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Glanz und Tragik eines Standes

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Der österreichische Adel — einst und jetzt

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Der österreichische Adel — einst und jetzt

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Wenn man vom österreichischen Adel spricht, eröffnet sich eine Vision von der Farbenpracht eines Rubens oder Makart. Denn man muß weit über die Grenzen der Alpen- länder, des heutigen Oesterreich, hinausgehen, um ihn darstellend zu erfassen. War er doch in jener Zeit, da er — durch Jahrhunderte — dem sozialen Leben, man kann sagen dem ganzen Staatswesen, sein Gepräge gab, der Adel eines Weltreiches, zusammengefaßt im Glanze der römisch-deutschen Kaiserkrone. Aber selbst über die so weit gezogenen Grenzen dieses einst kosmopolitischen Raumes hinaus gab es für diese Körperschaft, in die man hineingeboren wurde, kaum eintreten konnte, keine territorialen Abgrenzungen. Zu den Ständen der alten Erblande kamen die adeligen Geschlechter aus dem „Reich", kamen die Wallonen, die polnischen und ungarischen Magnaten — letztere später vielleicht in anders empfundener Bindung —, die spanischen Granden aus den Tagen Karls V. und Karls VI., die Herren aus den ehemals habsburgischen Territorien in Italien: die Creme der europäischen Nationen katholischen Bekenntnisses.

Aus diesem Hochadel — und nur von ihm ist die Rede, wenn man vom österreichischen Adel spricht — stammten die kaiserlichen Staatsmänner und Diplomaten vieler Generationen, während die großen Heerführer meist ausländischen Geschlechtern entstammten (Prinz Eugen, Montecuccoli, Piccolomini, Daun), die in kaiserliche Kriegsdienste traten oder überhaupt erst in diesem neben ihrem militärischen ihren sozialen Aufstieg erlangten (Sporck, Aldringen,’ Gallas, Laudon, Heß, Kuhn, John, Conrad von Hötzendorf). Reich begütert, genoß der Adel bei hohem Lebensfuß eine innere und äußere Unabhängigkeit, die ihn nicht selten kleineren Landesherren gleichstellte, ja über diese erhob. Ihre Familienherrsohaften bildeten ja manchmal beträchtliche Flächenteile der betreffenden Länder. Und viele waren nach dem Hausgesetz der regierenden Dynastie dieser selbst „ebenbürtig", so daß ein Mitglied des Kaiserhauses nicht seinen Rang verlor, wenn es einen Sohn oder eine Tochter aus solchen Geschlechtern ehelichte. Sie waren, was sie genannt wurden: die „erste" Gesellschaft.

Dieser Adel war aus dem Blut fast aller europäischen Nationen geformt, untereinander weithin verschwägert und verschwistert und hielt solche Verwandtschaft in einem bei anderen Ständen ungewöhnlichen Ausmaß. Er bildete eine einzige große Familie, in der — sicherstes Zeichen der Zugehörigkeit — jeder jedem und jede jeder prima vista das „Du" bot. Aus solchen Blutmischungen entstand eine Rasse voll Charme und Weitläufigkeit, von angeborener Urbanität, voll jener Sicherheit, die nur eine seit Mensohengedenken unangefochtene soziale Position verleiht. Vortreffliche Sportsleute in der Mehrzahl, hielten sie ihre Rasse inmitten ihres Reichtums lang hinaus „in Form". Ihre Stärke war nicht die Systematik, sondern die Intuition, die Erfassung und Meisterung des Augenblicks. Aus solchen Umständen im weitesten Sinne entsteht eher eine lebensgewandte als eine lebensharte Rasse, wie dies etwa der auf kargem Boden siedelnde preußische Adel war. Ihr wissenschaftliches Gepäck war meist gering. Recht zutreffend charakterisiert das die Anekdote über den Herrn im „Vorkriegs-Wien", der einen Fiaker beauftragte, ihn zum Buchhändler X. zu fahren. „Ich kenn’ keinen Buchhändler", erwiderte der mehr oder weniger Biedere darauf, „ich fahr’ nur Grafen." Die methodische Beschäftigung mit geistigen Problemen war dem österreichischen Adel eine Ausnahme, metaphysische Erwägungen für ihn ein unerfreuliches und zweckloses Beginnen. Denn der Adel liebte den natürlichen Kontakt mit dem Volke, soweit dieses noch seine Lebensauffassungen teilte, nicht aber mit dem in die Zweifel und Wirren einer sich umgestaltenden Zeit hineingestellten Bürgertum, dessen geistige Grundhaltung ihm fremd, fast bedrohlich, dessen Umgangsformen ihm gehemmt, pedantisch und unsicher erschienen. Es zog ihn eben in allem das Natürliche, das wohl Verfeinerte, aber Vereinfachte an, und das Faustische im Menschen zu überwinden lag ihm fern: denn er kannte es nicht und wollte es nicht kennen. Es eignete ihm nicht selten eine Art „holder Leichtsinn", die Neigung, sehr Schweres sehr leicht zu nehmen, nicht zu sehen, was er nicht sehen wollte, und wenn er es wirklich einmal sehen mußte, es beiseite zu schieben, wie er es mit allem tun konnte, das ungebeten seinen Weg kreuzte. Die doch gleichfalls naturgegebene Problematik einer sioh in allen Bezügen neu gestaltenden Welt, deren unabänder- liches, aber verworrenes und verwirrendes Fortstreben zu „neuen Ufern", war nicht seine Sache. Es mußte ein Ding intuitiv erfaßbar, es mußte mit seinen Maßen wägbar sein, dann allein hatte es für ihn Gewicht.

