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Nur wenig Faszinierendes

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Zum 23. Male versuchten heuer die Verantwortlichen der Berliner Festwochen einen Monat lang die kulturelle Potenz der herbstlich gestimmten Stadt an der Spree einer Öffentlichkeit zu präsentieren, die eigentlich nur verhältnismäßig wenig von diesem Bemühen Notiz nimmt. Mit international besetzten Konzerten, Tanz- und Theateraufführungen, Literaturveranstaltungen unterschiedlichster Art sowie zahlreichen Ausstellungen ist man bemüht, ein aus der Vergangenheit, vor allem aus der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen stammendes Image möglichst progressiv-experimentell aufzumöbeln. Halbleere Theater und Konzertsäle — wenn es sich nicht gerade um ein Philharmonikerkonzert unter Karajan oder Böhm handelt — bezeugen dabei verhältnismäßig geringe Gegenliebe für das Bestreben der Kulturmanager, deren jüngster Sproß, Dr. Ulrich Eckhardt, heuer als Nachfolger des bisherigen Festspielleiters, Walther Schmieding, seine vieldiskutierte Feuertaufe erlebte.

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Zum 23. Male versuchten heuer die Verantwortlichen der Berliner Festwochen einen Monat lang die kulturelle Potenz der herbstlich gestimmten Stadt an der Spree einer Öffentlichkeit zu präsentieren, die eigentlich nur verhältnismäßig wenig von diesem Bemühen Notiz nimmt. Mit international besetzten Konzerten, Tanz- und Theateraufführungen, Literaturveranstaltungen unterschiedlichster Art sowie zahlreichen Ausstellungen ist man bemüht, ein aus der Vergangenheit, vor allem aus der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen stammendes Image möglichst progressiv-experimentell aufzumöbeln. Halbleere Theater und Konzertsäle — wenn es sich nicht gerade um ein Philharmonikerkonzert unter Karajan oder Böhm handelt — bezeugen dabei verhältnismäßig geringe Gegenliebe für das Bestreben der Kulturmanager, deren jüngster Sproß, Dr. Ulrich Eckhardt, heuer als Nachfolger des bisherigen Festspielleiters, Walther Schmieding, seine vieldiskutierte Feuertaufe erlebte.

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Der bislang für das kulturelle Profil der Stadt Bonn zuständige jüngere Mann versuchte allen Kritikern, die seiner heurigen Programmierung zu geringe Breitenwirkung vorwarfen, mit der Feststellung den Wind aus den Segeln zu nehmen, daß die Berliner Festwochen nicht den Ehrgeiz entwickeln, ein internationales Spektakel mit Massenandrang zu werden. Wörtlich: „Die Berliner Festwochen sind kein Festival, das dem Tourismus dient. Berlin kann nicht mit einem reizvollen Rahmen wie etwa Bregenz lok-ken. Also müssen wir das fehlende Dekor durch inhaltliche Leistung wettmachen. Diese Leistung muß profilierter werden als bisher. Wir dürfen nicht versuchen, andere Festspielmodelle nachzuahmen, sondern müssen eigene Wege finden.“ Ost-West-Begegnungen, Workshop-Veranstaltungen und Diskussionen, oft nur in kleinem Kreis und praktisch unter Ausschluß der Öffentlichkeit durchgeführt, liegen auf dieser Linie. Motto: „Die Chance der Berliner Festwochen liegt nicht in der Repräsentation, sondern in der Information.“ Zusammen mit anderen Bemerkungen über „erweiterte Kulturarbeit“ und Arbeit an der Basis im „Werkstatf'-Charakter, also viel Programmatisches für Zukunftshoffnungen mit unbestimmter Erfüllungsdauer. Manches davon hat einen leichten Beigeschmack von progressiv aufgemascherltem Dilettantismus, zumindest, wenn man einiges von dem in diesem Jahr Gebotenen als Kriterium heranzieht. Wofür freilich der neue Festivalleiter die Verantwortung ablehnt und sich nur als Abwickler und Vollstrecker einer vorgefundenen Struktur fühlt. Erst 1974 sollen seine eigenen Gestaltungsideen zum Tragen kommen. Warten wir sie fairerweise ab und registrieren wir nur „sine ira et studio“, was wir 1973 an der Spree zu sehen und zu hören bekamen.

