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Das Burgtheater ist 200 Jahre alt

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Am 17. Februar 1776 gab es für die Schauspieler des Tjiea-ters nächst der Burg eine erregende Neuigkeit, eine grundlegende Änderung ihrer Stellung. Es wurde ihnen verkündet, daß Seine Majestät Kaiser Joseph II. geruht habe, ihre Bühne zum Hof-und Nationaltheater zu erheben. In diesen unseren Tagen wird somit das Burgtheater 200 Jahre alt. — Was aber heißt Nationaltheater? Der Begriff Nation ist verschieden interpretierbar. In Wien sitzt auch nicht mehr ein Habsburger als deutscher Kaiser. Niemand will mehr Wien zum geistigen Mittelpunkt Deutschlands machen, was Leibnitz angeregt, wovon Gottsched geträumt, und was Klopstock konkret vorgeschlagen hatte. Die Bezeichnung „Nationaltheater“ rechtfertigen, heißt, ins Heute übertragen, das führende Theater im deutschsprachigen Raum sein. Zweifellos war dies das Burgtheater unter Joseph Schreyvogel, unter Laube, vielleicht auch noch unter Burckhardt. Daher kommt sein Ruf. Aber heute? Vor mehr als zwanzig Jahren erklärte Unterrichtsminister Dr. Kolb, das Burgtheater müsse wieder das erste deutsche Sprechtheater werden. Es war das also nicht mehr. Ist es inzwischen die erste deutsche Bühne geworden?

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Am 17. Februar 1776 gab es für die Schauspieler des Tjiea-ters nächst der Burg eine erregende Neuigkeit, eine grundlegende Änderung ihrer Stellung. Es wurde ihnen verkündet, daß Seine Majestät Kaiser Joseph II. geruht habe, ihre Bühne zum Hof-und Nationaltheater zu erheben. In diesen unseren Tagen wird somit das Burgtheater 200 Jahre alt. — Was aber heißt Nationaltheater? Der Begriff Nation ist verschieden interpretierbar. In Wien sitzt auch nicht mehr ein Habsburger als deutscher Kaiser. Niemand will mehr Wien zum geistigen Mittelpunkt Deutschlands machen, was Leibnitz angeregt, wovon Gottsched geträumt, und was Klopstock konkret vorgeschlagen hatte. Die Bezeichnung „Nationaltheater“ rechtfertigen, heißt, ins Heute übertragen, das führende Theater im deutschsprachigen Raum sein. Zweifellos war dies das Burgtheater unter Joseph Schreyvogel, unter Laube, vielleicht auch noch unter Burckhardt. Daher kommt sein Ruf. Aber heute? Vor mehr als zwanzig Jahren erklärte Unterrichtsminister Dr. Kolb, das Burgtheater müsse wieder das erste deutsche Sprechtheater werden. Es war das also nicht mehr. Ist es inzwischen die erste deutsche Bühne geworden?

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Dieses Theater bildet mit den drei anderen österreichischen Staatsbühnen den größten Theaterkonzern der Welt. Das hört sich gut an, wirkt erstaunlich in einem Kleinstaat wie Österreich. Man mag an des Schle-

siers Laube Wort denken, daß die Österreicher das Theater erfänden, wenn es nicht schon erfunden wäre. Aber das begründet noch keine Vorrangstellung. Nun war es gewiß das Wunschziel fast jedes deutschsprachigen Schauspielers, eines Tages am Burgtheater engagiert zu werden, und ist es vielleicht bei vielen heute noch. Der Anspruch auf eine unkündbare Stellung, auf Pension, bedingt dies zweifellos weitgehend, aber wohl auch der legendäre, immer noch nachwirkende Ruf dieser Bühne. Tatsächlich hat das Burgtheater, was auch im Ausland festgestellt wird, ein Ensemble von Spitzendarstellern wie kein anderes Theater. Das hebt diese Bühne heraus. Spitzendarsteller bilden die Voraussetzung für eine Bühne führenden Rangs, aber sie allein genügen dafür nicht.