Wir haben gesagt, daß wir nur vom Hochadel sprechen, von jenen „gewachsenen" Geschlechtern, die ihre Einreihung in den Stand auf Jahrhunderte zurück keinem Diplom, sondern ihrer Geburt verdankten. Ganz selten trat in diese Kreise ein Beamter oder Offizier nichtadeliger Abkunft wirklich ein. Denn für den Wissenden trennte eine tiefe Kluft den Adel von der „zweiten" Gesellschaft", dem Beamten- und Militäradel. Zwischen diesen beiden Sphären gab es — alle diese Ausführungen gelten „in großen Zügen" — leichter eine Art commercium als ein conubium. Manchmal geschah dies wohl durch Eintritt des Briefadels in das diplomatische Korps, und Kaiser Franz Joseph besetzte ja nicht selten seine Gesandtschaften mit den Söhnen verdienter Generäle und Minister. Oder dies geschah durch Heiraten insoweit, als ein Mitglied der „ersten" seine Tochter einem Mitglied der „zweiten" Gesellschaft zur Ehe gab. Denn der österreichische Adel dachte matriarchalisch: über den Rang der Familie, der Kinder entschied die Frau, die Mutter. Wieder anders als in Norddeutschland, wo etwa Bismarck, Moltke und Roon nichtadelige Mütter bzw. Gattinnen hatten, ohne an Rang bei Hof und in der Gesellschaft zu verlieren. Es war rückblickend manchmal freilich nicht unbegreiflich, daß qjch der Adel, von seinen Grundsätzen aus gesehen, gegen den Zuzug, den die neue Zeit brachte, verschloß. Die Nobilitiemngen erreichten in den letzten Generationen ein solches Ausmaß, daß ein Scherzwort die Gründling eines Vereines „gegen die zunehmende Veradelung des Volkes" anregte. Man konnte ja schließlich ein hochgeachteter und erfolgreicher Geschäftsmann sein, ohne deshalb ein Prädikat vor seinen Namen setzen zu müssen. Und man machte nur zu oft die also Bedachten zu unglücklichen Halbwesen, dazu gedrängt, den höheren Rängen ihres neuen Standes nachzustreben, ihrem eigenen dadurch entwurzelt, dem Lebenswerk ihrer Vorfahren entfremdet. Es hat in Oesterreich deshalb, mit Ausnahme etwa des Großbürgertums in Böhmen, kein Patriziat als Stand gegeben — was sich über den Durchschnitt erhob, wurde „weggeadelt".

Trotzdem oder vielleicht gerade deshalb, war der Einfluß des Adels, das Beispiel seiner Lebensart und Lebenshaltung weit über seine Randschichten hinaus bestimmend. Die Armee verdankt ihm ihren menschlichen, ja urbanen Ton, der sich auch im kameradschaftlichen „Du" der Offiziere widerspiegelte, die hohe Bürokratie ihre Ziviiität. Bis tief ins Volk übte der manchmal allerdings seltsam umgemodelte Begriff des „Kavaliers" seinen Zauber, seine Wirkung.

