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Die Zukunft gehört den Fragenden

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„Die Zukunft der Bühne liegt in der Vergangenheit.“ Mit dieser lapidaren Feststellung ist in der „Furche“ vom 1. August der „Streit um das Burgtheater“ entschieden worden. In dem Artikel wird vorgeschlagen, „das Burgtheater ganz bewußt als Festspielhaus aus der Masse der Repertoiretheater“ herauszuheben und ihm die Aufgabe zu stellen, es solle „in einer Art permanenter Festspiele das alte Theater pfler gen und von dem Neuen nur das aufnehmen, was sich inzwischen als dauerhaft und gültig erwiesen hat...“. Dieser Grundgedanke wird in dem Artikel vielfach variiert. Das Burgtheater soll zum Beispiel als „Museum großer Theaterkunst“ gleichrangig neben den großen Galerien und Sammlungen der abendländischen Kunst und neben den großen Bibliotheken, Kathedralen und Schlössern der Welt stehen. So wird es vorgeschlagen und jede ernsthafte Beschäftigung mit der Reform der tiundesthea-ter birgt in sich die Verpflichtung, zu diesem Vorschlag Stellung zu nehmen. Dies um so mehr, als eine Bejahung oder Ablehnung dieses Vorschlages über das Burgtheater hinaus Beispielsfolgerungen für die Musikbühnen der Buhdestheater haben muß. Wenn das Burgtheater als „Museum großer Theaterkunst“ geführt wird, dann müßte man erst recht die Staatsoper als ein „Museum großer Opernkunst“ etablieren.

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„Die Zukunft der Bühne liegt in der Vergangenheit.“ Mit dieser lapidaren Feststellung ist in der „Furche“ vom 1. August der „Streit um das Burgtheater“ entschieden worden. In dem Artikel wird vorgeschlagen, „das Burgtheater ganz bewußt als Festspielhaus aus der Masse der Repertoiretheater“ herauszuheben und ihm die Aufgabe zu stellen, es solle „in einer Art permanenter Festspiele das alte Theater pfler gen und von dem Neuen nur das aufnehmen, was sich inzwischen als dauerhaft und gültig erwiesen hat...“. Dieser Grundgedanke wird in dem Artikel vielfach variiert. Das Burgtheater soll zum Beispiel als „Museum großer Theaterkunst“ gleichrangig neben den großen Galerien und Sammlungen der abendländischen Kunst und neben den großen Bibliotheken, Kathedralen und Schlössern der Welt stehen. So wird es vorgeschlagen und jede ernsthafte Beschäftigung mit der Reform der tiundesthea-ter birgt in sich die Verpflichtung, zu diesem Vorschlag Stellung zu nehmen. Dies um so mehr, als eine Bejahung oder Ablehnung dieses Vorschlages über das Burgtheater hinaus Beispielsfolgerungen für die Musikbühnen der Buhdestheater haben muß. Wenn das Burgtheater als „Museum großer Theaterkunst“ geführt wird, dann müßte man erst recht die Staatsoper als ein „Museum großer Opernkunst“ etablieren.

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Der Verfasser des Artikels in der „Furche“ hat seine Formulierungen auf weite Strecken in Frageform gekleidet, er fordert also eine Antwort heraus und sie sei hiermit gegeben. Die Antwort auf die Frage, ob das Burgtheater und darüber hinaus die Bundestheater schlechthin als Theatermuseen zu verstehen sind, lautet meiner Meinung nach nicht „ja“ und nicht „nein“; sie ist auch kein verschwommenes „jein“, sondern ein „ja, aber ...“, also eine teilweise Zustimmung unter dem Vorbehalt einer geradezu alternativartigen Ergänzung des in der Frage enthaltenen Vorschlages. Oder um in der Diktion des Artikeltitels zu bleiben: Die Zukunft der Bühne liegt nicht in der Vergangenheit, sondern sie liegt gleichermaßen in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft beschlossen. Die partielle Zustimmung unter dem Vorbehalt wesentlicher Ergänzungen möchte ich nachstehend skizzieren.