Dabei war der Auftakt mit aus dem Ausland herbeizitierten Mimen und Ensembles durchaus erfreulich und vielversprechend. Die Pariser Theater-Originalität Pierre Spiva-

koff und seine Getreuen boten im Berliner „Reichskabarett“ eine vielbejubelte Travestie auf die von der legendären Theaterfürstin Sarah Bernhardt 1888 für den eigenen Hausgebrauch gezimmerte, melodramatische Ehebruch-Tragödie ,JDas Geständnis“, deren schwülstige Romantik und Gefühlsduselei Spi-vakoff als altgeschminkter Transve-stit in der Rolle der ehebrechenden Gräfin zu einer rasanten und entlarvenden Clownerie faulen Kulissenzaubers machte. Exhibitionistische Parodie auf Pathos und Plüsch in mitreißender mimischer Vollendung von Prinzipal und Truppe.

Temperament, Komik und blit-zend-beißende Ironie servierten auch die spielfreudigen Mitglieder des Teatrul de Comedie aus Bukarest mit dem Stück „Die Indianer“ von Arthur Kopit in der Inszenierung von Lucian Giurchescu und die vielleicht nocht spritzigere Aufführung von Bertolt Brechts „Mann ist Mann“ aus den Händen desselben Regisseurs.

Dagegen entfalteten die aus New York angereisten „Künstler“ mit ihrer „Medicine Show“ ein mit Reminiszenzen an Rothautromantik und Freiheitskriege gespicktes Tingeltangel-Kabarett voll provinzlerischem Dilettantismus, für Kirtags-Rummel zu gebrauchen. Auch das für den zweiten Abend dieser Truppe in der Akademie der Künste mit „Frogs“ (Frösche) erwartete Bekenntnis zum Theater blieb aus, trotz der laut ihrem Programmheft angeblich von der mythisch verklärten Dichtung des Aristophanes bezogenen Inspiration.

Nicht viel mehr Glück hatten dann ebenfalls ihre Landsleute vom 1961 in New York City entstandenen „Breod and Puppet Theatre“ mit ihrer bewußt auf Armseligkeit und Primitivität getrimmten Darbietung „Damit einfaches Licht aus verworrener Finsternis erwächst“. Ihr nicht immer leicht zu entschlüsselnder Bilderreigen voll maskenschwankender Gestalten war zudem noch in

der goldweiß-gerahmten Plüsch-Eleganz des Theaters am Kurfürstendamm völlig falsch am Platz. Als agitatorisches Straßentheater hatten sie vor einigen Jahren auf Plätzen und Hinterhöfen in Berlins Arbeiterbezirken mehr Widerhall. In der luxusbetonten Umgebung fühlten sich die jugendlichen Akteure ebensowenig wohl wie ihre meist jeansbehosten Besucher beiderlei Geschlechts.

Auch der katalanische Eiertanz um Mary, den die „Eis Jogiars“ aus Barcelona auf der Bühne des Renaissance-Theaters aufführten, gehört ungefähr in die gleiche Kategorie. Das mit menschlichen Urlauten unterspickte Gerangel von drei jungen Paaren in einem offenen Kubus aus Metallrohren mit Hilfe von überdimensionalen Nylon-Strips zeugte zwar von körperlicher Elastizität mit leicht sexuellen Vorzeichen, aber es wurde, auf 90 Minuten gedehnt, doch zu einer primitiven Langeweile, an der die akrobatisch gut eingespielten Mitwirkenden sicher mehr Spaß hatten als ihre Zuschauer.

