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Die Welttournee und ihre Kehrseite

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Prestige, Reklame und Fassade ersetzen heute im Burgtheater die Pflege des Ensembles, den geplanten Einsatz moderner Bühnenwerke und die geistige Aufregung vor jeder Theaterpremiere. Einer gewissen Großmannssucht dienten letztlich auch die vor kurzem abgeschlossenen Reisen des Burgtheaters in verschiedene Kontinente. Nichts gegen Gastspiele, doch einiges gegen zu aufgebauschte, vor allem deshalb, weil ein geringeres, aber desto besser vorbereitetes Aufgebot dem Ruhm des Hauses mehr gedient hätte. Der Unterrichtsminister richtete zwar wegen dieser Gastspiele eine große Dankadresse an den Burgtheaterdirektor, doch erwähnte er mit keinem Wort, in welch katastrophalem Zustand sich das Burgtheater während dieser Monate befand. Stücke, die ins Akademietheater gehörten, wurden im Burgtheater aufgeführt und umgekehrt. Es gab laufend Pannen, und ejn Fremder, der mit seinem Wienbesuch auch den des Burgtheaters verband, mußte glauben, er befände sich im Theater einer mittleren deutschen Großstadt. Wenn mit besonderem Stolz darauf hingewiesen wurde, die Reise hätte dem Staat nur vier Millionen Schilling gekostet, dann darf nicht unerwähnt bleiben, daß die normalen Ausgaben für das Haus weiterliefen, das Burgtheater aber während dieser Zeit in Wien ebensoviel an Ansehen verloren hat, wieviel es mit dem Gastspiel im Ausland zu gewinnen imstande war.

Hoffnung auf Hoffmann

Der neue Burgtheaterdirektor, Paul Hoffmann, tritt also kein schönes Erbe an. Er hat bereits während einer Pressekonferenz im März gewisse Prinzipien angeführt, nach denen er das Theater zu leiten gedenkt, und er hat auch eine Liste von Stücken vorgelegt, die in den nächsten Jahren aufgeführt werden sollen. Zwar ist noch keine klare Linie erkennbar, doch berechtigen zumindest drei von Hoffmanns Ankündigungen zu gewissen Hoffnungen. Im Spielplan wird der Gesellschaftskritik eine bedeutende Rolle zugedacht sein. Es gibt wenigstens in der nächsten Zeit kein Engagement von Gästen, und es wird eine neue Form der Gewährung von Urlaub an die Schauspieler ausgearbeitet, nach der nur noch zwei Termine, im März und im September, für die Anmeldung von Urlauben zugelassen sind. Die eine Maßnahme dient der Belebung des Spielplans, die beiden anderen Maßnahmen sollen den Ensemblegedanken stärken.

Hoffmann wird es schwerer haben als sein Vorgänger, dessen glänzende Beziehungen zur Presse von einem anderen Direktor kaum mehr erreicht werden können. Allerdings, wenn Hoffmann dafür mehr Beziehungen zur modernen Literatur und zu den Gegenwartsautoren gewinnt, wird dem Theater auf lange Sicht mehr geholfen sein. Als erfahrener Theatermänn Weiß Hoffmann auch, daß er seine Schauspieler geistig nicht verhungern lasset! darf, Sqh- dern daß er ihnen Aufgaben stellen muß, an denen sie wachsen können. Das Spazierengehen mit hohen Gagen muß auf ein Minimum beschränkt bleiben.

Vor allen aber wird der neue Burgtheaterdirektor Mut benötigen: Mut gegen die Behörde, wenn sie zuviel hineinreden oder gar Zensur spielen will; Mut aber auch gegen den Schlendrian, der sich in Österreich nach dem Elan des Beginnens nur allzu leicht einnistet; und schließlich Mut zum Wagnis. Es muß zwar keine Publikumsbeschimpfung sein, die das Burgtheater bietet, doch eine gewisse Herausforderung des Publikums und ein gewisses Infrage- stelleh des Bisherigen fordert einfach eine geistig so labile Zeit, wie wir sie heute erleben. Nur dann wird auch wieder der heiße Atem wehen, der das Burgtheater aus einem musealen Dasein führt mitten in die geistige und politische Auseinandersetzung der Gegenwart.

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