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Dichter, Richter, Regisseur

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Da hat vor kurzem ein Richter vom Landgericht in Frankfurt am Main namens Hummerich ein bemerkenswertes Urteil gefällt. Es ist nur ein vorläufiges, eine Hauptverhandlung folgt noch; aber es besteht immerhin die Möglichkeit, sogar die Wahrscheinlichkeit, daß die mündliche Verhandlung dieses Urteil bestätigt. Und dann sieht es schlimm aus um die deutschsprachigen Theater. — Aber beginnen wir am Anfang.

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Da hat vor kurzem ein Richter vom Landgericht in Frankfurt am Main namens Hummerich ein bemerkenswertes Urteil gefällt. Es ist nur ein vorläufiges, eine Hauptverhandlung folgt noch; aber es besteht immerhin die Möglichkeit, sogar die Wahrscheinlichkeit, daß die mündliche Verhandlung dieses Urteil bestätigt. Und dann sieht es schlimm aus um die deutschsprachigen Theater. — Aber beginnen wir am Anfang.

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Vor einem knappen halben Jahr hat ein junger, in weitesten Kreisen noch unbekannter und, wie wir hoffen, auch weiterhin unbekannter Regisseur names Peter Mossbach eine Aufführung der „Götterdämmerung“ inszeniert. Der Erfolg: ein Theaterskandal. Nicht nur, daß das Werk Wagners völlig „anders“ in Szene gesetzt war, als der Meister es sich und uns wünschte. Die Inszenierung war von jedem Gesichtspunkt aus sinnlos.

Die Mitwirkenden hatten es kommen sehen, denn sie schickten nachträglich dem jungen Regisseur einen Brief, in dem sie ihn beschuldigten, dilettantisch gearbeitet zu haben.

Auch wurde die Oper gar nicht bis zu Ende inszeniert. Im dritten Akt befand sich nur ein Orchester aus Pappe auf der Bühne und tat als ob. Das Publikum reagierte empört. Rollen mit Klosettpapier wurden auf die Bühne geworfen, wobei hier nicht untersucht werden soll, wie einige Zuschauer dazu kamen, sie überhaupt erst mitzubringen. Im allgemeinen ist doch so etwas nicht der Fall. Die Kritiken waren verheerend, die Inszenierung wurde sofort abgesetzt.

Jetzt sollte sie wieder aufgenommen werden, natürlich mit Änderungen. Dagegen protestierte Mossbach durch gerichtliche Schritte. Er konnte, natürlich, nichts dagegen einwenden, daß das Werk neu inszeniert werden müsse. Aber an seiner, ihm heiligen Inszenierung etwas zu ändern, schien ihm ein Sakrileg. Er stellte sich auf den Standpunkt — er steht noch immer auf ihm — daß, wenn er in der neuen Inszenierung einen seiner Gags entdecke, er die Aufführung verbieten dürfe. Das Arbeitsgericht stellte sich auf den Standpunkt, hierzu habe er kein Recht. Denn er sei ja für die Inszenierung bezahlt worden, sie befinde sich also als „Eigentum“ im Besitz der Frankfurter Oper. — Das Landgericht unter besagtem Richter Hummerich, — man muß sich den Namen wirklich nicht merken — widerrief das Urteil des Arbeitsgerichts. Die Regie, wie Moosbach sie ausübe, sei gewissermaßen ein schöpferischer Akt und müsse genau so geschützt werden wie zum Beispiel der Verfasser eines Theaterstückes oder einer Oper respektive das Theaterstück und die Oper selbst. — Falls das Theater gegen den Willen und unter Hinzunahme einiger Taten von Mossbach das Werk doch noch aufführe, müsse es eine sehr hohe Konventionalstrafe zahlen.

Hier wird nun alles durcheinandergebracht, was nur durcheinander zu bringen ist:

Nach den Gesetzen in Deutschland

— und wohl auch in Österreich — ist ein Werk, Schauspiel, Oper — eine Zeitlang geschützt. Nicht nur bis zum Tode des Autors, sondern auch dreißig, fünfzig, siebzig Jahre nachher. Dann wird es „frei“. Jeder kann mit ihm machen, was er will. Er kann es drucken, er kann es aufführen und er kann es in jeder beliebigen Weise aufführen. Aber bis zum Ablauf der Frist, es muß wiederholt werden, kann kein Theater und kein Regisseur mit dem Werk umspringen, wie das Theater oder der Regisseur gerade will. — Das berühmteste Beispiel: Richard Wagner wollte nicht, daß der „Parsifal“ anderswo als in Bayreuth aufgeführt werde. Infolgedessen konnte das Werk, bis Wagner dreißig Jahre tot war, wirklich nur dort gespielt werden, zum Kummer der Direktion anderer großer Opernbühnen. Dann allerdings konnten sie ihn alle bringen. (Inzwischen ist die Schutzfrist, siehe oben, erheblich verlängert worden.)

