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KLEINBÜHNEN IN PENSION?

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Wien hat derzeit rund ein Dutzend Kleinbühnen mit mehr oder weniger regelmäßigem Spielplan. Diese Bühnen wären an sich nicht nur das Zeichen einer erfreulichen Aktivität, sondern auch notwendig. Über die Existenzberechtigung von kleinen und Kleinsttheatem ist so lange nicht zu diskutieren, als sie ihrer Aufgabe nachkommen, Neues zur Diskussion zu stellen, zu experimentieren, Stücke zu zeigen, die anderswo nicht gezeigt werden könnten, und so überhaupt dazu beitragen, die Beziehung der künstlerischen Tradition zur „Revolution“ nicht abreißen zu lassen. Kleinbühnen, Kellertheater usw., die nicht in irgendeiner Form „Avantgarde“ repräsentieren, haben sich selbst in Frage gestellt und sich zu Ablegern der großen Brüder gemacht. Burgtheater in Westentaschenformat aber sind entbehrlich ...

Sieht man sich den Spielplan der Kleinbühnen vom letzten Spieljahr an, dann kann einen nur einigermaßen Informierten bloß Trauer oder Melancholie packen. Der große Schlager der vorigen Saison war das harmlose Unterbaltungs- stück — man machte in Konversation —, die einen, weil sie kein Geld hatten und daher „zugkräftige“ Stücke spielen zu müssen glaubten, die anderen, weil sie Geld hatten und den Schlaf der Subvention schliefen. Nur drei von den zwölf Bühnen hatten diskutable Stücke anzubieten: Das Ateliertheater, unter der Leitung Veit Reims, die Studentenbühne Die Arche, und die von Conny Hannes Meyer angeführten Komödianten. Beginnen wir beim neu gegründeten Nestroytheater. Als man hörte, Wien würde nun endlich ein eigenes Theater haben, auf dem einer der wichtigsten (wenn nicht überhaupt der wichtigste) österreichische Dramatiker permanente Wiederbelebungen erfährt, war der Jubel von Liebhabern begreiflicherweise groß. Die Begeisterung wich aber bald einer akuten Spielplanfrustration (abgesehen von der oft mangelnden Qualität der einzelnen Aufführungen).

Direktor Piki hat mit seinen beiden Bühnen Experiment am Lichtenwerd und Theater im Palais Erzherzog Karl erhebliche finanzielle Sorgen. Das mag manche Stückauswahl verständlicher machen, ist aber keine Entschuldigung für ein nichtvorhandenes Konzept. Man kann auch mit wenig Geld interessantes Theater bieten. Mit konventionellen One- Man-Shows und Konfektionslustbarkeiten wie „Monsieur Lamberthier“ vertut man Chancen. Vielleicht sollte man es einmal mit der Flucht nach vorne versuchen? — Wenn der Leiter des Theaters am Belvedere, Irimbert Ganser, nicht von Zeit zu Zeit den fatalen Wunsch hätte, seine eigenen Stücke zu spielen (und diesem Wunsch auch nachgäbe), wäre schon viel gewonnen. Dann müßte noch das oft reichlich suspekte Engagement modifiziert werden, damit man es ernst nehmen kann. Daß dieses Spieljahr mit Weiß-Einaktern vielversprechend begonnen hat, kann ein Hoffnungsschimmer sein. Muß aber nicht

Die schwersten Fälle sind die beiden „großen“ subventionierten Kellertheater Tribüne und Courage. Von Courage kann beim Spielplan des Theaters der Courage keine Rede mehr sein. Man spielt brav sein anti-antisemitisches Stück oder Anti-Nazi-Drama pro Saison, füllt dazwischen mit harmlosen Späßchen wie „Codex-Podex“ von Courteiine die Kassen und renommiert am Ende ein bißchen mit dem Mut, den man vor 30 Jahren hatte. Gegen jede Behauptung steht der „Liebe Augustin“ aber nicht wieder auf! Das einzige „richtige“ Stück von der Auswahl her war Georg Orgels „Die seltsame Tirade des Lee Harvey Oswald“ (weil am richtigen Platz). Wer aber glaubt, mit der Inszenierung von Borcherts „Draußen vor der Tür“ heute einen Beitrag zur Gegenwartsbewältigung geleistet und Courage gezeigt zu haben, der liegt in einem nun bereits mindestens zehn Jahre dauernden dramatischen Dornröschenschlaf. Bei aller Achtung vor einzelnen Leistungen — so geht es ganz bestimmt nicht. Borchert traut sich jedes Theater zu spielen Stücke wie „Mac Bird“ oder von Peter Weiss möglicherweise nicht... — Was die Tribüne alles versäumt und nicht leistet, das könnte auf Jahre hin Spielpläne füllen. Sieht man von Rudolf Weys’ „1913“ ab, dann steht es mit der Funktion dieser Bühne schlecht. Der einstige Ehrgeiz, hier österreichische Autoren zu spielen, ist längst überflüssigen Kriminalpossen gewichen. Und selbst die wurden importiert. Was

Autoren wie Pierre Gripari oder Ostrowski in der Tribüne zu suchen haben, bleibt ebenfalls unklar. Ist das Vergnügen einiger Leute, die noch keinen Fernsehapparat haben, eine Subvention wert? Oder wem will Direktor Ander einreden, daß es keine österreichischen Autoren gibt, die es wert wären, aufgeführt zu werden?

Das Verdienst des Ateliertheaters war es, die neue englische Dramatik in Wien eingeführt zu haben. Die Information, die Möglichkeit zur Auseinandersetzung hat das Risiko einiger vielleicht schlechter Stücke gerechtfertigt. Nicht zuletzt aber auch die Qualität der Aufführung, die unter der neuen Leitung von Peter Janisch allerdings nicht mehr gewährleistet erscheinen. Man wird da eine Entwicklung noch abwarten müssen. — Spezialiäten waren auch immer von den Komödianten zu erwarten. Die Energie und die Originalität, die hinter der Arbeit dieser Gruppe steht, machen die Frage nach der Tendenz des Ganzen zweitrangig. Mag man auch mit dem einen oder anderen nicht einverstanden sein, hier wird auf alle Fälle lebendiges Theater gemacht, hier ist man auf der Suche nach eigenen Wegen — und findet sie meist. Es kommt zwar vor, daß man sich ideologisch verrennt („Iden des März“), aber geistige Provinz und Routine bleiben dort, wohin sie gehören. Sehr begrüßenswert ist auch die neue Einrichtung der Matineevorstellungen, in denen man ohne sonderlichen materiellen Aufwand literarische oder dramatische Tendenzen aufzeigen kann.

Die Studentenbühne Die Arche arbeitet mit sehr bescheidenen finanziellen und künstlerischen Mitteln. Erfreulich ist dabei der (fallweise) Mut zum Ungewöhnlichen. Das schon, längst fällige Vorstellen des polnischen Dramatikers Rözewicz ist der Arche zu verdanken; aus den Einzelerscheinungen müßte nur noch ein Konzept werden. — Das Arlequin-Theater teilt diese Probleme nicht unbedingt. Es hat seine Eigengesetzlichkeit und wirkt auch mit ihr.

Im Hinblick auf die spärliche Ausbeute könnte man — bei einiger Vergröberung — den Standpunkt vertreten, daß es sich seit über einem Jahr nur noch äußerst selten lohnt, in Wiens Theaterkeller hinunterzusteigen. Die meisten Direktoren scheinen ihre vor dem Haustor vorbeilaufende Straße mit dem Broadway zu verwechseln. Geldnot ist bedauerlich und stellt im Falle des Experiments und der Komödianten den Verantwortlichen kein allzu gutes Zeugnis aus. Gewiß sollte man dafür sorgen, daß sich Kriminallustspiele von selbst einspielen müssen, weil derartiges im Keller mehr als verfehlt ist, aber anderseits muß eine Bühne wie das „Experiment“ zuerst einen hochwertigen und attraktiven Spielplan bieten. Man kann nur hoffen, daß der mit der ersten Inszenierung eingeschlagene Weg von Audibertis „Die Langmütigen“ und „Oper der Welt“ weiter eingehalten wird.

Der Anschluß an das dramatische Weltgeschehen müßte sich bei ein bißchen Lesefleiß und Geschick herstallen lassen. Was wird in Paris, Berlin oder New York gespielt? Warum läßt eine Realisierung von Weiss-Stücken so lange auf sich warten, wieso kennt man bei uns die neue deutsche „Industrie“-Dichtung nicht? Aber man muß gar nicht so weit gehen. Die Österreicher werden in ähnlicher Weise ignoriert: Wer spielt die für Kellerbühnen sehr geeigneten Einakter von H. C. Artmann, Konrad Bayer und Gerhard Rühm, von denen erst wenige in Wien aufgeführt wurden; wer stellt (außer der „Publikumsbeschimpfung“) die Stücke Handkes zur Debatte; wer spielt den im Ausland sehr erfolgreichen Wolf gang Bauer; wer setzt sich in neuer Form mit dem Wiener Volkstheater auseinander — man würde bei Gleich und Meisl frappierende Entdeckungen machen können. Soweit nur einige Fragen, die man jederzeit vermehren könnte.

Hinterwäldlertum, Provinzialismus, der unnötigen Theaterstaub aufwirbelt und Problemlosigkeit auf seine Fahnen schreibt, und behagliche Lethargie kennzeichnen die momentane Spielplansituation der Wiener Kleinbühnen. Wenn nicht bald eine gewisse Selbstbesinnung eintritt, wird der Kontakt mit dem zeitgenössischen Theater endgültig

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