6792495-1970_46_01.jpg
Digital In Arbeit

Die Provinz im Haus am Ring

19451960198020002020

In den nächsten Wochen wird,' falls die Zeitungsmeldungen stimmen, Unterrichtsminister Gratz einen neuen Burgtheater-Direktor ernennen. Die Namen von Gustav Manker, Heinrich Kraus, Boy Gobert und Kurt Klingenberg werden am häufigsten genannt, doch könnte es auch ein anderer, ein „Progressiverer“, sein. Es ist aber auch nicht ausgeschlossen, daß der derzeitige Direktor bis zum Ende seiner Vertragszeit (1973/74) bleibt. Die geheime Befragung der Ensemblemitglieder, wen sie sich als kommenden Direktor wünschen, hat offensichtlich zu keinem zwingenden Vorschlag geführt.

19451960198020002020

In den nächsten Wochen wird,' falls die Zeitungsmeldungen stimmen, Unterrichtsminister Gratz einen neuen Burgtheater-Direktor ernennen. Die Namen von Gustav Manker, Heinrich Kraus, Boy Gobert und Kurt Klingenberg werden am häufigsten genannt, doch könnte es auch ein anderer, ein „Progressiverer“, sein. Es ist aber auch nicht ausgeschlossen, daß der derzeitige Direktor bis zum Ende seiner Vertragszeit (1973/74) bleibt. Die geheime Befragung der Ensemblemitglieder, wen sie sich als kommenden Direktor wünschen, hat offensichtlich zu keinem zwingenden Vorschlag geführt.

Werbung
Werbung
Werbung

Es Wird letztlich auch gleichgültig sein, wer der Glückliche oder Unglückliche ist, der zu den Ehren eines Burgtheaterdirektors gelangt, solange nicht die Reform des Burgtheaters (und der Bundestheater insgesamt) von Grund auf erfolgt. Als das Burgtheaterensemble sein sogenanntes „Papier“ mit Reformvorschlägen der Öffentlichkeit mitteilte, war es selbst dem Betriebsfremden klar, daß die Krise des Burgtheaters nicht allein durch die Ernennung eines neuen Direktors beseitigt Werden kann, weil sie tiefer sitzt, als daß sie von einem neuen Direktor als eine Art Wunderrebbi aus der Welt geschafft werden könnte.

Es besteht kein Zweifel, daß Wiens berühmteste Sprechbühne seit Josef Gielens Abgang durch die Führung ihrer Direktoren ständig an Ansehen und Substanz einbüßte, aber ihnen allein die Schuld aufzulasten, wäre ungerecht Sie tragen nur ein gerüttelt Maß an Schuld, doch bei weitem nicht die ganze. Sehen wir von der Zedtkrise als solcher ab, nicht weil es sie nicht gibt, sondern weil es sie schon an die fünfzig Jahre gibt. Sie mag nun ausgeprägter, exzentrischer und hysterischer erscheinen, doch das Buch vom Untergang des Abendlandes wurde von Oswald Spengler schon zwischen 1918 und 1922 geschrieben. Es sind vielmehr sehr reale, gegenwartsnahe Gründe, die zur derzeitigen Krise des Burgtheaters geführt haben, und einer davon ist zweifellos die schlechte Leitung durch Rott, Häussennann und Hoffmann, wobei Rott noch der beste von den dreien war. Schuld tragen ebenso die, die diese Direktoren lanciert, und die, die sie ernannt haben, und der neue Unterrichtsminister täte gut daran, sich sehr zu überlegen, ob er einen Direktor ernennt, ehe die Verhältnisse geklärt sind, weil er ihn andernfalls schon im vorhinein gewollt oder ungewollt zum Schlachtopfer für den Altar des Burgtheaters auserwählt.

Beim Burgtheater stimmt es nämlich seit seinem Umzug vom Ronacher in das Haus am Ring nicht nur beim Direktor, sondern auch in vielen anderen Dingen nicht. Seit dem Tode Erhard Buschbecks gab es keinen Mitarbeiter der jeweiligen Direktoren, der voll den Aufgaben entsprach, die an ihn gestellt wurden. Das gilt von der Verwaltung ebenso wie von der Dramaturgie. Man spricht zwar immer von der Aufgabe der Burg, großes Theater und Welttheater aufzuführen, doch was an großem Theater im letzten Jahrzehnt gespielt wurde, ist mehr als dürftig. Derzeit beispielsweise wird ein Stück von Shakespeare („Sommernachtstraum“), eines von Goethe („Clavigo“) und eines von Schiller