Ein Stück des amerikanischen Autors Albee, der lebt und sich bester Gesundheit erfreut, sollte in Stuttgart in völlig veränderter Weise aufgeführt werden. Unter anderem hatte der Regisseur ein Wasserklosett auf die Bühne gestellt, das auch in der Handlung irgendwie mitspielte. Der Bühnenverlag S. Fischer protestierte im Namen des Autors. Die Inszenierung durfte nicht stattfinden.

Ähnlich erging es Beiard, der in Brüssel „Die Lustige Witwe“ (entstanden 1904) mit Filmmaterial aus dem Ersten Weltkrieg spielen wollte. Da Lehdr erst um die Mitte unseres Jahrhunderts starb, stand „Die Lustige Witwe“ unter Schutz. Erben Lehärs verboten die Fortsetzung des Unfugs von Bejard.

Gleichen Schutzes können sich natürlich nicht Sophokles oder Shakespeare oder Schiller oder Goethe rühmen. Sie sind Klassiker. Und daß sie sich, obwohl sie schon lange, sehr lange tot sind, gehalten haben, sollte eigentlich bedeuten, daß sie es Wert waren und sind. Aber das muß-die

Regisseure nicht kümmern. Sie können „Tasso“ auf den Kopf stellen — siehe Peter Stein. Sie können Richard Wagner auf den Kopf stellen — siehe Mossbach.

Schon daß dies erlaubt ist, dürfte mehr als problematisch sein — siehe mein Buch „Theaterdämmerung — das Klo auf der Bühne“, das vor ungefähr sechs Jahren diese Mißstände geißelte.

Das Frankfurter Gericht geht einen Schritt weiter. Nicht nur, daß es bedauert, Mossbach nichts verbieten zu können, es spricht ihm sogar das Recht zu, zu verbieten. Wenn es einem Verbot gleicht, wenn das Theater im Fall, daß es die „Götterdämmerung“ doch in der oben beschriebenen Weise vorführt, rund eine halbe Million D-Mark Strafe zahlen muß. * .

Das Gericht steht, wie gesagt, auf dem Standpunkt, auch Regie sei eine schöpferische Tat. Hierzu sei einiges zu bemerken. Zum Beispiel: Der Dichter oder Komponist schreibt ja sein Werk auf eigene Verantwortung. Wenn es überhaupt aufgeführt und dann noch erfolgreich wird, verdient er Geld damit. Wenn er niemanden findet, der es aufführt, verdient er kein Geld. Es ist also nur logisch, daß das Werk sein „Eigentum“ bleibt. Der Regisseur aber bekommt ein Gehalt oder ein Honorar oder eine Gage; wenn er verlangt, daß sein Werk trotzdem noch geschützt wird, will er also gewissermaßen doppelt bezahlt werden.

Aber wie ist es denn nun um da. Werk bestellt? Im Frankfurter Fall war es doch so, daß der Regisseur etwas lieferte, das niemand wollte. Weder das Publikum, noch die Mitwirkenden, noch die Theaterleitung, noch die Kritiker. — Trotzdem steht der Regisseur auf dem Standpunkt, daß er schützenswert sei.

Natürlich kann sich das Theater dadurch aus der Patsche ziehen, daß es das Werk neu inszenieren läßt. Von einem Regisseur, der mit Mossbach nichts zu tun haben will. Und daß Mossbach trotz aller Anstrengungen, zu beweisen, seine Einfälle seien verwendet worden, dies nicht beweisen kann. Aber das wäre erstens sehr kostspielig — so viel Geld steht dem Theater nicht zur Verfügung — und zweitens: es ist sehr schwer, zu beweisen, daß in eine Inszenierung nicht irgendwelche Elemente übernommen worden sind, die das „Eigentum“ des ursprünglichen Regisseurs waren. Ein Gang, eine Geste, die identisch ist, würde schon genügen und das Theater müßte eine halbe Million zahlen. — Also wartet es ab, ob nicht eine höhere Instanz anders entscheidet. Und die „Götterdämmerung“ wird vorläufig in Frankfurt nicht zu sehen und zu hören sein. — Es sei hinzugefügt: Die Situation wäre auch nicht weniger grotesk, wenn über die Inszenierung zu reden wäre, wenn es sich nicht um eine solche Mißgeburt handeln würde.

Was prinzipiell zur Frage steht, ist: Kann jeder, der Lust dazu hat, und dem ein vertrauensseliges Theater eine Inszenierung übergibt, nun daraus Rechte herleiten? Und wo bleiben die auch nach Ablauf der Schutzfrist immanenten Rechte des Dichters oder des Komponisten?

Im Grunde genommen läuft die Sache auf zwei Fragen hinaus: Muß das deutsche Theater sich ausrichten nach den Ideen eines offenbar größenwahnsinnigen jungen Regisseurs (von dem übrigens noch niemand etwas gehört hat), und eines Richters, der ihm offenbar an Größenwahn nicht nachsteht, ja, von dem man annehmen könnte, er glaube, Richtsprüche seien ebenfalls einer Schutzfrist unterstellt und bis fünfzig oder siebzig Jahre nach seinem Tode dürfe niemand daran rütteln, mit einem Wort, eines Richters, der sich vorkommt wie ein Regisseur.

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