6788193-1970_23_01.jpg
Digital In Arbeit

Erwacht das Burgtheater?

Werbung
Werbung
Werbung

Es gibt mehrere Vorschläge zur Reform der Bundestheater. Bis zum 1. März 1970 besaß das Konzept der „Aktion 20“ die größte Chance, verwirklicht zu werden. Etwas allzu siegessicher berief der letzte Unterrichtsminister der ÖVP-Alleinregie-gierung, Dr. Mock, sechs Wochen vor den Wahlen Dr. Heindl zum Leiter der Bundestheaterverwaltung. Er sollte die Bundestheater im Sinne der Vorschläge der „Aktion 20“ reformieren. Gegen diese Vorschläge werden viele Einwände erhoben, doch im wesentlichen geht es um die Frage, ob die volle Autonomie der Theater oder eine Generalintendanz anzustreben seien.

Der Arbeitsausschuß des Burgtheater-Ensembles legte nun der Öffentlichkeit ein „Papier“ vor, das auf 31 Seiten Reformvorschläge für das Burgtheater enthält. Zum Kernproblem heißt es in diesem „Papier“: „Das geplante Burgtheatergesetz muß die völlige künstlerische und weitgehende wirtschaftliche Autonomie des Burgtheaters garantieren.“ Das Burgtheater kann „als Teil eines Theaterkonzerns“ nicht erfolgversprechend arbeiten.

Der Zeitpunkt, in dem das Ensemble als „bisher schweigende Minderheit innerhalb des Hauses“ an die Öffentlichkeit tritt, ist gut gewählt. Zum erstenmal in der österreichischen Geschichte überhaupt steht ein Mitglied der Sozialistischen Partei an der Spitze der Unterrichts- und Kunstverwaltung. Dies bedeutet, daß der Wunsch des Ensembles nach Autonomie des Theaters mehr Berücksichtigung finden wird als in der Ära eines ÖVP-Ministers. Damit erhalten die Vorschläge des Ensembles auch politisches Gewicht.

Es wäre sinnlos, von den Mitgliedern eines Theaters des Establishment, wie es das Burgtheater nun einmal ist, zu verlangen, daß sie revolutionäre Thesen, wie Kollektivführung, Theater als Stätte des Agitprop oder gar als Bühne für das Antitheater verkünden, weil sich sonst das Ensemble selbst ad absurdum führen würde. Anderseits aber will es nicht der Entwicklung nachhinken. Das Ensemble wendet sich gegen die Bürokratisierung des Theaters und verficht eine Demokratisierung der Theaterführung. Deshalb fordert es die volle Mitbestimmung bei der Planung von Reformen und die Informationspflicht des Direktors gegenüber allen Instanzen des Hauses, wobei der Direktor vor wichtigen Entscheidungen die Meinung des Ensembles einzuholen hat. Das Ensemble soll durch drei in geheimer Wahl ermittelte Mitglieder vertreten werden, die in Zusammenarbeit mit der Direktion „eine theatergerechte Demokratisierung“ ermöglichen.

Nun konnte Burgtheaterdirektor Paul Hoffmann gegen diese Art der Demokratisierung nichts einwenden. Wohl aber nahm er eindeutig gegen die Forderung des Ensembles Stellung, die seine direktorialen Rechte empfindlich schmälern würde. Das „Papier“ sieht nämlich auch die Verpflichtung des Direktors vor, zweimal im Jahr über Spielplan und Besetzung vor dem gesamten Ensemble zu berichten. Hoffmann bezeichnete die Erfüllung eines derartigen Wunsches als unmöglich, vorerst aus rein organisatorischen Gründen, dann aber auch aus Gründen der Vernunft, weil das gesamte Ensemble mehr emotionellen als logischen Argumenten zugänglich sei.

Beide Häuser, das Burg- und das Akademietheater, bringen jährlich je sieben Premieren heraus. Das stellt bei einer zehnmonatigen Spielzeit keine Überforderung dar. Dennoch ereigneten sich immer wieder Pannen, die bei besserer Vorbereitung und Organisation nicht eintreten dürften. Zwar schweigt das Ensemble zu einem der kritischsten Probleme des Burgtheaters, doch seine Reformvorschläge, wie „offene“ Dramaturgie, exaktere Probenplanung, die Schaffung von Produktionsgruppen und Doppelbesetzungen, zielen vor allem darauf, den bestehenden, im Grunde untragbaren Zustand zu ändern. Dieser hat zur Folge, daß nicht nur ein Drittel des Ensembles spazierengeht, sondern das eine Mitglied über-, das andere hingegen unterbeschäftigt ist, und dies nicht nur aus Qualitätsgründen. Alle Direktoren seit Gielens Abgang nahmen zuwenig auf das bestehende Ensemble Rücksicht und wendeten zuwenig Sorgfalt bei Neuengagements an, so daß für das gleiche Rollenfach oftmals eine drei- bis vierfache Besetzung vorhanden ist. Die Sensation galt höher als ein klug durchdachter und kühner Spielplan oder das originelle Gesicht des Hauses, ; :'vtl . “; .

