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Interesse für Österreichs Geschichte

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Auch hier ist eine merkwürdige Änderung eingetreten: die Nachfahren der nichtdeutschen Einwanderer aus der Doppelmonarchie haben kein Interesse mehr, den „Völkerkerker“ anzuschwärzen; gerne rühmen sie die guten Schulen, die es überall gab, und sogar der dreijährige Heeresdienst, der oft eine gute Schulung mit sich brachte, findet seine Verteidiger, was eine Ironie darstellt, denn nicht wenige der ersten Einwanderergeneration kamen, gerade um ihm zu entgehen, als Zwischendeckpassagiere in die Neue Welt, während in diesen Tagen Amerikaner begreiflicherweise bitter jene jungen Leute anklagen, die sich ihrer Dienstpflicht durch Auswanderung nach Kanada entziehen.

Die Immigranten aus der Doppelmonarchie — oder ihre Nachfahren — müssen gegen ein sattsam bekanntes Vorurteil ankämpfen: die nordischen und westeuropäischen Menschen seien ethnisch wertvoll — was südlich oder östlich von ihnen aufwuchs, scheint analphabetischer Balkan. Daß Budapest, Prag, Krakau, Stuhlweißenburg und viele andere Städte gute Universitäten hatten, wird kaum für möglich gehalten, und daß in der Monarchie Czemowitz geradezu ein Univer-sitäts„vorort“ der Wiener Rudolphina war, ist unbekannt. Natürlich haben die Immigranten aus Mitteleuropa jetzt das größte Interesse, unter Beweis zu stellen, daß diese Schulen und Hochschulen schon zu ihrer Zeit — nicht erst nach der Befreiung aus dem „Völkerkerker“ — bestanden und geblüht haben und auch kulturell auf die Städte und Kronländer abfärbten.

Nicht unähnlich den byzantinischen Flüchtlingen nach dem Fall von Konstantinopel haben die intellektuellen Einwanderer nach der Hitlerschen Machtergreifung das bereits vorhandene Interesse für österreichische Geschichte und Kultur verstärkt, erweitert und intensiviert — wie es die Byzantiner in ihrem Falle und zu ihrer Zeit für den Hellenismus taten. In der Bitternis der Nachwirkungen des Hitler-Traumas und der ersten Immigrationserlebnisse erschien auch vielen, die die Monarchie früher angegriffen haben dürften, das ältere, größere Vaterland im Nachglanz des habsburgischen Universal- und des josephinischen Humanitätsideals.

Diese neuartige „Justificatio“ durch alte Heimatliebe, jüngste Forschung und eine gewisse zeitliche Distanz wirkt sich jetzt auch bei der jüngeren Generation gebürtiger Amerikaner aus.

So wurde mir vor Weihnachten der gar nicht schlechte Roman eines etwa Dreiundzwanzigjährigen1 zugeschickt, den der jugendliche Autor noch als Student geschrieben hatte — ungetrübt von jeder atmosphärischen Kenntnis .Wiens, der alten Monarchie und des „Allerhöchsten Hofes“, aber in manchem Tatsächlichen recht gut orientiert und von wahrer Begeisterung erfüllt: der Bostoner Studiosus verbeugt sich unter dem Sternenbanner vor der zu Boden gesunkenen schwarzgelben Doppeladler-Standarte ... Und vor Wien, natürlich! Und vor was für einem Wien!

