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Geistes- und Sozialaristokratie

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Vom Adel ist heute nicht mehr viel die Rede; fast scheint es, er habe seine formende Kraft eingebüßt. Soweit dies der Fall ist und er im Laufe der Umwälzungen des letzten Jahrhunderts tatsächlich entmachtet wurde, trifft auf ihn ganz gewiß Goethes Wort zu, daß Revolutionen die Schuld der Regierenden sind. Mag also, wie notwendig, diese Selbsterkenntnis zuerst ausgesprochen und erkannt werden. Weil der Adel sich allzubald mißtrauisch dem Geist versagte, wurde er vom Geist verfolgt; dieser aber — vertreten von bürgerlichen Schichten — nahm nur zu oft ein recht wenig weltweites Gepräge an und entartete — im Gegensatz zu Frankreich, England etwa, wo adelige Namen, wie Rochefoucauld, Shaftesbury u. a. m., Glanz und Weite zeigen — zur engen Vieleswisserei.

Mit dem Einbruch hochkapitalistischer Lebensformen in die bisher doch verhältnismäßig wohlgefügte Welt bot sich dem Adel eine neue Chance. Noch nicht verknüpft mit den Geldmächten, war er der berufene Führer von Bauern und Arbeitern gegen die Zerstörung aller Bindungen. Im von Karl Marx veröffentlichten „Manifest der kommunistischen Partei” findet sich eine durchaus richtige und sehr bedeutsame, wenn auch verschämte Anerkennung der natürlichen antikapitalistischen Haltung des Adels, wenn es von der Bourgeoisie heißt, „sie hat die F e u d a 1 b a n d e, die den Menschen an seinen natürlichen Vorgesetzten knüpften, unbarmherzig zerrissen und kein anderes Band zwischen Mensch und Mensch übriggelassen als das nackte Interesse, als die gefühllose bare Zahlung” (zitiert tiach Karl Marx: Der historische Materialismus, Band II, Seite 578. Verlag Kroner). Auch diese Chance hat der Adel leider versäumt und ist in der Wahrung seiner persönlichen Interessen steckengeblieben oder hat gar mit dem ihm wesensfremden Kapitalismus ein selbstmörderisches Bündnis abgeschlossen. So wurde das zeitweilig noch geübte Festhalten am Anspruch auf Führertum von der Welt als Anachronismus empfunden und mit Haß und Hohn abgewehrt. Selbst in seinem letzten Bereich, dem der Diplomatie, mußte der Adel Niederlage auf Niederlage einstecken und zum Schluß auch hier das Feld räumeöi.

Was versunken ist, bleibt, versunken.,Ein .Neuaufstieg des Adels, in dem doch noch beträchtliche geistig-sittliche Kräfte leben, muß daher ganz neue Wege gehen. Der Adel muß eine sichere Haltung zum Geistigen einnehmen und ebenso zu den Wirtschafts- und sozialen Fragen. Die Abkehr vom Geist beruht ja zum Teil auf dem Mißverständnis, als wäre Geist und Geistreichelei dasselbe. Aber auch hier gilt Pascals Wort: Ein wenig Wissenschaft entfernt von Gott, gründliches Wissen führt zu Ihm. Wer sich beherzt den Geisteskämpfen seiner Zeit stellt, hat schon gewonnen: daher muß der Adel, an den hier wieder der Ruf geht, Mut und Vertrauen zu sich selbst, zu seiner Kraft und Eigengesetzlichkeit haben, und der Geist wird ihm — Kämpfer dem Kämpfer auf dem einzigen Schlachtfeld, auf dem zu kämpfen sich lohnt — die Anerkennung nicht versagen. Auch in den wirtschaftlichen Fragen muß der Adel beherzt erkennen, daß jede Verbindung mit antisozialen Kräften ihm nicht wesensgemäß, daß sie — mehr noch — selbstmörderisch ist. Adelig kann man ja nicht auf einem Sektor des Menschenlebens sein: man ist es überall oder gar nicht. Adelig sein verpflichtet also auch und in besonderem Maß zu geistiger Verantwortung und sozialer Bereitschaft: Adel von heute kann nur Geistesund Sozialaristokratie sein. Es ist betrübend, zu sehen, wieviel von Hoffnung auf eine solche Sozialaristokratie einst gerade in Oesterreich lebendig war: da wirkten Persönlichkeiten, wie Prinz Liechtenstein, die Grafen Revertera, Vogelsang, und sagten, daß „der Staat die Domäne der Kapitalistenklasse geworden sei” und kämpften im Geiste aufgeschlossensten Christentums und eines starken Zusammengehörigkeitsgefühls von Adel, Arbeiter- und Bauernschaft.

Der Adel ist heute vielleicht nicht mehr in der Lage, als Stand diese neue und doch schon so alte Sendung zu erfassen. Mancherlei Zeitwende und mancherlei eigenes Verschulden hat ihm diese Fähigkeit verlieren lassen, und so wird wohl ein Teil des Adels allen Vergeistigungsversuchen gegenüber sich abwehrend zeigen, in „Es-war-einmal-Stimmungen” beharren oder gar glauben, es sei ein Beweis von Aufgeschlossenheit, sich am Geldmachen zu beteiligen. Die Anhänger des „Es war einmal” verdienen sicher unsere Achtung, und es wird eine etwas gerührte Achtung sein; die Anhänger des Geldmachens werden ihre Genugtuung darin finden müssen, dekorativer Aufputz für wenig dekorative Zwecke zu sein — und wir wollen sie dabei lassen. Aber an die anderen, die noch da sind, die Träger einer lebendigen Tradition und des Willens zu tapferer Behauptung sind, ergeht der Ruf: Führt eure echten und tiefen Lebensinstinkte dem neuen Werden zu; helft mit am Werden einer neuen Oberschicht, die sich den Energien des arbeitenden Velkis verbindet! Habt Glauben an euch und beweist diesen Glauben dadurch, daß ihr — dem Geiste verbündet — im Volk für das Volk wirkt und schafft. Adel ist kein Erbteil, keine Summe von Titeln oder gar Rechten, sondern ein innerer Besitz, der schwer zu erwerben und schwer zu halten ist, und der, wenn man ihn begreift, schon das Opfer eines ganzen Lebens w’ert erscheint: wer sich dessen bewußt ist, wird also keine Mühe scheuen, das Notwendige zu tun!

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