Dieser ungeheure Einfluß, zuletzt mehr erlebt als ausgeübt, zu einem im wesentlichen inaktiven Zustand geworden, zerbrach im November 1918. Die politische Macht ging in neue, meist adelsfeindliche Hände über. Der Adel wurde „abgeschafft". Was noch an Besitz blieb — und es war je nach Ländern nach bürgerlichen Begriffen vorerst immer noch nicht wenig —, hat die Walze des zweiten Weltkriegs zermalmt. Damit verlor der Adel endgültig sein Ausgenommensein von den Gesetzen des Lebenskampfes: er mußte sich dem Leben stellen. Es geschah oft mit Mut, nicht immer mit Erfolg. Die Zähigkeit, die Arbeitsfreude, das Unangefochtenbleiben von dem bisher ferngehaltenen Ungemach des Daseinskampfes — nicht zuletzt von den auf jede wirtschaftlich ungeschützte Existenz hereinbrechenden psychologischen Bedrängnissen —, das alles konnte wohl nicht von heute auf morgen erworben werden. Dies erschwerte den Start, und auf den Start kommt es nur allzuoft an. Der düstere Ernst des unsichtbaren Ringens um das Brot kam dem ererbten Optimismus des Adels nicht immer zeitgerecht zum Bewußtsein.

Noch immer hat der Adel in Oesterreich, ob bemittelt oder unbemittelt, eine höchst bedeutende gesellschaftliche Stellung bewahrt. Es ist Aufgabe seiner jungen Generation, sie zu behalten, zu aktivieren. Dazu wird der junge Adel nach Verlust seines materiellen Besitzes alle Kräfte anspannen, jedes förderliche Wissen erwerben müssen. Das ideelle, das soziale

Eibe ist noch vorhanden — es muß gehalten werden. Das materielle Erbe ist verloren — eine neue wirtschaftliche Basis soll erworben werden. Beides ist untrennbar untereinander verbunden. Denn nach Verlust des adeligen Inhaltes könnte der junge Adelige, wenn es ihm selbst gelingt, wirtschaftliche Erfolge zu erzielen, allenfalls ein „reicher Mann" werden — das ist aber wirklich nicht der Sinn, die Aufgabe des Adels. Denn er würde dann die kulturelle Mission, das Mäzenatentum, die Förderung der Künste (man denkt unwillkürlich daran, was Beethoven, Haydn und die großen Baumeister ihren adeligen Auftraggebern und Gönnern verdankten) nicht wieder aufnehmen können. Doch das liegt in weiter Ferne. Heute kann der angeborene Geschmack des Adels ihm zu eigener künstlerischer Betätigung den Weg weisen.

Der junge Adelige wird also mit seiner ganzen Persönlichkeit die neuen Wege be treten müssen, auf die ihn eine neue Zeit gewiesen hat, mögen sie auch hart und steinig sein. Die Problemlosigkeit des vermeintlich über allen Dingen Stehenden, einst immerhin verständlich, wenn auch dem Adel schon vorher abträglich, wäre für ihn heute ein vernichtender Anachronismus. Das Leben, das in Wirklichkeit niemals eine „einfache Sache" war, kann heute von niemandem „einfach" genommen werden. Mehr seelischer Tiefgang tut deshalb dem jungen Adel not. Viel könnte eine Verinnerlichung des heute im gefühlsmäßigen schwebenden religiösen Lebens zu einer solchen zeitnahen und inneren Krisen gewachsenen Bewußtheit beitragen, vielen auch eine nähere Befassung mit den Wissenschaften, der Literatur zu einer solchen, dringend nötigen geistigen Reifung verhelfen. Und nie wird der Adel in der kommenden Zeit das „Ich dien", die Pflicht vergessen dürfen, das Beispiel des Gentleman zu geben. Es wird ihm ob liegen, zu der inneren auch die äußere Form zu wahren, die nicht binnen einem Menschenalter in Brüche gehen darf, wovon sich wohl Anzeichen zeigen. Wie sich auch Anzeichen dafür ergeben, daß diese Generation, an die wir so viele Ansprüche stellen, vielerorts bereits heranwächst. Die Verwertung des klangvollen Namens als Aushängeschild, als ein Einbringsel in geschäftliche Unternehmungen statt der eigenen realen Leistung, ist schließlich nichts als der Abverkauf des letzten, des allerletzten Aktivums, wie dies etwa ein Konkurs mit sich bringt, nicht aber ein Grundstein zu einem neuen wohldurchdaohten und innerlich verpflichtenden Aufstieg des einzelnen und des ganzen Standes. Der Verlust der inneren Würde, den ein solches „Versilbern" mit sich brächte, wäre, bei einem Umsichgreifen, einem Verlust der letzten Chance des Adels für seine Zukunftsbehauptung gleichzusetzen. Und darum wäre es schade.

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