(„Fiesco“) gespielt. Alle drei Aufführungen bieten mehr oder minder Durchschnittsqualität, obwohl das Burgtheater seiner Bestimmung nach, wie sie von Josef II. formuliert wurde, zu vorbildlichen, über den Durchschnitt hinausragenden Aufführungen verpflichtet wäre. Wer heute etwa eine exemplarische und damit auch zeitnalie Shakespeare-Aufführung sehen will, der muß nach Stratford zu Peter Brooks „Sommernach tstraum“-Inszenierung pilgern. Und wo sind die anderen großen Dramen der Weltliteratur, wo die Werke der Franzosen, Spanier, wo selbst die Werke Grillpar-zers? Dabei heißt es doch immer, das Burgtheater müsse große Weltliteratur spielen und könne sich deshalb nicht so sehr für die moderne Literatur engagieren. Natürlich ist diese Ausrede nicht stichhältig. Was die moderne Literatur betrifft, so gilt für sie das gleiche, das Leonard Bernstein für die Musik erklärte: es gibt keine alte und neue Musik, sondern nur eine gute und schlechte Musik. Das Burgtheater hat in den letzten Jahren auf dem Gebiet der modernen Bühnenliteratur fast nur Durchschnittsware anzubieten. Aufregendes, modernes Theater gibt es nur noch in der Erinnerung. Dabei werden alle möglichen Ausreden angeführt. Beispielsweise ist die Wiener Kritik schuld, daß kein Autor sein Werk in Wien uraufführen läßt, oder: Man könne doch nicht ein Stück Düsseldorf oder Mannheim nachspielen. Warum eigentlich nicht? Ist es nicht ein provinzieller Standpunkt, zu glauben, daß man der erste sein müsse? Kommt es nicht auf die Qualität der Aufführung an, geht sie nicht der Priorität voran? Hier aber kommen wir zu einem anderen Versäumnis. Mit dem Ende Berlins als Reichshauptstadt ging auch deren zentrale Macht als deutsche Theaterstadt verloren. Wien konnte zwar nie den Platz Berlins aus realpolitischen Gründen ebenso wie aus geistespolitischen einnehmen, doch das Burgtheater hätte die Chance gehabt, das erste deutsche Theater zu werden. Die Chance ist vertan. Wohl wurden deutsche Schauspieler angagiert, gute und mittelmäßige, auf jeden Fall zu viele, doch dies alles geschah ohne Plan, oft auch wahllos und ohne Notwendigkeit, vielfach zum Zweck, einen Zweispalter in den Kulturseiten der Tageszeitungen unterzubringen. Das Ensemble hat sich seit Gielens Zeiten verdoppelt, obwohl es unter Gielen mehr Premieren gab, ein moderneres Theater gespielt und die Jugend besser eingesetzt wurde, ohne daß deswegen die arrivierten Mitglieder zu kurz kamen. Heute erheben allein vierzehn arrivierte Burgschauspielerinnen Anspruch auf Hauptrollen. Was für die Jüngeren dann noch übrigbleibt, kann sich jeder selbst ausrechnen.

Zusätzlich kommt noch das ständig hinausgeschobene Problem der Autonomie der Bundestheater hinzu. Im Zuge der Arbeitszeitverkürzung wurde die Frage aber aktueller denn je. Bei den Verhandlungen zeigte es sich, daß Burgtheater und Oper zwei verschiedene Welten sind. Nur das Ministerium will es nicht zur Kenntnis nehmen und schläft den Schlaf der Gerechten wie eh und je. Was aber das Schlimmste zu sein scheint, ist der bürokratische Geist, der sich nicht nur in der Direktion des Burgtheaters, sondern selbst im Ensemble breitmacht. Das Burgtheater ist für viele nur noch ein

Sicherheitsjob. Ihren Ehrgeiz reagieren sie anderswo ab. Daran ist aber letztlich wiederum die Direktion schuld. Wenn sie kein Feuer in sich hat, dann werden auch die Schauspieler keines haben, noch dazu, wenn den wenigsten von ihnen von selten der Direktion große Aufgaben gestellt werden. Alle Vorschläge des Ensembles im Hinblick auf offene Dramaturgie, erweiterte Proben und Doppelbesetzungen werden vom Direktor als undurchführbar hingestellt, die ewige Ausrede der Direktoren, die gar keine Berechtigung besitzt, weil die Vorschläge nie in die Tat umgesetzt wurden.

Jedenfalls muß sich Minister Grata darüber klar sein: Mit der Ernennung eines Direktors ist das Problem Burgtheater nicht gelöst. Ebenso wichtig wie ein neuer Direktor sind die Auswahl eines Mitarbeiterstabes und die Reform der Dramaturgie, und ebenso wichtig ist auch die Lösung des Problems der Autonomie des Theaters. Vor allem aber muß sich der Geist innerhalb des Burgtheaters ändern, die Beamtenmentalität, von der Direktor und Schauspieler gleichermaßen infiziert sind. Sie ist einer der Hauptgründe der zunehmenden Verprovimzialisierung des Burgtheaters. Dazu müßte allerdings der neue Burgtheaterdirektor ein Feuergeist sein, wäre also ein Pflngstwunder notwendig. Doch wer denkt heute noch an Pfingsten oder an ein Wunder?

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung