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Das Fiasko der NS-Literatur

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Das Geschlecht der M e d i c i in Florenz, . das seine überragenden Fähigkeiten erst auf einem ziemlich profanem Gebiet, dem der Bankgeschäfte, unter Beweis gestellt hatte, wurde unter Cosimo so erfolgreich zum Schirmherrn der Künstler und Kunst, daß wir heute noch von einem Medicäischen Zeitalter, dem Eldorado der mittelitalienischen Kunstpflege reden. Wie vermochte dies Cosimo? An sich einfach genug: Er zog einen Michelangelo, einen Pico von Mirandola an den Hof, bot ihnen Raum für künstlerische und gelehrte Betätigung. Ein Schwärm bedeutender Männer folgte den Beiden, die Reibung genialer Naturen, ja schon die kunstliebende Athmosphäre machte den Hof zum Blütengarten, in dem alles Schöne und Edle sproßte, reifte und Früchte trug. . _

Das womöglich noch glorreichere deutsche Gegenstück ist der Weimarer Hof unter Herzog Karl August. Die vier Dichterzimmer des Schlosses geben Kunde von den Quadrumvirn der deutschen Klassik, Goethe, Schiller, Wieland, Herder, die hier gleichzeitig wirkten. Die Fürstengruft ist noch heut die große Sehenswürdigkeit, nicht wegen der Sarkophage der herzoglichen Familie, sondern wegen der zwei Eichensarge, in denen auch im Tode noch die beiden Unerreichten der deutschen Literatur, Goethe und Schiller, ruhen. Die Art, wie sich die beiden konträren Naturen fanden, ansogen, ergänzten, anregten und befruchteten, ist vielleicht das interessanteste Blatt der deutschen Geistesgeschichte. Einer legte des andern tiefste Kräfte frei, um dann aus dem eigenen Seelenbereich das Höchste herauszuholen:' Intuitionen und Emanationen des Genies, das sich an der kongenialen Umwelt entzündete und destillierte.

Mit Staunen gewahren wir bei näherem Zusehn, wie beschränkt die Möglichkeiten, direkt auf die Nation zu wirken, fürs erste waren: Bescheidene, schlecht dotierte Journale, ein von Intrigen nicht freies Hof-tfceater, eine von Kabale und Liebe wiederholt gesprengte schöngeistige Gesellschaft. Die gegenseitige Achtung, der trotz finanzieller Abhängigkeit souveräne Geist, die volle künstlerische Freiheit ließ Veilchen wnd Rosen blühen, Taxus und Tannen wachsen, wie es in der Natur des Samens grundgelegt ist.

Welch ungleich höhere finanzielle, organisatorische, propagandistische Möglichkeiten besaßen nach dem Antritt ihrer Herrschaft m Deutschland die Machthaber von München, Nürnberg und Berlin, ein goldenes Zeitalter der deutschen Literatur xu schaffen!

Die waren sich dieser Möglichkeit wohl bewußt, wiederholt und vernehmlich haben säe verkündet, daß sie es herbeiführen werden, in einem Ausmaß und Glanz, daß das herzogliche Weimar daneben wie das Krähwinkel von Kreisstadtpoeten aussehen sollte. Was ist daraus geworden? Das Radio aller Reichssender wurde ein Altwarenlager ausgespielter Platten und Walzen, die Bibliotheken Schauplatz der ( Autodaf ees von Werken der Weltliteratur und heimischer Schriftsteller, die sich in dem Tohuwabohu klaren Kopf und reines Herz bewahrt hatten. Bühnen und Kinos die verödeten Stätten kurzfristiger Gastspiele zur Verherrlichung von parteihaft frisierter und zugestutzter Ideale.

Göbbels4 hatte in seiner letzten Weihnachtsrede die ergreifende Wandlung des Führerantlitzes vom bestrickenden Volksredner zum sorgenvollen Staatsmann gefeiert. Erschütternder, jedenfalls bezeichnender war die Metamorphose der Führerverherrlichungs-Dichtung, des Kronstücks der neuen Lyrik. Erst die phantasievolle Apotheose des Einmaligen, dem das Schicksal alle staatsmännische und strategische Weisheit geschenkt hatte. Sich nur betrachtend in die Nähe zu wagen, war schon Majestätsbeleidigung und Gotteslästerung zugleich. Dann aber wurde aus dem „Führer“, der alle Gnadengaben aus ureigenstem Spind verschwenderisch verlieh,der Greis, dem der rührende Kehrreim galt: Helft ihm helfen! Der nächste noch dringlichere: Rettet mit ihm, was — bereits verloren ist!

