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Österreicher und Preußen

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In Oesterreich hatten keltische und slawische Wesenheit, oder schreiben wir lieber, auf die Gefahr hin, unliebsame Erinnerungen an die „rassische" Wissenschaft zu wecken: das Bluterbe weslischer, miitelmeerischer und dinarischer Ahnen eine Seelenlage der Bewohner geschaffen, die der eines nordisch-ostisch-fatarischen Konglomerats von der Art des preußischen und großrussischen Volkskerns gar nicht glich. Ob wir die schlamperte Grazie, die Verbindlichkeit und Unverbindlichkeit des Oesterreichers, seinen Hang zum Kompromiß, seine Scheu vor schroffen Entscheiden, seine runden Formen, seine Bereitwilligkeit, mit dem Himmel und mit dem Gewissen Arrangements zu treffen, ob wir die heitere Gelassenheit im Lande des noch unter Tränen nicht verlernten Lächelns betrachten, ob wir die Anmut der Polin rühmen, die von allen Reizen die köstlichsten vereint, und ob wir den ritterlichen Sinn, die beschwingte Phantasie, die auch an sehr schwierigen Aufgaben erprobte Tüchtigkeit der polnischen Männer anerkennen, ihnen allen, den Menschen des Habsburgerreichs und denen der Rzeczpospolita, war es eigen, daß Sie vieles leicht nahmen — und daß sie deshalb von Schwerblütigeren, Schwerfälligeren zu leicht befunden wurden; daß sie Arbeit als Notwendigkeit, nicht aber als letzten Zweck ansahen, und daß sie sich wie andern jedes überflüssiges Ungemach gerne ersparten. Sie waren weich, trotzdem nicht breiig; sie waren nicht scharf, doch deshalb alles eher denn stumpf; sie waren opferwillig, doch nicht opfersüchfig; sie befanden sich mit dem Jenseitigen auf vertrautem Fuß und in Beziehungen, die durch die Kirche wohlgeregelt waren, doch sie standen mit beiden Füßen auf dieser Erde, froh bereit, jhre Freuden zu genießen, resigniert bereit, hereinbrechendes Leid zu ertragen. Sie brauchten Freiheit, sich zu bewegen, zu denken, zu fühlen, und sie wünschten so wenig wie möglich von Behörden gegängelt, von Normen beengt, von Vorschriften gehemmt zu werden. Sie haften, gewiß zu Unrecht, geringe Begeisterung für Handel und Wandel, für Drill und Strammheit, um so mehr für den glänzenden Kavalier, für den Künstler und für jederlei Kunst. Der nüchterne Preuße war eckig und schneidend, sein Ja war Ja und sein Nein womöglich in noch höherem Grade Nein. Er haßte Kompromisse und strebte darnach, voll und ganz zu sein, mindestens es zu scheinen. Den kategorischen Imperativ heroischer Moral schleppte er stets mit sich herum. Nur selten war er vergnügt, dann klang aber das Lachen überlaut, bald grimmig, bald gezwungen. Die Frauen dunklen den fremden Besucher, wie es einmal in einem Schmockbericht von Berliner Hoffestlichkeiten hieß, „mehr rassig als schön”; die Männer suchten zackig und knorrig zu wirken, jeder Zoll ein ganzer Kerl, und sie hüteten sich außer an dazu bestimmten Orten des Lasters, der Lust, der Lustbarkeit, zu bestimmten Zeiten und auf vorbestimmte Weise —, den Eindruck zu verbreiten, als hätten sie auf der Welt andere Aufgaben zu erfüllen, denn zu „schaffen”, zu werken, zu wirken, für König und Vaterland, fürs Vaterland ohne den König, für Führer, Volk und Reich, für Freiheit und Frieden, für… Doch wir wollen nicht vorgreifen. Der Preuße war hart, doch nicht unbeugsam vor Thronen oder vor Volkssouyeränifqten; er berauschte sich am Gedanken eines Seins zum Tode, einer Existenz als Toter auf Urlaub (wobei derlei Gnadenfrist beileibe nicht zum Aufjauchzen in Torschlußpanik verwendet werden durfte). Preußische Religiosität war grübelnd bitter ernst, nach innen gekehrt, zugleich höchst persönlich und Staatsangelegenheit, Sache der Gemeinschaft in Sitte und Sittlichkeit. Freiheit wurde z u etwas gefordert, und nicht von Bindungen. Dem König, dem Vorgesetzten, der Obrigkeit war es vorbehalten, für die ihnen Untergebenen zu sorgen, die Richtlinien auszugeben, eine möglichst ins einzelne dringende Weisung für das Verhalten in allen Situationen zu erlassen. Zum Musferunferfan wurde der, dem es am besten gelang, die Befehle schneidig auszuführen und sie von Untergebenen ebenso schneidig ausführen zu lassen. Preußisches Ideal war ursprünglich nur der Berufsmilitär jeder Stufe, vom Soldaten zum Generalfeldmarschall. Diesen wandelnden Beispielen der Vollkommenheit, die des Königs Rock trugen, traten erst im 19. Jahrhundert Wirtschaftsleute und, allerdings schon seit der Aufklärung, Gelehrte zur Seife, um welche beide Sorten Mensch man sich in Zwischeneuropa weniger kümmerte (obzwar man das nicht wahrhaben wollte).