Aus zwei Gründen muß das Burgtheater die großen Werke der Weltliteratur und der österreichischen Literatur pflegen. Das große Drama setzt ein großes Haus und ein großes Ensemble voraus; nur unter dieser Voraussetzung kann es in höchster Vollendung gegeben werden und in diesem Sinne wird das Burgtheater tatsächlich so wie in der Vergangenheit auch in Zukunft die Funktion einer Sammlung klassischer Meisterwerke zu erfüllen haben. Dazu tritt die Bildungsaufgabe, die das Theater in Analogie zu den modernen Museumstypen, die sich längst nicht nur als ..Sammlungen“, sondern als Bildungsstätte verstehen, zu erfüllen hat. Das Burgtheater hat die Verpflichtung, der Jugend das unmittelbare Erlebnis der Bühnenliteratur zu vermitteln. Sein Spielplan war immer schon zugleich eine Art von Lehrplan für Generationen junger Menschen, die auf der Bühne dieses Hauses Schiller und Goethe, Grill-parzer und Raimund erstmals begegnet sind. Dieser Bildungsaufgabe des Burgtheaters und auch der Staatsoper wird in Zukunft noch größere Bedeutung zukommen als bisher.

Der Schulunterricht muß ständig neue Disziplinen in sich aufnehmen und vor allem den Naturwissenschaften steigende Beachtung widmen. Es wird daher eine legitime Aufgabe der Theater, aber auch der Museen sein, die Schule auf dem Gebiet der musischen Erziehung zu entlasten. Ich habe dieser Tage mit Interesse gelesen, daß sich der Direktor des Museums des 20. Jahrhunderts in die Vereinigten Staaten begeben hat, um unter anderem die Öffentlichkeitsarbeit und die Bildungsprogramme amerikanischer Museen zu studieren. Auch die Bundestheater können auf diesem Gebiet von den amerikanischen Theatern manches lernen. Wir haben in Österreich mit dem „Theater der Jugend“ eine vorbildliche Einrichtung, um die Jugend ins Theater zu bringen. Wir sollten aber nicht verkennen, daß es in anderen Ländern ebenso vorbildliche Einrichtungen gibt, um die Theater zur Jugend zu bringen. Ich denke hier etwa an die Bildungsprogramme, die von der Metropolitan Opera mit Hilfe ihres Opernstudios und der Opera Guild (hier würde man sie sinngemäß „Verein der Freunde der Staatsoper“ nennen) entwickelt wurden. In der vergangenen Spielzeit hat die Opera Guild, die mit insgesamt 760 Schulen und Hochschulen im Bereich von New York zusammenarbeitet, 7 Nachmittagsvorstellungen von ,,Tosca“ angekauft. Den Lehrern wurden 35mm-Farbfilme und eine 60seitige Bro-

Photo: Hausmann schüre,/mit einer Einführung in die Oper, ins Haus geliefert. Außerdem hat das Opernstudio der Met 89 Schulen und Hochschulen besucht und vor insgesamt 36.000 Schülern und Studenten Ausschnitte aus „Tosca“ gebracht. Ich weiß nicht, wie eng die Zusammenarbeit zwischen den staatlichen Sammlungen und der Schulverwaltung in unserem Lande ist; ich weiß nur aus eigener Anschauung, daß die Zusammenarbeit zwischen Bundestheaterverwaltung und Schulverwaltung derzeit noch relativ lose ist. Wir werden uns aber — oder sollten uns zumindest einem Erziehungssystem nähern, in dem sich Schule, Museen und Theater als gleichwertige Zweige ein- und derselben Bildungsinstitution betrachten, wobei das verbindende Medium für die Aktivität aller drei Zweige Funk und Fernsehen mit den Möglichkeiten der Band- und Kasetten-speicherung sein sollte.

Wir haben uns mit diesen Überlegungen bereits sehr weit vom Begriff des Museums alter Art entfernt, wenngleich sie sich noch immer im Rahmen des modernen Museumsbegriffes bewegen mögen. Ich glaube aber, daß am Ende dieser Überlegungen auch eine klare Differenzierung gegenüber dem Museumsbegriff selbst modernster Prägung stehen muß. In einem wird sich das Theater trotz vieler Analogien immer vom Museum unterscheiden: Jede Galerie, selbst die modernste, kann immer nur in sich abgeschlossene, nicht zu verändernde und nicht zu erneuernde Kunstwerke präsentieren. Ganz anders das Theater, das sich immer wieder von Neuem aus sich selbst heraus erneuern muß. Ich rede nicht der sogenannten „Um-funktionierung“ klassischer Stücke das Wort, wenn ich die selbstverständliche Feststellung treffe, daß jede Zeit „ihren“ Shakespeare, Goethe und Grillparzer erarbeiten und erleben muß. Das gilt für das Publikum und das gilt aber erst recht für das Ensemble, dem man freilich die Möglichkeit zu dieser Erarbeitung geben muß. Die Reformvorschläge, die das Burgtheaterensemble in einem 31 Aufgabenbereiche umfassenden Papier niedergelegt hat, sind meines Erachtens nach ein konstruktiver, ernstzunehmender und daher auch zu verwirklichender Beitrag zur gegenwärtigen Erneuerungsdiskussion. Es ist legitim und sinnvoll, daß sich das Ensemble mit seinen Vorschlägen nicht auf die künstlerische Arbeit in seinem ureigensten Bereich beschränkt, sondern auch die organisatorischen, finanziellen und technischen Voraussetzungen und vor allem das Publikum und seine Gewinnung einbezieht.

