunter die amerikanische Mezzosopranistin Eleanor Steber, die durch ihre perfekte Gesangskunst besonders auffiel, gab das Beste. Somit konnte das überaus befriedigte Publikum in wesentlich gebesserter Stimmung — nur mit dem Wunsch, recht bald ähnlich hochwertige Musik zu hören — von dieser ersten Periode des diesjährigen Maifestes scheiden.

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