Damit ist bereits , der Hauptgrund des Fiaskos der Göbbelinischen Literaturepoche angedeutet. „Mein Kampf“, bei dessen Lesung jeder geschulte Blick die Autoren, Werke und Kapitel feststellen kann, aus denen er zusammengeschrieben wurde, ward alljährlich in Millionenauflagen neu gedruckt, er wurde auf Volkskosten in jede Wiege, auf joden Hochzeitstisch gelegt, in jeder Bibliothek mit Scharen von Nachschreibern und Ausdeutern beherrschend postiert. Für ein geistig eigenständiges Schrifttum blieb weder Raum noch Geld noch Papier.

Dieser uneuropäische, tindeutsche Zwang zur byzantinischen Uniformier ng war auch der Grund, warum Künstler, die auf sich hielten, von Roman, Epos und Drama zurückwichen, sooft sie auch zur Abfassung aufgefordert wurden. Sie ahnten und wußten: An diesem glühend heißen Stacheldraht, der die geistigen Bestrebungen außerhalb des KZ. zum Vergasungstod zusammentrieb, versengen die Schwingen der Falter und Adler. Göbbels schien zu spaßen, hatte aber bitter Ernst, wenn er die Schriftsteller mehr als einmal aufforderte, „Mut“ zu zeitgemäßen Themen zu haben. Es hat für den freien Künstler viel Mut dazu gehört, der Einladung zu folgen und sein Innerstes an diesen gigantischen Brandopferaltar zu tragen.

Es gehörte auch der Verzicht af Selbstachtung dazu, sich an Themen und Gestalten zu machen, die die allmächtige Parteipropaganda auf Händen, in denen der Dolch glänzte, darbot. Wie beschämend war es doch schon für die einigermaßen geistig bemittelten Amtsträger und Sachwalter, daß die Vortragsthemen, Schlagworte, Begründungen und — Zwischenrufe erst in Berlin zugerichtet und dann von. den Propagandamännern und Kulturwahrern der Gaue und Kreise aufgewärmt serviert wurden.

Gab es auch Schriftstefler, die Tendenzmachwerke schrieben — das Leservolk hatte nicht die Kraft und Lust, sie zu lesen. Gerade die Inwohner von Arme-Leute-Häuser wollen Prunkfilme. Die geistig ausgehungerten, seelisch unterernährten Leser und Leserinnen flüchteten zu den versteckten und verpönten Büchern. Die Antiquariate hatten Hochkonjunktur, die Systempoeten und -dramatiker rote Köpfe. Ein ostentatives Auszischen der NS-Kunst wäre ja gleibedeutend mit einer Eintrittskarte nach Dachau gewesen. Aber der erfinderische und hartnäckige Wille zur Abwehr ließ sich auf die Dauer ebensowenig unterdrücken wie das Gähnen. Immer häufiger gab es Gelegenheit, seiner Sympathie für wahre Kunst — und Freiheit Ausdruck zu geben. Don Carlos mit seiner Marquis-Posa-Mahnung: Sire, geben Sie Gedankenfreiheit! war ja längst von der Bühne verbannt. Es war nicht einmal rätlich, Schillers „Teil“ zu geben, man war nicht sicher, daß nicht auf dem Geßlerhut — ein Hakenkreuz aufgenäht war.

Ich habe das Wagnis v der Leitung des Volkstheaters bewundert, schon am dritten Jahrestag des Ostmarkraubes Grillparzers „König Ottokars Glück und Ende“ auf den Spielplan zu setzen und habe ergriffen den Jubelapplaus mitangehört, mit dem das übervolle Haus Ottokar von Hornecks Preislied auf Österreich auf offener Szene tumultuarisch lohnte:

's ist möglich, daß in Sachsen und beim Rhein Es Leute gibt, die mehr in Büchern lasen; Allein, was not tut und was Gott gefällt, Der klare Blick, der offne richt'ge Sinn, Da tritt der Österreicher hin vor jeden, Denkt sich sein Teil und läßt die andern

reden!

Q gutes Land! O Vaterland! Inmitten Dem Kind Italien und dem Manne

Deutschland

Liegst du, der wangenrote Jüngling, da; Erhalte Gott dir deinen. Jugendsinn Und mache gut, was andere

verdarben!

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