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Um das Schicksal der Burg

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Eine Stelle ist zu vergeben: vom Staate Österreich. Es geht um die Führung des Wiener Burgtheaters. Wie viele Kämpfe und Intrigen haben in der Vergangenheit diesen Hochstuhl umwittert — wie viele Beamten und Künstlernaturen, Dichter und Schauspieler, Adelige und Bürgerliche, grundgescheite Leisetreter und genialische Kraftnaturen haben diesen Thronsitz eingenommen — ihn umworben und durch Kabale und Liebe und andere Dinge verloren! Um die Führung des Wiener Burgtheaters sind nicht weniger Schlachten geschlagen worden als um die Herrschaft über dieses und jenes Reich unseres Abendlandes. Und mit Recht. Denn der Direktor des Wiener Burgtheaters war, wenn er nur einigermaßen ein Bewußtsein von der Sendung und Aufgabe des ihm anvertrauten Kulturbereiches hatte, ein Herrscher in einem Reich, dessen Stimme in ganz Europa gehört wurde. Um dieses Reich europäischer, österreichischer Geistigkeit, Kultur und Gesittung — war nicht zu allen ihren großen Zeiten die Bühne der Burg Lehrstätte edelster Manier, adeliger Lebensführung? — zu kämpfen, ist eine der letzten, uns aber unabdinglidh.auferlegten Verpflichtungen des ewigen Erbes Österreich. Wenn wir uns nicht ganz selbst aufgeben und eine Stätte der Ruinen, der Schatten und bestenfalls Museen werden wollen, dann müssen wir um eine Wiedergeburt des Burgtheaters kämpfen.

Jawohl, um eine Wiedergeburt. Machen wir uns nichts vor. Trotz mancher achtbarer Versuche, die jedem anderen guten Theater zur Ehre gereicht hätten, hat die Burg in den beiden letzten Jahren nicht das geleistet, wozu ihre Tradition sie verpflichtet und die hohe Stunde der Gegenwart sie eingefordert hat. Nämlich: gültige Stimme, Zeugnis österreichischen Geistes und österreichischer Kultur, gewichtiges Beweismittel für das Lebensrecht eines freien und unabhängigen Österreich in der Mitte Europas zu sein. Vor dem Forum der Weltöffentlichkeit, des anfangs mißtrauischen, dann zu einem überwiegenden Teil durchaus aufnahmswilligen und verständigungsbereiten Weltpublikums hatte sie zu stehen — hier, unsere Burg, als ein Monumentum austriacum, ein unerschütterliches Denk- - und Zeugenmal österreichischen Willens zur Selbstbehauptung wider alle Mächte des Ungeistes, der Unkultur, des Hasses und der Zerstörung. Wir alle wissen es: diese Burg gab es in den letzten Jahren nicht mehr. Wir stehen vor einer Ringstraßenruine und einer peinlichen Halbheit, der Ronaher- Burg, einer Verlegenheitslösung in jedem und jeglichem Sinne.

Wo ist der Mann, der die Burg erneuert? Die Ministerien und die Ministerräte suchen ihn bereits; wir wünschen ihnen Erfolg, daß sie ihn möglichst bald finden mögen. Ihm selbst aber wünschen wir ein feines Gehör, daß er die Forderungen hören möge, weihe die Burg und das Land, welhes sie repräsentiert, an ihn heute stellen müssen. Uns geht es nicht darum, irgendein persönliches Interesse zu fördern, sondern ein einziges Anliegen aufzuzeigen: den Standort der „Burg“ im öffentlichen Leben.

Ein Hinweis erscheint uns allerdings geboten. Die Frage der Besetzung des Direktorpostens der ,3urg" ist eine Angelegenheit, die in besonders hohem Maße das ganze österreichische Volk angeht. Die Parteipolitik soll davon fernbleiben, und es würde nicht gut tun, wenn überstürzt hinter den Kulissen eine Entsheidung gefällt wird, deren Folgen dann viele Jahre lang das enttäushte Publikum vor den Kulissen sehen und hören muß.

Es ersheint eine vorlaufende Besinnung auf einige Grundprobleme des Burgtheaters notwendig.

Tradition, geschichtliche Vorbilder? Beide sind heute, da oft falsch verstanden, mehr Gefahren, denn Stützrn. Unserer Zeit ohne Beispiele wird nicht Genüge getan durch die Kopierung einer Vergangenheit, die ihr Maß und ihre Form in sich trug. Es geht nicht mehr an, daß in ängstlicher Anlehnung an eine große Vergangenheit die Burg Reprisen klassischer Burgtheatererfolge bringt, nur weil dieses und jenes Stück eben 183mal mit Mitterwurzer, Lewinsky, Kainz ein großer Erfolg war! Traditionsverpflichtung verlangt heute mehr,' ein tieferes Bewußtsein vom letzten Sinn jeglicher Tradition und das heißt doch Überlieferung: neugestalten aus dem Geiste, nicht aus dem Bühnenwaschzettel und aus der Rück-Sicht auf einzelne Schauspieler. Ja, der neue Burgtheaterdirektor muß schon ein gestrenger Herr sein, wenn er sich gegenüber seiner Umgebung durchsetzen will. Der für die Burg verantwortliche höchste Beamte unseres Staates hat in einem einer alliierten Zeitung kurz vor Weihnachten gewährten Interview von der Notwendigkeit einer Reform der Burg gesprochen: unfähige Schauspieler, welche bislang mitgeschleppt wurden, sollen aus dem Ensemble der Burg ausscheiden. Uns erscheint es wesentlicher, die fähigen, ja, gerade die fähigsten Schauspieler neu zu gewinnen und einzugliedern in das große Erneuerungswerk, welches die ganze Burg umfangen muß.

Ein Burgtheaterdirektor, der aber dergestalt den Kampf um das vielköpfige Haupt des Ensembles aufnehmen will, muß, bevor er sein Amt antritt, wissen, was er will. Er muß zumindest in großen, das Wesentliche umfassenden Punkten einen Plan der Erneuerung besitzen — und muß also befähigt sein zu planen — in der Erkenntnis der Forderungen dieser Stunde. Die stofflichen Verpflichtungen der Burg sind eindeutig und klar. Die Burg hat das große Theater der gesamteuropäischen Bühne zu pflegen, wobei sorglich Bedacht zu nehmen ist sowohl auf die Entwicklungen des mit Österreich durch eine tausendjährige Geschichte verbundenen slawischen Ostraums wie auch zumal der in den letzten Jahren aufsteigenden Renaissance des Theaters des Westens. Die natürliche und naturhafte Basis bleibt nach wie vor das Repertoire der deutschen und österreichischen Dichtung. Sollte hier nicht einen Fingerzeig in die Zukunft die Tatsache bilden, daß eines der erfolgreichsten und bedeutendsten Stücke des letzten Spieljahres von einem jungen Auskndösterreicher stammt? Viel leicht finden sieh bei sorgfältiger Nachforschung sogar im Inland burgtheaterfähige Österreicher, ein Versuch könnte auf keinen Fall mehr schaden, als die Exempel, die in den beiden letzten Jahren mit geschmacklosen Nonnen-Lügner-Gaslicht-Novitäten durchaus orts- und artfremder Herkunft angestellt wurden!

An Stücken mangelt es nicht, an Schauspielern nur zum Teil, an führenden, planenden Köpfen fehlt es aber sehr. Es ist der Geist, der sich den Körper baut: wer eine neue Burg bauen will, muß ein außerordentlich starker, künstlerisch sensibler und hellhöriger Charakter sein, . ein Mann zäher Arbeit, nüchterner Planung, ein Mann, der — wir stehen an der Schwelle eines 48er-Jahres — Bewahrung und Erneuerung in seiner Brust vereinigt, den Wahrheitsund Wirklichkeitskern des guten Alten und die gesunde Sprengkraft echter Jugend.

Künstler? Dichter? Denker? Beamter? Er muß %in Mann der Bühne, ein Beherrscher jenes so kostbaren vielstimmigen Instruments sein, das sich aus Schauspielern, Regisseuren und Künstlern mannigfacher Art zusammensetzt, dieser Mann muß vor allem die nötige Autorität besitzen, das Ansehen und die Mittel seiner gestalterischen Willen nach allen Seiten hin durchzusetzen. Die unglückliche Stellung der Burg in den letzten beiden Jahren soll nicht ihrem provisorischen Leiter, einem großen Künstler, angelastet werden, wohl aber muß die Tatsache des Provisoriums an sich getadelt werden: ein so schwer lenkbares barockes Prunkschiff, wie es unsere Burg immer noch darstellt, bedarf der eisernen Energie einer Kraft, welcher von Seite des Staates die Mittel, von Seite der Schauspieler der Gehorsam und von Seite des Volkes ein Gutmaß Vertrauen entgegenzubringen ist.

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