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Oft nur Sensation statt Ideen

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Von einer echten Pflege moderner Bühnendichtung kann am Burgtheater seit Gielens Abgang nicht mehr die Rede sein. Nicht, daß es in der Ära Häussermann zu wenig Aufführungen moderner Autoren gegeben hätte. Man sah Stücke von Anouilh, Brecht, Camus, Dürrenmatt, Frey, Giraudoux, Hochwälder, Ionesco, Arthur Miller, O’Neill, Sartre, ja sogar von Weiss, doch, von Anouilhs „Becket“ und Camus’ „Die Besessenen“ abgesehen, war kaum eine Aufführung exemplarisch. Während der Zykluskult alter Werke geradezu zu einer Krankheit wurde, konnte man keinen Plan entdecken, der den Aufführungen moderner Werke zugrunde lag. Alles schien dem Zufall überlassen zu sein. Der ständige Besucher wurde nicht auf eine Auseinandersetzung mit der modernen, geschweige denn mit der Gegehwartsdichtung geistig vorbereitet. Er lernte sie nicht von der Idee her, sondern bestenfalls von der Sensation her kennen. So stellte das Burgtheater weder ein Parlament geistiger Auseinandersetzungen dar, was es die meiste Zeit seines Bestehens nicht war, noch ein Herrenhaus, das es laut Stiftungsurkunde sein sollte, die ihm eine exemplarische Auswahl und eine exemplarische Aufführung schon anderswo erprobter Werke zur Pflicht macht. Wer das Burgtheater im letzten Jahrzehnt ständig besucht hat, weiß weder, welches von den Bühhenwerken die Jahre überdauert hat, noch weiß er, was es an interessanten Bühnenwerken in der Gegenwart gibt. Er lernte einfach einige moderne Werke kennen;, weil es eben zum guten Ton gehört, moderne Werke aufzuführen, doch wurden sie nur als eine Art

Vor- oder Nachspeise neben den Hauptgängen serviert.

Der Zerfall des Ensembles

Nun lebt das Burgtheater seit je noch mehr von seinem Ensemble als von seihem Spielplan. Wie steht es heute damit? Es gibt im Grunde kaum noch ein Burgtheaterensemble. Selbst einigen New Yorker Kritikern fiel beim Gastspiel des Burgtheaters nach der Aufführung von Schillers „Maria Stuart“ dieser Mangel auf. Nun gibt es zahlreiche Ursachen, die zum Zerfall des Burgtheaterensembles führten, und ein Großteil von ihnen existierte schon vor der Ära Häussermann. Warum sollten auch die geistigen Auflösungstendenzen der Gegenwart gerade vor den Toren des Burgtheaters haltmachen? In dei Ära Häussermann jedoch ging diese Auflösung rapid vor sich. Dank dei reichen Dotierung, die das Burgtheater vom österreichischen Staat erhält, wurde seit Josef Gielens Ausscheiden als Burgtheaterdirektoi bereits unter Rott und noch mein unter Häussermann immer mehr dei Fassadenkult gepflegt. Häussermanr wollte, daß alle berühmten deutscher Schauspieler an der Burg auftreten was letztlich dazu führte, daß ei keinen wirklich zu fesseln vermochte Noch schlimmer aber ist, daß das heutige Burgtheater ein ärgeres Stilgemisch präsentiert als die meister übrigen deutschsprachigen Theater Einen Burgtheaterstil, gleichgültig wie man über ihn denken mag, gib, es nicht mehr. Ja vielfach vermiß' der Besucher sogar eine kultivierte Sprache auf der Bühne des Burgtheaters, nicht etwa als bewußte Herausforderung uhd als Protes' gegen das „alte“ Theater, was zwai schockierend, aber verständlich wäre, sondern einfach als Folge mangelnder Sprechtechnik der Schauspieler. Ein Ensemble ist eben ohne Pflege nicht möglich. Diese Pflege aber wurde im Burgtheater vernachlässigt. Man berief sich dabei auf das Beispiel der Oper, wo der Ensemblegedanke im Absterben ist,

doch sind Oper und Burgtheater nicht vergleichbar, weil die Sprache jene Grenze setzt, die es in der Musik nicht gibt. Welch hinreißende Wirkung und welch geistige Bedeutung ein gepflegtes Ensemble auch heute noch zu erzielen vermag, beweist Giorgio Strehler mit seiner Künstlerschar.

Das Engagement veta Schauspielern in der Ära Häussermann litt ebenso wie die Spielgestaltung an Planlosigkeit. Einzig der berühmte Name wurde verpflichtet, ungeachtet dessen, ob das Rollenfach nicht schon mit eigenen Leuten besetzt war. So kam es, daß Schauspieler mit Höchstgagen spazierengingen. So kam es aber auch, daß für andere Rollen erst recht Gäste geholt werden mußten, weil im eigenen Ensemble die Besetzung nicht vorhanden war. In einer Direktionsära, die neun Jahre währte, hätte bei leidenschaftlichem Bemühe’n ein Ensemble herangebildet werden können, das in allen Sparten ausgeglichen ist. Schon seil mehr als einem Jahrzehnt ist das Burgtheater beispielsweise nicht im stande, etliche Shakespeare-Stücke, wie etwa „Hamlet“, „Julius Cäsar“ oder „Romeo und Julia“, aufzuführen, und diese Liste mangelnder Besetzungsmöglichkeiten ließe sich fortsetzen bis herauf zu Stücken von Bert Brecht. Eine solche Anti- Ensemble-Politik hatte auch zur Folge, daß große Begabungen mitten in ihrer Entwicklung steckenblieben und daß schauspielerische Schätze nicht gehoben wurden beziehungsweise rosteten.

Schließlich soll noch eine Häussermann persönlich betreffende Feststellung gemacht werden. Ihm fehlte jene innere Leidenschaft, die nun einmal notwenig ist, um ein hervorragender Burgtheaterdirektor zu sein; jene Leidenschaft nämlich, das beste Theater mit dem besten Ensemble zu leiten. Bei Häussermann blieb dies nur ein ehrgeiziger Wunsch. Er glaubte, daß er das beste Ensemble haben würde, wenn er die besten Schauspieler engagiert. Solange die besten Schauspieler jedoch nur Gastspiele geben und nicht mit den anderen zusammenwachsen, bilden sie noch lange kein bestes Ensemble. Man kann eben mit dem meisten Geld nicht das beste Theater machen. Im Gegenteil! Zuviel Geld ist für das Theater bloß schädlich, und schon Gustaf Gründgens erklärte, daß nur ein sparsam geführtes Theater ein gutes Theater sein könne. Auch Herbert von Karajan zeigt bei seinen Osterfestspielen ih Salzburg, mit wie wenig Bürokratie ein gutfunktionierender Theaterbetrieb geführt werden kann. Seit Röbbelings Abgang im Jahre 1938 ist die Bürokratie im Burgtheater bis heute auf das Vierfache angewachsen. Dabei brachte Röbbeling durchschnittlich 30 bis 40 Premieren im Jahre heraus, während es derzeit nur die Hälfte gibt.

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