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Shakespeare-Pflege in Österreich

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Als Prinzessin Maria Magdalena, eine Schwester Kaiser Ferdinands IL, den Großherzog Cosimo von Florenz heiratete, bald nachdem die Erzherzoginmutter Maria im April 1608 in der Grazer Burg gestorben war, gab es große Festlichkeiten in der steirischen Residenz. Ferdinand ließ damals englisdie Schauspieler kommen, und Graz wurde zu dieser Zeit die erste Stadt in Österreich, in der Shakespeare noch bei Lebzeiten des großen Briten gespielt wurde.

Graz, die Stadt der Künstler und Schwärmer, darf sich damit im Zusammenhang aber auch noch einer zweiten Tatsache rühmen. In dem großen Schauspieler Johann . Brockmann (1745—1812) hat Graz Deutschland den ersten deutschen Hamlet geschenkt. Denkmünzen mit Brockmanns Bild wurden geschlagen, Plastiken und Bilder entstanden, die auf die Kunst des Grazer Schauspielers und berühmten Österreichers Bezug nahmen. Brockmann wurde 1777 in Berlin der erste Schauspieler, der — bei seinem Abschied als Hamlet — herausgerufen wurde.

Die „Entdeckung“ Shakespeare aber brachte erst das 19. Jahrhundert. Deutschland, Skandinavien und Finnland, die Russen, Polen und Südslawen, die Italiener, die Spanier und die Rumänen, aber auch die Ungarn, die Griechen und die Türken kamen zur modernen Shakespeare-Pflege auf ihrem Theater durch das gemeinsame Vorbild der Schlegel-Tiekschen Ubersetzung und durch den Shakespeare-Stil der österreichischen Bühnen. Seitsame Tatsachen: Nicht die Engländer haben ihren größten Dramatiker den meisten Völkern Europas gebracht, sondern das österreichische Theater des 19. Jahrhunderts war der geistige Mittler, der das Werk des großen Engländers für dauernd in ganz Europa lebendig gemacht hat. Um Shakespeare, den Goethe unter seine großen Lehrmeister zählte, vollendet aufgeführt zu sehen, kamen sogar die Engländer nach Wien und bewunderten

im Burgtheater Anschütz als Lear, Mitter-wurzer als Richard III., Makowsky als Othello und Kainz als Hamlet. Der Burgtheaterstil war das zwar unerreichbare, aber immer wieder angestebte Vorbild für alle diese so verschiedenartigen Nationaltheater der Kroaten und Tschechen, der Ruthenen und Slowaken, der Ungarn und Polen. Neben ihren weniger umfangreichen Eigenproduktionen brachte er ihnen allen ja den Atem der großen Welt!

Einer Statistik der deutschen Bühnen, die mir kürzlich in die Hand gekommen ist, habe ich die gewiß erstaunliche Tatsache entnommen, daß der 1929 an deutschen Bühnen meistgespielte Theaterautor William Shakespeare heißt. Trotz aller Serienerfolge englischer Lustspiele und Wiener Operetten haben also die Theaterbesucher dem klassischen Drama den höchsten Vorzug gegeben, und zwar in einer Zeit, da die Theaterdirektoren fast überall Sklaven ihrer Kassiere waren und alle idealen Forderungen längst in den rauhen Wind des Kinojahrhunderts haben sdilagen müssen. Jene statistisch festgestellte Tatsache erklärt sich natürlich zum Teil aus der ungeheuer großen Zahl von Shakespeares Bühnenwerken, die kaum von irgendeinem Autor erreicht wird. Andererseits muß aber wohl im Publikum eine Sehnsucht nach der ewigen Magie des großen und echten Theaters leben, eine Sehnsucht, die offenbar um so stärker wird, je unzeitgemäßer sie zu sein sdieint und die alle Prophezeiungen von der baldigen völligen Verdrängung der Schaubühne durch die tönende Schauleinwand in nichts zerflattern läßt.

Bürger nennt Shakespeare in einem Brief an den fünfundzwanzigjährigen Goethe-„großmächtig“, und diese Großmächtigkeit rührt uns heute genau so handfest an wie alle Menschen seit dem 16. Jahrhundert. Ein Aufhören dieser Wirkung ist nach menschlichem Ermessen nicht absehbar. Shakespeare scheint unsterblich zu sein wie Homer und Goethe.

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