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Es gab immer wieder den Vorwurf, das Burgtheater sei in seinem Spielplan rückwärts gewandt, man lebe da höchst ungern in der Gegenwart, begnüge sich damit, Bildungstheater zu sein. Es wurde aber auch die Forderung erhoben, eine führende Sonderstellung dadurch einzunehmen, daß das Burgtheater, wie Kunstmusseen, vor allem das Alte zu wahren, zu pflegen habe, und vom Neuen nur aufzunehmen sei, was anderswo anerkannt wurde, sich bewährte. Also ein Pantheon der Bühnendichtung und Schauspielkunst zu

sein. Das nun freilich wäre ein steriles Burgtheater. Eine führende Position käme ihm dadurch nicht zu. Führend ist man nur mit dem Blick ins Zukünftige.

Unter der Direktion Franz Dingel-

stedt gab es 1875 das erste „Theaterfestival“ im deutschsprachigen Raum„ eine Shakespeare-Woche, in der an sieben Tagen acht Könlgsdra-men zur Aufführung gelangten. Diese Woche wurde als das aufregendste Ereignis der ganzen Epoche bezeichnet. Unter Haeusserman kam. es zu einer Wiederholung, wieder gab es einen Königsdramen-Zyklus, aber auch noch einem „antiken“ Zyklus und einen Raimund-Zyklus. Das waren besondere Leistungen, die kaum einem anderen Theater möglich sind. Aber der Widerhall war nicht entfernt so groß wie Anno 1875. Um als Theater „führend“ zu sein, bedarf es der Ausstrahlung durch Leistungen, die von den anderen Bühnen mit erhöhter Aufmerksamkeit beobachtet werden, weil sie Entwicklungspositionen setzen. Gut vorbereitete Zyklen bieten auf jeden Fall Vergleichsmöglichkeiten, sie sind gegebenenfalls erwünscht, aber scharfe Entwicklungsakzente müßten hinzukommen, um stärkere Beachtung zu erzielen.

*

Der derzeitige Direktor Gerhard KUngenberg hat fast alle Regisseure von Weltgeltung, besonders auch die fremdsprachigen, herangeholt, um am Burgtheater Regie zu führen. Man kann daher nicht sagen, daß es an dieser Bühne nur noch konventionelle Aufführungen gibt. Es waren Darbietungen gewagten Zuschnitts zu sehen, Eigenwilligkeiten in vol-

lem Widerspruch zu den Stücken zeigten sich. Was in der Zeit gewaltsamer Eingriffe in das Dramengut ansonsten einen weiten Widerhall findet, wenn es auch keineswegs führend wirkt, hatte nur örtliche Bedeutung, da diese Regisseure vielfach das schon anderswo Inszenierte nur wiederholten oder abwandelten. Das heißt, das Burgtheater bot für den Besucher eine in vielen Fällen begrüßenswerte Ubersicht über die Leistungen von Regisseuren internationalen Rufs. Beeinträchtigt wurden ihre Inszenierungen allerdings oft dadurch, daß diese Regisseure des Deutschen nicht mächtig waren, wodurch das Wort an Bedeutung verlor und es mitunter zu Unzukömmlichkeiten kam. Jedenfalls wurde eine Ausstrahlung nach außen nicht erreicht, denn die Aufmerksamkeit erregenden Vorstöße dieser Spielleiter erfolgten kaum je hier. *

Wie die Staatsoper, steht das Burgtheater in der letzten Zeit im Zielbereich vieler Angriffe. Es wird auch der Leitung dieser Bühnen Verschwendung vorgeworfen, die selbst

dann nicht zu rechtfertigen wäre, wenn dem Burgtheater der Rang, das führende deutschsprachige Theater zu sein, zukäme. Schon im Rech-nungshofbericht über die Spielzeit 1962/63 gab es eine scharfe Kritik an diesen Zuständen, die Kritik hat sich

nur noch verstärkt. Das Spottwort „Prunk- und Ruheinstitut“ ist bedingt durch die hypertrophe Vermehrung des Ensembles, so daß Spitzendarsteller keine Verwendung finden und man immer wieder davon spricht, daß nur allzu viele Burgschauspieler zum Spazierengehen verurteilt sind, dafür bezahlt werden. Offiziell wurde bekanntgegeben: In den Spielzeiten 1973/74 und 1974/75 standen die Darsteller durchschnittlich an 48 Abenden auf der Bühne, das ist, grob gerechnet, nur einmal in sechs Tagen. Aber so manche, und darunter die Besten, erreichten diese Ziffer keineswegs. Und was die derzeitigen internen Verhältnisse betrifft, ist immer wieder von chaotischen Zuständen die Rede.