Öp Direktor machte sich überhaupt seine Ablehnung bisweilen allzu leicht. Während das Ensemble auf sorgfältigere Probenarbeit und höheres künstlerisches Niveau drängte, erklärte Hoffmann, daß sich das Theater derzeit durch die Regelung des Arbeitszeitgesetzes in einem Notstand befindet. Sollte die 43-Stunden-Woche beim technischen Personal im Sinne des Gesetzes durchgeführt werden, dann benötige das Burgtheater entweder eine zusätzliche Subvention von 45 Millionen Schilling oder der Vorhang könne ab Herbst nicht mehr aufgezogen werden.

Nun besteht kein Zweifel, daß die Durchführung der Arbeitszeitverkürzung die Theater, die auch an Sonnabenden sowie an Sonn- und Feiertagen spielen, vor schwierigere Probleme stellt als die meisten anderen Betriebe. Auch kann das Theater nicht durch größere Automation einen Teil der auftretenden Mehrkosten auffangen. Anderseits ist es müßig, zu glauben, daß eine soziale Besserstellung vor den Toren des Theaters haltmachen wird. Der Ruf nach mehr Subventionen bedeutet zwar den einfachsten Ausweg, doch darf nicht vergessen werden, daß die österreichischen. Bundestheater nicht nur im Vergleich zu den Theatern in anderen Ländern, sondern auch im Vergleich zu den übrigen Kultureinrichtungen des eigenen Landes außerordentlich hoch subventioniert werden. Wenn die Mitglieder des Ensembles die Rationalisierung des technischen Betriebs fordern, dann tun sie es sicherlich in der Erkenntnis der zahlreichen Leerläufe, die es hier gibt. Doch diese Leerläufe treten an mehreren Stellen des Theaters auf, ja, sie beginnen bereits in der Direktion. Hier muß das Qualitäts- und das Leistungsprinzip zu allererst durchgesetzt werden.

Die derzeitige Konstruktion der Bundestheater ist jedenfalls denv Anforderungen nicht mehr gewachsen. Die Reformvorschläge des Ensembles beweisen nur, daß die Unruhe auch die Schauspieler des Burgtheaters ergriffen hat. Sie werden sich bewußt, daß es um ihre Zukunft geht, und sie deshalb auch ein Mitspracherecht bei der Gestaltung dieser Zukunft haben müssen. Sie wollen keine Revolution, aber sie wollen auch die Zeit nicht verschlafen. Der Direktor täte deshalb gut daran, sich weniger über die angeblich utopischen Vorstellungen des Ensembles zu mokieren. Sie sind nur dort utopisch, wo sie zusätzlich Geldmittel benötigen, die der Staat aufbringen müßte. Der Staat aber wird in der nächsten Zeit wenig Möglichkeiten besitzen, noch mehr Geld den Bundestheatern zur Verfügung zu stellen, da andere für die Zukunft unseres Landes wichtigere Aufgaben vor allem auf dem Gebiet der Erziehung, Wissenschaft und Forschung erfüllt werden müssen. Der Großteil der anderen Forderungen des Ensembles aber ist durchzuführen, wenn Reformen auf dem Gebiet der Planung, Organisation und Verwaltung vorgenommen werden und wenn vor allem ein neuer Geist in die Bundes-tlheater einzieht. Erst wenn das Maximum an Leistung erreicht wird, soll der Staat helfend eingreifen. Um aber dieses Leistungsmaximum zu erreichen, scheinen mir die in manchen Punkten utopisch anmutenden Reformvorschläge des Ensembles mehr Wege aufzuzeigen als die sachlichen, ganz den Gegebenheiten angepaßten Ausführungen des Direktors. Wenn nämlich die Gegebenheiten der Zukunft im Wege stehen, dann müssen sie geändert werden.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung