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... doch der Ausdruck ist famos“

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Die Sonderstellung, welche die 1947 gegründete und im ehemaligen Metropoltheater installierte „Komische Oper Berlin“ in der DDR einnimmt, ist bekannt. Ihr ständiger Intendant war und ist der Wiener Walter Felsenstein, der in seiner Vaterstadt unter nicht gerade festlichen Auspizien seinen 71. Geburtstag begehen konnte. Seine Modellinszenierung von „Hoffmanns Erzählungen“ aus dem Jahr 1958, die im Theater an der Wien in der Bühnenform und mit der Besetzung von damals vorgeführt wurde, fand nicht den erwarteten Beifall und wurde von der Wiener Fachkritik arg gezaust.

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Die Sonderstellung, welche die 1947 gegründete und im ehemaligen Metropoltheater installierte „Komische Oper Berlin“ in der DDR einnimmt, ist bekannt. Ihr ständiger Intendant war und ist der Wiener Walter Felsenstein, der in seiner Vaterstadt unter nicht gerade festlichen Auspizien seinen 71. Geburtstag begehen konnte. Seine Modellinszenierung von „Hoffmanns Erzählungen“ aus dem Jahr 1958, die im Theater an der Wien in der Bühnenform und mit der Besetzung von damals vorgeführt wurde, fand nicht den erwarteten Beifall und wurde von der Wiener Fachkritik arg gezaust.

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Manchmal ist es von Vorteil, eine Premiere zu versäumen. Bei der zweiten Aufführung gab es einen neuen stimmkräftigen Hoffmann, das Ensemble hatte, von wiederholtem Szenenapplaus ermutigt, den Schock überwunden, sang — dem Vernehmen nach — im ganzen lauter und zeigte im Spiel und Ausdruck, was es gelernt hatte. Und das ist sehr, sehr viel.

In Felsensteins Regie ist nichts dem Zufall überlassen. Und trotzdem hat man nie den Eindruck des automatisch-mechanischen Ahrollens, obwohl wir der 196. Aufführung beiwohnten. (Diese Inszenierung wurde übrigens nicht nur in Ostberlin von vielen auswärtigen Besuchern gesehen, sondern in sechs anderen Städten in West und Ost gezeigt.)

Sie unterscheidet sich in vielem und sehr wesentlich von der bei uns üblichen. Man weiß, daß Offenbach seine letzte und einzige große phantastische Oper im Wettlauf mit dem Tode schrieb und unvollendet hinterließ. Nicht nur die Instrumentierung, sondern auch ganze Teile stammen von dem Freund der Familie Offenbach, Ernest Guiraud. Ihm „verdanken“ wir, wie bei „Carmen“, die vielen Rezitative und andere Adenda.

Natürlich hielt sich Felsenstein nicht an diese Bearbeitung, sondern ging auf das 1851 im Pariser Odeon-Theater uraufgeführte und jahrelang mit Erfolg gespielte fünf-aktige Schauspiel „Les Contes d'Hoffmann“ von Barbier und Carre zurück. Danach begann er, Mikrofilme von allen vorhandenen Klavierauszügen, Skizzen und Entwürfen Offenbachs zu sammeln. So entstand, nach jahrelangen Vorbereitungen und in Zusammenarbeit mit Karl-Fritz Voigtmann als musikalischem Berater und Bearbeiter (der euch die Aufführung dirigierte) diese neue Berliner Fassung, getreu dem bei allen Felenstein-Inszenierungen befolgten Prinzip: „die richtige Akt-und Szenenfolge wiederherzustellen, den Text zugleich wortgetreu und dichterisch in die deutsche Sprache zu übertragen, dem Gestaltungswillen und dem Geist des Autors nachzuspüren.“

In Felsensteins Bearbeitung finden wir viel gesprochenen (versifizierten) Dialog, eine Muse, die sich nach dem ersten Bild in den ständigen Begleiter, Vertrauten und Mahner Nikiaus verwandelt, der mit seinen Kommentaren den ein wenig didaktischen Charakter der Aufführung verstärkt sowie eine engere Verbindung der drei „Geschichten“ Hoffmanns mit der Rahmenhandlung in Lutters Weinkeller.

Stella, Olympia, Antonia und Giulietta spielt die bildhübsche Melitta Muszely, den Stadtrat Lindorf, Coppelius, Doktor Mirakel und Dapertutto der souverän und sicher charakterisierende Rudolf Asmus. John Moulson ist ein interessanter, etwas massiver Hoffmann. Er verfügt auch über die beste Stimme in diesem Ensemble. Felsensteins Inszenierung ist für singende Schauspieler geschaffen. Aber man darf sich nicht mit der Feststellung begnügen, daß er aus der Not eine Tugend macht. (Bekanntlich spielt die „Komische Oper Berlin“ ausschließlich mit hauseigenen Kräften und womöglich in der Premierenbesetzung, nur ab und zu gibt es Alternierungen.)

