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Hat der Adel noch eine Aufgabe ?

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Auf der unlängst in Wien abgehaltenen „Tagung junger konservativer Europäer“ sprach Dr. Johann Christoph Allmayer-Beck über die Rolle des Adels in der heutigen Gesellschaftsordnung. Sein gedankenreicher und formvollendeter Vortrag wurde nicht allein von den Teilnehmern an der Tagung, unter denen sich auch zahlreiche Vertreter ausländischer Adelsfamilien befanden, mit großem Interesse und fast durchweg zustimmend aufgenommen; die Ausführungen des bekannten Historikers — ein wesentlicher Teil wurde in Nummer 25 der „Furche“ wiedergegeben — fanden auch in der Öffentlichkeit starke Beachtung. Dr. Allmayer-Beck wird daher sicherlich Verständnis dafür haben, daß ich im folgenden Stellung zu diesen Ausführungen beziehe, auch wenn sie in einzelnen Punkten von der Auffassung und den Folgerungen, denen er Ausdruck gegeben hat, abweicht.

Da fennnen wir hier absehen — schon längst keine Fü iÖtfWoffeÄfficW^ ist natürlich unbestreitbar. In Österreich trat die große Wende in seiner Geschichte schon ungefähr 30 Jahre früher ein, ehe der von Allmayer-Beck zitierte Brief Villers' an Baron Warsberg geschrieben wurde; genauer gesagt mit dem Gesetz vom 7. September 1848, welches die Grundentlastung und die Aufhebung der Patrimonialgerichtsbarkeit statuierte. Schon damals hätten viele der durch diese Maßnahme betroffenen Gutsbesitzer — ihre Gesamtzahl betrug in den innerösterreichischen und böhmischen Ländern gegen 5000 — von Herzen dem Urteil zugestimmt, das Villers mit dem Satz gefällt hat: „Ohne Feudalismus kein Adel!“ Die damalige Weltuntergangsstimmung, namentlich unter den Besitzern der kleineren, ehemals herrschaftlichen Güter, ist zu verstehen, aber in der da hereingebrochenen Neuerung den Todesstoß für den Adel schlechthin erblicken zu wollen, war historisch nicht gerechtfertigt. Wehn auch in der jahrhundertelang feudalen Gesellschaftsstruktur die Machtstellung und der Einfluß des Adels den wesentlichen Rückhalt hatten, so ist der außerordentlich hohe Beitrag nicht zu übersehen, den die in der Regel sehr zahlreichen, keinen Grund und Boden besitzenden nachgeborenen Söhne der herrschaftlichen Familien durch ihre persönlichen Dienste zur Stärkung der Position des gesamten Standes im feudalen Zeitalter geleistet haben. Diese Tradition pflichtgetreuen Einsatzes für Krone und Vaterland ist mit dem Verschwinden des Feudalismus nicht erloschen, sie blieb für den überwiegenden Teil des alten Feudaladels auch in der nachfolgenden Epoche richtunggebend, was seine aus der Geschichte der letzten Jahrzehnte Altösterreichs nicht wegzudenkenden Leistungen in den verschiedensten Zweigen des öffentlichen Lebens, in Verwaltung und Gesetzgebung namentlich, und auf den Schlachtfeldern des alten Reiches hinlänglich beweisen; und sie hat, was nicht vergessen werden sollte, auch den neuen Beamten- und Offiziersadel in ihren Bann gezogen und mit einem Standesbewußtsein erfüllt, das in der Regel — von Ausnahmen, wo gäbe es solche nicht, natürlich abgesehen — der Ansporn zu vorbildlich gewissenhafter Pflichterfüllung gewesen ist. In diesem Sinn kann man sagen, daß der Adel als Stand den Verlust seiner vormärzlichen Stellung noch um 70 Jahre überlebt hat, so lange eben, bis er durch die Katastrophe von 1918 um jeden Einfluß auf die großen Entscheidungen gekommen ist.