Angesichts der von uns geschilderten Unvereinbarkeit der Charaktere wird es wenig überraschen, daß ein Vordringen des Preußentums in den ihm wenig adäquaten Raum der Habsburgerrnonarchie auf lebhafteste Ablehnung stieß. Sie wurde um so heftiger, je mehr die Hohenzollernmonarchie mit politischen Herrschaftsansprüchen hervorfrat und je deutlicher die preußischen Repräsentanten als Diplomaten, als Gelehrte und als Schriftsteller ihre Ueberlegenheit herauskehrten. Es wäre ganz falsch, so wie das meistens getan wird, den Akzent auf einen zwar vorhandenen, nicht aber bis in die Tiefen des Unferbewußfseins und der animalischen Reaktionen vorprellenden nationalen Gegensatz von Deutsch und Slawisch (oder Magyarisch) zu legen. Rheinländer haben sich in Oesterreich schnell und völlig akklimatisiert; sie haben, von Barfensfein bis zu Johann Philipp von Stadion, von Metternich bis zu Ludwig von Pastor, sich ausgezeichnet in die Habsburgermonarchie eingefügt, ja sie sind zu hervorragenden Vertretern des Oesferreichertums geworden. Wenn aber Schwarzbrot und Kipfel, Kamerad Kommißstiefel und Kamerad Schnürschuh, wenn Wagenknechf und Sedlatschek (aus den „Letzten Tagen der Menschheit und aus allen früheren Tagen) aufeinanderstießen, dann setzfe es Funken. Sie entzündeten unter Friedrich II. und Maria Theresia drei große Kriege; sie wären unter Felix Schwarzenberg beinahe zu einem Zusammenstoß gediehen, der für Oesterreich günstiger abgelaufen wäre als dann die Auseinandersetzung von 1866. Auch in den Jahren, da Wien und Berlin in beglaubigter Bundesgenossenschaft verharrten, gemeinsame Gegner bekämpfend oder friedlich in schimmernde Wehr gehüllt, verbarg indessen die in offiziellen Reden gefeierte Nibelungentreue nur schlecht Gefühle und Gelüste, die weniger an die Nibelungen des Epos als an die beiden Brüder Alberich und Mime, die Nibelungen der Tetralogie, gemahnten. Jeder der beiden Alliierten, die bis ins letzte Drittel des 19. Jahrhunderts einander die Hegemonie in Deutschland streifig machten, die jedoch auch später zu keiner echten Solidarität gelangen konnten, sann darauf, vom Partner loszukommen, war bereit, rhn gegebenenfalls im Stich zu lassen und empfand dunkel, in jenem Unterbewußfsein, das den Staaten wie den Individuen eignet, daß im Grunde das Verderben des einen das Heil des anderen gewesen wäre, und umgekehrt.

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