Nun, entscheidend sind die Leistungen. Hat das Burgtheater ein Gesicht? Gibt es eine charakteristische Geschlossenheit des Gebotenen, das diese Bühne von den andern abhebt? Gibt es eine Spielplangestaltung geprägter Eigenart? Lassen Autoren von überregionaler Bedeutung hier ihre geistig anspruchsvollen, szenisch packenden Stücke uraufführen? Werden neue Aufbrüche im Geistigen in den dargebotenen Bühnenwerken initiiert? Gibt es szenische Umsetzungen, sprich Regieleistungen, die durch vielfältig neue Akzente weiterwirken? Das alles ist nicht der Fall.

Den Spielplan bestimmen vor allem die Meisterdramen der Vergangenheit, die eine große Bühne, einen großen Aufwand erfordern, wobei beachtlichere oder weniger beachtliche Aufführungen zustande kommen. Diese Stücke aufzuführen, ist zweifellos eine Aufgabe des Burgtheaters, aber eine Ausstrahlung geht erfahrungsgemäß davon nicht aus. Neuere Bühnenwerke werden meist anderen Bühnen nach-

gespielt. Entschließt man sich, das Stück eines Autors zu spielen, der neue Akzente setzte, so sind es nicht die Werke, durch die er berühmt wurde, sondern spätere, schwächere. Siehe Ionesco, Edward Bond. Und erst recht werden Stücke von Österreichern erst dann im Burgtheater uraufgeführt, wenn der betreffende Autor längst anderswo durchgesetzt ist. Siehe Thomas Bernhard. Initiative fehlt im Spielplan. Eine Bühne ohne Initiative ist nicht führend.

Die Berliner Schaubühne am Halleschen Ufer hat in den letzten Jahren unter Peter Stein die Aufmerksamkeit im deutschen Sprachbereich auf sich gelenkt, das war auch bei Inszenierungen des Österreichers Hans Hollmann, besonders in Basel, der Fall. Derlei ist dem Burgtheater, Jahrzehnte zurück gesehen, nicht gelungen. Das schmerzt den kulturbewußten Österreicher, man hat an diese Bühne Forderungen zu stellen, die ihrer Vergangenheit im vorigen Jahrhundert entsprechen. Diese Vergangenheit verpflichtet. Soll es bei den Direktoren nach ihrem Abtreten immer wieder heißen, daß sie es nicht geschafft haben?

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Ein grundlegender Fehler des heutigen Theaters ist der ausschließliche Blick der Direktoren auf die Regisseure, Schauspieler, Bühnenbildner und auf die internen Betriebsverhältnisse. Nun läßt es sich nicht leugnen, daß man mit dem vielleicht fesselnden Aufsagen des Telephonbuchinhalts nicht durchkäme, es beim Theater nun einmal der Theaterstücke bedarf. Das ist aber so ziemlich das letzte bei den Bühnen, man begnügt sich mit dem, was massenhaft angeboten wird. Bei einer Großbühne 500 bis 1000 Manuskripte im Jahr.

Nun ist zweifellos die schwächste Stelle des heutigen Theaters das Theaterstück, man spricht nicht von einer Krise des Theaters, sondern berechtigt von einer Krise der Bühnenliteratur. Der Kapitän eines Schiffs setzt seine Kräfte dort ein, wo sie am nötigsten sind. Kümmern sich die Burgtheaterdirektoren, wie es früher der Fall war, um die Stückproduktion, haben sie einen Kreis von Autoren um sich, vor allem von österreichischen, aber nicht nur, mit denen in der Entwicklung des Theaterstücks vorgetastet wird? Nichts davon. Joseph Schreyvogel beriet die Dramatiker, Grillparzer hatte einen Fünf jahresvertrag als Theaterdichter. Daran ist heute gewiß nicht zu denken, aber Kräfte sind in dieser Richtung einzusetzen.

Wie die Theatergeschichte lehrt, geht entscheidend Neues nicht von den Regisseuren, sondern von den Stückeschreibern, von den Bühnendichtern aus. Hier vorzustoßen, eine Bastion geistigen Ranges im sinnlich parabelhaften, szenischen Spiel zu sein, das Neue selbst zu initiieren, es nicht stets andern zu überlassen, das wäre die Aufgabe des Burgtheaters. Dann könnte es führend sein, würde es dem Anspruch des Gründers gerecht werden.

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