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Der Steirische Herbst ist da

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Mit noch größcrem Erfolg als im Vorjahr, vor allem aber mit noch mehr internationaler Beachtung dürfte.; Österreichs- südlichstes Festival heuer rechnen können. Der ,.St einsehe Herbst“ in seiner besonderen und unverwechselbaren Anlage, seiner progressiven,,aber nicht nach.billigem Effekt strebenden Zusammenschau' der Künste, von wissenschaftlichen Veranstaltungen sinnvoll umkränzt, hat sich -bewährt. Man hat aus den Fehlern des Anfangs gelernt, die Zahl der Darbietungen reduziert und ihnen durch Konzentration mehr Gewicht gegeben. Internationale Kapazitäten referierten auf der ..Steirischen Akademie“ zum Thema „Tradition und Fortschritt“, der ORF veranstaltete ein Literatursymposium über „Tradition und Variation“, in dem versucht wurde, an Hand von Hauptgestalten der Weltliteratur die Dauer im Wechsel zu demonstrieren; groß ist die Zahlder Ur- und Erstaufführungen: über sie soll zumindest teilweise noch berichtet, werden.

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Mit noch größcrem Erfolg als im Vorjahr, vor allem aber mit noch mehr internationaler Beachtung dürfte.; Österreichs- südlichstes Festival heuer rechnen können. Der ,.St einsehe Herbst“ in seiner besonderen und unverwechselbaren Anlage, seiner progressiven,,aber nicht nach.billigem Effekt strebenden Zusammenschau' der Künste, von wissenschaftlichen Veranstaltungen sinnvoll umkränzt, hat sich -bewährt. Man hat aus den Fehlern des Anfangs gelernt, die Zahl der Darbietungen reduziert und ihnen durch Konzentration mehr Gewicht gegeben. Internationale Kapazitäten referierten auf der ..Steirischen Akademie“ zum Thema „Tradition und Fortschritt“, der ORF veranstaltete ein Literatursymposium über „Tradition und Variation“, in dem versucht wurde, an Hand von Hauptgestalten der Weltliteratur die Dauer im Wechsel zu demonstrieren; groß ist die Zahlder Ur- und Erstaufführungen: über sie soll zumindest teilweise noch berichtet, werden.

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Nicht ganz so harmonisch und klaglos fügt sich bisher der Beitrag der Vereinigten Bühnen ins Programm. Es zeigt sich, daß es Schwierigkeiten gibt bei Erfüllung einer Doppelfurtk-tion, die sich das Theater aufgelastet hat: die Anstrengungen für mehrere Uraufführungen lassen sich nicht ohneweiters mit dem gleichzeitigen Beginn einer normalen Theatersaison vereinen. Die Konzentration auf die Mitwirkung der Grazer Theater beim Steirischen. Herbst müßte in Zukunft Vorrang haben. Nun, die Ära Fritz Zecha, an die mit Recht große Erwartungen geknüpft wurden, hat mit einigem Glanz begonnen. Der neue Schauspieldirektor hatte sich eines Co-Regisseurs versichert und mit diesem zusammen die beiden ersten großen Premieren inszeniert. Dieser Mitgestalter heißt Eugen Drmola, ist Tscheche und arbeitet derzeit bei Ingmar Bergman in Stockholm. Zecha und Drmola schufen in gegenseitigem Argumentieren und Diskutieren eine Sdmitzler-Insze-nlerung, die Vergleiche nicht zu scheuen braucht. Die Einakter „Große Szene“, vor allem aber „Komtesse Mizzi“ gelangen in bestechender Sauberkeit und geradezu hintergründiger Klarheit des Dialogs. Vielleicht waren die Konturen etwas schärfer als gewohnt, die Seelenlandschaft weniger weich, weniger unverbindlich, auch weniger unbeschwert —, und so fühlte man sich denn stärker als üblich an Tschechow erinnert. Es ist erstaunlich, was die Regie den Grazer Schauspielern, voran der ausgezeichneten Hertha Heger, an neuen, bisher nicht gekannten Nuancen abgewinnen konnte.