*

Bei den ständig in Berlin domizilierten Theatern zogen sich die Staatlichen Schauspielbühnen unter ihrem Generalintendanten Hans Litzau mit ihren Festwochenbeiträgen — sie stehen ja mehr oder weniger außerhalb jeglicher Ingerenz der Festspielleitung — noch am besten aus der Affäre. Zwar wußte die von Ernst Schröder zwischen melodramatischem Stimmungstheater und soziologischer Analyse angesiedelte Inszenierung von Maxim Gorkis Drama „Die Letzten“ über den Niedergang einer Familie und einer Epoche trotz hervorragender schauspielerischer Leistungen von Carla

Hagen, Loni von Friedl, Thomas Holtzmann, Helmut Wildt, Berta Drews und Lieselotte Rau nicht völlig zu überzeugen.

Dafür aber geriet dem jungen Regisseur Harald Giemen, wirksam unterstützt durch die stimulierenden Puppenstubendekorationen von John Gunter in der Werkstatt des Schülertheaters, die Wiedergabe des Bergarbeiter-Schauspiels „Die Schwiegertochter“ des englischen Autors D. H. Lawrence, den meisten nur als Romancier und Verfasser der skandalumhüllten „Lady Chat-teriey“ bekannt, zu einem dichten und gelungenen Hymnus auf einen liebevoll nachgezeichneten Bühnen-Realismus aus dem ersten Dezennium unseres Jahrhunderts. So entstand ein lebensechtes, sozialkritisches Bild von den menschlich-erotischen Spannungen in zwei Kumpel-Familien, deren Schicksal zudem noch von materieller Not und daraus resultierenden politischem Aufbegehren überschattet ist. Prächtig Lu Säuberlich als die aus hartem Holz geschnitzte Mutter, der Uta ..Hjllant in der Gestalt der nach sozialem Aufstieg strebenden Schwiegertochter an Eindringlichkeit nicht nachstand.

Beachtlich ferner die wohldurchdachte Inszenierung des antiken Schauspiels „Die Vögel“ des Aristophanes durch Dieter Dorn im Schiller-Theater. — Vielleicht bescheren uns die künftigen Berliner Festwochen wieder stärkere und prägnantere Theatererlebnisse.

Kulturnotizen

• Sieben Konzerte in Tokio und drei in Osaka stehen auf Herbert von Karajans Programm der diesjährigen Fernost-Gastspielreise mit den Berliner Philharmonikern, die am 25. Oktober begann. Bis zum 4. November dirigiert Karajan sieben verschiedene Konzertprogramme — von der Wiener Klassik bis zu Arnold Schoenberg.

• Der Spielplan der Burgenländi-schen Festspiele (Intendant: Professor Herbert Alsen) für 1974 ist bereits fixiert. Auf der Burgbühne zu Forchtenstein hat am 8. Juni Grill-parzers „Medea“ Premiere. Die Titelrolle wird Elisabeth Orth spielen, inszenieren wird Klaus Maria Brandauer, das Bühnenbild entwirft Karl Eugen Spurny.

• Auf der Mörbischer Seebühne kommt am 27. Juli Zellers Operette „Der Vogelhändler“ heraus. Für die Inszenierung konnte der Direktor der Wiener Volksoper, Carl Dönch, gewonnen werden, für die musikalische Leitung Walter Goldschmidt, die Bühnenbilder entwirft auch hier Karl Eugen Spurny.

• Der A-cappella-Chor Zeltweg wurde von Prof. Cesar Bresgen mit der Uraufführung seiner „Deutschen Totenmesse“ am Freitag, 2. November, um 19.45 Uhr im Dom zu Seckau betraut. Der Orgelpart des Requiems sowie die beiden Epitaphe spielt Bresgen, der vor wenigen Wochen seinen 60. Geburtstag beging, persönlich.

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