Dr. Allmayer-Beck hält dafür, daß der österreichische Adel diese völlige Ausschaltung „vielleicht“ selbst verschuldet habe. Darin liegt ein Vorwurf, der mir im Hinblick auf die damalige Lage unbegründet erscheint. Die mit der Einführung des allgemeinen Wahlrechts ausgelöste Radikalisierung des politischen Lebens hatte es dem österreichischen Adel, dessen Mitglieder in der großen Mehrzahl überparteilich eingestellt waren, praktisch unmöglich gemacht, in Konkurrenz mit der zur Hochblüte gelangten Demagogie zu treten. Daher eine unter den gegebenen Umständen begreifliche und sich steigernde Zurückhaltung, aus der heraus jeder Versuch, im turbulenten Treiben der unmittelbaren Nachkriegszeit den Standpunkt des Adels zur Geltung zu bringen und das Geschehen zu beeinflussen, hoffnungslos gewesen wäre. Auch ist es der damaligen Generation des Adels gewiß nicht zu verübeln, wenn bei vielen ihrer Mitglieder die absolute Traditionsfeindlichkeit des neuen Regimes und besonders die schmähliche Behandlung, die es dem Monarchen und dem Haus Österreich zuteil werden ließ, Ressentiments erzeugt hat, die nicht so bald, wenn überhaupt, überwunden werden konnten.

In seinem Hinweis auf den immer wiederkehrenden Prozeß des Aufstiegs „neuer, aktiver Schichten, neuer Eliten und damit eines neuen Adels“ setzt Dr. Allmayer-Beck, so will mir scheinen, Begriffe gleich, die verschiedenen Ebenen angehören. Die moderne Demokratie, und mit ihr beschäftigen wir uns ja hier, ist der Bildung von Eliten in gleich welchem Sinn nicht günstig. Gewiß, sie bringt immer wieder neue Führungsschichten in der politischen Sphäre hervor, aber ob die Elemente, die auf ihren Wegen zu den Stellungen der politischen Macht emporgetragen werden, stets der Auslese der Besten zugezählt werden dürfen, ist eine Frage, die im Licht der Erfahrung schwerlich bejaht twejde.n,kan,n. T^rid wenfl,^ eines neuen Adels unter der republikanischen dann doch wohl nur in dem Sinn, in dem die Amerikaner von ihrer „aristocracy“, im Gegensatz zur europäischen „nobility“, sprechen; einer „aristocracy“, deren Bezeichnung als solche auf ererbtem Reichtum, dem damit verbundenen gesellschaftlichen Prestige und häufig auch, aber nicht immer, auf einem erhöhten kulturellen Niveau beruht.

Soviel für die Einwendungen, die ich glaube, gegen einige der im genannten Vortrag entwickelten Gedanken erheben zu sollen. Im Kernpunkt des dort behandelten Problems stimme ich mit Dr. Allmayer-Beck vollkommen überein. Aus der altadeligen Tradition der Verteidigung der Freiheit, von welcher Seite immer sie bedroht sein mochte, erwächst gerade in unserer Zeit eine Verpflichtung, deren Ernst und Größe sich jeder Träger eines adeligen Namens bewußt werden sollte. Wir hören viel von der sogenannten freien Welt und von der Notwendigkeit, sie gegen den Ansturm des östlichen Materialismus zu schützen; aber die wenigsten scheinen dessen gewahr zu sein, wie weitgehend diese unsere Welt schon von innen heraus unterwühlt und zersetzt ist. Der Zug der Demokratie zur Oligarchie, die rücksichtslos fortschreitende Ausbreitung der staatlichen Allmacht, die Dogmatisierung von leeren Schlagworten und haltlosen Gedankenfetzen, die von so vielen Politikern geflissentlich geförderte Vergötzung des Lebensstandards, die Überschwemmung aller Gebiete des privaten und öffentlichen Lebens mit einer Propaganda, die das Denken und die Urteilsfähigkeit des einzelnen zu töten bestrebt ist, das allmähliche Versinken aller Persönlichkeitswerte in der amorphen Masse — all das birgt die sehr aktuelle Gefahr, daß das Wort Freiheit auch diesseits des Eisernen Vorhangs, in der Welt, die wir die freie nennen, zu einem Wort der Lüge wird. Hier den Kampf aufzunehmen, der bedrängten Freiheit zu Hilfe zu kommen, ist, so glaube ich, die Aufgabe, die der Adel zu erfüllen hat, wenn er heute noch mehr sein will als ein schattenhaftes Relikt vergangener Zeiten. Und wenn dieser Kampf mit einem wahren, opfermutigen Idealismus geführt wird, ähnlich dem, der einst die Kreuzfahrer beseelt hat, wird er nicht vergeblich bleiben; denn viele andere werden sich um das entfaltete Banner der Freiheit scharen, viele, die zwar nie einen Wappenbrief besessen haben, aber adeligen Herzens sind.

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