Seinen eigentlichen Einstand in der neuen Funktion feierte Zecha dann (ebenfalls in Gemeinschaftsregie mit Eugen Drmola) mit der österreichischen Erstaufführung des „Coriolan“ in Brechts Bearbeitung. In den fünfziger Jahren hatte Brecht das Werk Shakespeares umgeschrieben; erst nach seinem Tode wurde es auf der Bühne gezeigt. (Die Arbeit Brechts an Shakespeares Stück Ist ja der Ausgangspunkt von Günter Grassens „Die Plebejer proben den Aufstand“.) Bertolt Brecht hatte die Charaktertragödie Shakespeares umgeändert zur paradigmatischen Geschichte vom Aufstieg der unterdrückten Klasse. Coriolan, den sein Stolz zur tragischen Figur macht, geht bei Brecht zugrunde durch den Glauben an die eigene Unersetzlichkeit. Der Held wird unifunktioniert zum Feind der Werktätigen, die wankelmütigen und furchtsamen Plebejer sind nunmehr brave, demokratisch gesinnte Arbeiter und Handwerker, und Volumnia, Shakespeares überdimensionale Muttergestalt, schickt sich an, die klassenlose Gesellschaft zu verkündigen. Brechts Bearbeitung ist direkter und wendet sich ab von allem „Edlen“ in der Sprache; sie ist jedoch wesentlich ärmer an menschlichen Valeurs als Ihr Vorbüd.

Vor mehreren Jahren erfuhr die Bearbeitung eine weitere Bearbeitung, und zwar durch das Berliner Ensemble. Sie ist dramaturgisch noch wirksamer, sprachlich indessen primitiver. Zecha übernahm — soweit dies hier feststellbar ist — nicht nur das Regiekonzept des Berliner Ensembles, sondern hielt sich selbst in Einzelheiten, besonders in den Schlacht- und Kampfszenen genau an das Berliner Vorbild. Die Realisierung dieser Vorlage gelang so hinreißend und war choreographisch (Klaus Boitze) so meisterhaft durch-instrumentlert, daß Faszination und Begeisterung beim Publikum unausbleiblich waren. Frank Hof mann gab zomglühend, stolz fast monomanisch die Titelrolle. Bei aller Großartigkeit dieser Aufführung, die den „Steirischen Herbst“ eröffnete, ist doch der museale Charakter des Unternehmens nicht ganz zu übersehen.

Von Harvey Schmidt und Tom Jones gibt es ein nettes Ideines Kammermusical für zwei Personen nach Har-togs bekanntem „Himmelbett“. Dieses „Musikalische Himmelbett“ erlebte seine österreichische Erstaufführung in ■ einer beschwingten, gemüt- und reizvollen Inszenierung durch Peter Goldbaum, die allerdings die armselige Musik des Werkchens auch nicht überhörbar machen konnte. Die Oper eröffnete ihre Saison mit einer Neuinzenierung des „Fidelio“ durch Hans Hartleb, die in ihrer mit Realismen durchzogenen Stilisierung eine gute, zeitgemäße Lösung darstellt. Abgesehen von Roberta Knie, die eine zwar sehr statische, aber stimmlich beachtliche Leonore gab, ist über den musikalischen Teil der Aufführung nichts Nenenswertes zu berichten. Edgar Seipenbusch dirigierte vor kurzem einen musikalisch brillanten, überaus exakten, temperamentvollen „Rigoletto“ mit Ferdinand Radovan in der Titelpartie, der schwer zu leiden hatte durch Inszenierung und Dekorationen, die beide einer Aufführung der Pariser Oper in den neunziger Jahren Ehre gemacht hätten. Da darf es einen nicht wundern, daß „Der Mann von La Mancha“ in Haugks Wiener Inszenierung, den die Grazer Stadtgemeinde als Beitrag zum „Steirischen Herbst“ nach Graz lotste, Begeisterungsstürme auslöste. Zwar hat die durch Meinrad und die Aubry so ungemein aufgewertete Musical-Produktion kaum etwas zu tun mit dem steirischen Festival, das sich schon jetzt das „Interessanteste Festspielunternehmen Europas“ nennt. Aber bei so viel Ungewohntem und Avantgardistischem tut es dem Publikum recht wohl, auch einmal etwas genüßlich konsumieren zu können.

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