Das Orchester unter der Leitung von Karl-Fritz Voigtmann spielt präzis und ist von mittlerer Qualität, ebenso wie die meisten Stimmen, wir sagten es bereits. („Meine Stimme ist nicht groß, doch der Ausdruck ist famos“, heißt es da einmal im Text.) Aber alles Optische hat höchsten Rang und verdient eine detaillierte Beschreibung. Die noblen Farben und phantastischen Kostüme ergeben einen Gesamteindruck von makabrem Prunk, der durch den an einen Katafalk erinnernden schwarzgoldenen klassizistischen Rahmen noch verstärkt wird. Hier hat der Bühnen- und Kostümbildner Rudolf Heinrich Hervorragendes geleistet. Reichlicher Szenen- und Schlußapplaus dankte den Berliner Gästen für ihre lehrreiche Ensembleleistung. *

Offenbachs „Barbe bleue“ aus dem Jahr 1866 ist nicht eine beliebige seiner 102 Operetten, sondern eine der witzigsten und unterhaltsamsten. Der merkwürdig-düstere Stoff von dem Ritter, der die vielen schönen Frauen, die er liebte, immer auch heiraten wollte — und der daher die jeweils letzte beseitigen lassen mußte — hat in neuer Zeit die Komponisten Dukas, Bartök und Rezni-cek zu Opern angeregt. Meilhac, Halevy und Offenbach geben diesem Motiv natürlich eine satirische Wendung und machen aus dem Ganzen einen parodistischen Schwank mit fünffacher Hochzeit der Totgeglaubten als Happy-End.

Die neue deutsche Bearbeitung stammt von Felsenstein und Horst Seeger, die musikalische Einrichtung wieder von Karl-Fritz Voigtmann. Die Inszenierung im Theater an der Wien, die wir sahen, stammt aus dem Jahr 1963 und war die 160. Aufführung. Sie zeigte keinerlei Abnützungserscheinungen und hat sich, was Regie und Ausstattung betrifft, recht frisch erhalten. Anny Schlemm agierte und sang ein robustes Landmädchen, Ingrid Czerny eine anmutige Schäferin, Manfred Hopp einen verliebten Schäfer, Werner Enders die Karikatur eines tyrannischen Königs, Ruth Lipka war eine gut aussehende, hoheitsvolle Königin. Als Ritter Blaubart bot Hanns Nocker in Darstellung und Spiel eine respektable Leistung. Rudolf Asmus tat als Alchemist Po-polani, was er im Dienst des Königs zu tun hatte. Vielmehr — er tat es nicht, sondern ersetzte das den schönen Damen zugedachte Gift durch einen Schlaftrunk.

Auch hier klappte die Regie wie am Schnürchen. Auftritte, Gruppenszenen, Verwandlungen — das ging so flott wie Offenbachs reizende Musik. Das Hübscheste, Pikanteste hat Wilfried Werz als Ausstatter zu der Aufführung beigesteuert, indem er in den Kostümen und Dekorationen die verschiedenartigsten Stilelemente durcheinandermischte und harmonisierte. Klassizistisches, Folkloristisches, Plüsch der Belle Epoque und Rudimente des Deux-ieme Empire. Ein besonderes Lob gebührt — wie schon in „Hoffmanns Erzählungen“ — dem Chor und dem Orchester unter der Leitung von Voigtmann. — Die seit 1963 auch in Venedig, Bukarest, Moskau, Bologna und Paris gezeigte Inszenierung (wo sie bei einem internationalen Theatertreffen den 1. Preis erhielt) wurde im Theater an der Wien lebhaft akklamiert.

• Das Ehrenmitglied des Burgtheaters, die Hof Schauspielerin Else Wohlgemuth, eine der größten Tragödinnen des deutschsprachigen Theaters, ist am 29. Mai in ihrem 92. Lebensjahr verstorben. Nach einer feierlichen Verabschiedung auf der Feststiege des Burgtheaters wurde die geachtete und beliebte Künstlerin auf dem Hietzinger Friedhof in der Familiengruft beigesetzt.

• Durch Dichtung angeregte graphische Essays von Schülerinnen und Schülern zwischen 10 und 13 Jahren aus dem Lycee Francais werden vom 5. bis 30. Juni im Palais Lobkowitz ausgestellt. Die Besichti-tung ist von 10 bis 12.30 und von 14.30 bis 19 Uhr an allen Wochentagen außer Samstag möglich.

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