Was die ureigenste künstlerische Arbeit der Burgtheatermitglieder betrifft, so findet sich unter Ihren Vorschlägen auch die Forderung nach einem Werkstättentheater. Bei einer solchen Werkstätte soll man nicht primär an das Aufsperren eines zusätzlichen Bundestheaters denken, in dem dann im bewußten Kontrast ,,anders“ gespielt wird als in der Burg, im Akademietheater. Mit Recht bezeichnet das Ensemble-Papier das Werkstatt-Theater vielmehr als „einen integrierten Teil des Burgtheaters“, in dem „die zur inneren Reform des Burgtheaters vom Ensemble erbrachten Vorschläge“ zunächst einmal erprobt werden sollen. Mit diesen Überlegungen haben sich nun die Ergänzungen, die zum „Museumsgedankr .“ vorzubringen waren, so weit von ihrem Ausgangspunkt entfernt, daß wir bei einer Alternative angelangt sind. Dürfen wir das Burgtheater nur deshalb, weil es die legitime und immerwährende Aufgabe hat, klassische Meisterwerke darzubieten, als Museum verstehen? Oder sollten wir nicht das Burgtheater und darüber hinaus die Bundestheater schlechthin als eine große Werkstätte betrachten, in der alle Möglichkeiten, gutes Theater für ein interessiertes Publikum zu spielen, erarbeitet, erprobt und schließlich verwirklicht werden?

Dank ihrer großen und respektierten Tradition sind die Bundestheater in der Lage, erhebliche Geldmittel zu erhalten und über künstlerische und technische Gegebenheiten von hoher Qualität zu verfügen. Daraus kann man geradezu die Verpflichtung ableiten, diese reichen Möglichkeiten zur Erprobung von Formen und Mitteln zu nützen, die anderen, die über nicht so vielfältige Möglichkeiten verfügen, zunächst verschlossen bleiben müssen.

Die Volksoper war vor Jahren „Werkstätte“, als sie gegen viele Widerstände und Befürchtungen den Mut hatte, das amerikanische Musical nach Wien zu bringen. Ist es nicht längst Zeit für ähnliche und andere Initiativen? Sollte man dem Staatsopernballett, das so reiche Begabungen hat, nicht die Chance erschließen, sich noch mehr als bisher allen Ausdrucksformen des Tanzes, der immer mehr zu einer dominierenden Kunstform unserer Zeit zu werden scheint, zu widmen? Bergen Quantität und Qualität der künstlerischen und technischen Möglichkeiten in den Bundestheatern nicht geradezu die Verpflichtung und Herausforderung in sich, einen für Österreich erstmaligen Schritt in die Bereiche der Multi-Medien zu wagen?

Das sind nur einige Fragen aus dem künstlerisch-technischen Bereich. Unzählige andere könnte man stellen; sie drängen sich in dieser Zeit des rasanten wirtschaftlichen, sozialen und technischen Wandels geradezu auf. Eben erst haben wir aus Anlaß der Unterrichtsministerkonferenz in Venedig gehört, daß die rapide Expansion des Massentourismus bereits bis zu 80 Prozent der Bevölkerung in Europa erfaßt hat, dagegen der Anteil der gleichen Bevölkerung an der „gehobenen Kultur“, also an Museums-, Theater- und Opernbesuchen, seit Jahrzehnten unverändert weit unter 10 Prozent liegt. Sind wir bereit, diese Entwicklung fatalistisch hinzunehmen oder haben wir nicht die Verpflichtung, sie verändernd Zu gestalten? So gesehen kann ich nicht zu dem Schluß kommen, daß die Zukunft der Bühne in der Vergangenheit liegt. Ich glaube vielmehr, daß die Zukunft den Fragenden gehören wird; jenen, die sich die Mühe nehmen, die ständig neue Frage nach den Gefahren und Möglichkeiten, Schwierigkeiten und Herausforderungen, mit denen das Theater mehr denn je täglich konfrontiert ist, zu stellen und die den Mut haben, eine Antwort auf diese Frage zu geben.

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