... Da ist der geistreiche, sanguinische Kronprinz Rudolf, nicht nur müde seiner Gattin, sondern auch des Belvederes, in dem er residiert, eines Palastes mit eintausend Sälen und — sage und schreibe — 3000 Bediensteten (S. 135 op. cit). Unbeschwert von der staatsrechtlichen Situation und den „Gewöhnungen“ des Erzhauses spricht er in seinem fingierten Tagebuch von seiner kommenden Thronbesteigung, bei welcher er den Namen „Rudolf III.“ annehmen wird — nummernweise ein Nachfolger jenes Mystikerkaisers und Kunstsammlers, uns allen so teuer durch des großen Grillparzers Meisterdrama vom „Bruderzwist“. Da das Belvedere nun schon zu einer Art kronprinzlichen Vatikan gesteigert wurde, trägt der Kronprinz einen mit Brillanten und Amethyst besetzten Siegelring, den nicht nur gewöhnliche Bürgerliche, sondern auch Hochadelige, ja Fürstlichkeiten aus geringeren Häusern als Habsburger herkömmlicherweise zu küssen haben ... Wie sich der Bostoner kleine Micherl den habsburgischen Kaiserhof vorstellt... Und erst das Mittagessen Kaiser Franz Josephs in hoher Einsamkeit am allerhöchsten Schreibtisch, Der junge Verfasser scheint ein Verzeichnis der Objekte des Kunsthistorischen Museums und der Schatzkammern studiert und vermutet haben, der alternde Kaiser habe beide Institutionen buchstäblich geplündert, um seine Mittagsmahlzeit, dem allerhöchsten Rang entsprechend, einnehmen zu können. Wenn aber zu einer Hoftafel nach Schönbrunn geladen wird, erscheinen 2000 Gäste aus den vornehmsten Familien des Reiches, um erlesene Speisen von erlesenstem Service zu essen. Der Leser gewinnt den Eindruck, daß — ähnlich wie gewisse südamerikanische Armeen mehr glänzend kostümierte Generale als einfache Soldaten aufzuweisen scheinen — die alte Monarchie hauptsächlich von höchstem Uradel bevölkert war — und dann natürlich von unerhört livrierten Lakaien. Im Grunde genommen war sie in einem Barock-Hollywood entworfen worden ...

Kolossal vertraulich sind die Beziehungen der höchsten Herrschaften Europas untereinander. Es herrscht — ins Deutsche übertragen

— eine „Servus-Braganza“-, „Grüß-Dich-Wales“-Tonart von einer Intimität, die den formaleren Mittelständler mit Neid erfüllen könnte. Dabei ist man sich des eigenen Blaublutes voll bewußt. Es sind auch fingierte Briefe zitiert, die der Kronprinz mit „Yours“ (Dein) „Rudolf Habsburg“ unterschreibt, was atmosphärisch und juristisch vollkommen falsch, dem jugendlichen Autor aber entgangen ist: Erst seit der Republik existiert für die Mitglieder der „Domus Austriaca“ nach deren Verzichtleistung der Familienname „Habsburg-Lothringen“. Erzherzoge unterschrieben mit ihrem Vornamen

— setzten diesem allenfalls die Abkürzung „Eh.“ voran.

Im Tagebuch spricht Rudolf unausgesetzt von seinem stolzen Habsburger- und wallenden Wittelsbacher-Blut.

Daß der ganze Hof von der Vet-sera-Beziehung gewußt haben soll, ist eine poetische Freiheit, die sich der junge Autor erlauben darf;weniger erfreulich ist die Verzeichnung des alternden Kaisers, der (S. 127) über die verschiedenen Freunde und Mitarbeiter des Kronprinzen aus der Zeitungswelt wie ein etwas gemäßigter Vorgänger Adolf Hitlers spricht.

Unter die gründlichsten amerikanischen Kenner der alten Monarchie muß man eine Frau rechnen, die in ihrem Werk „The Habsburgs*“ die Einmaligkeit dieser Dynastie als historische Erscheinung betont: daher setzt sie auch den schönen Vers Rilkes

Die Könige der Welt sind alt und werden keine Erben haben als Motto an den Anfang ihres gelehrt und doch sehr lesbar geschriebenen Buches. Dorothy G. McGui-gan, die an der Universität Michigan, an der New Yorker Columbia und am Londoner King's College studiert hat, muß auch die „Buddenbrooks“ gelesen haben: in ihrem, von der Atmosphäre Wiens und Altösterreichs durchtränkten Werk, das überall und ganz anders als der jugendliche Versuch Arnolds geübte Kennerschaft verrät — die Autorin hat lange Jahre in Wien gelebt —, spürt man irgendwie die Größe, Eleganz und Haltung der Verfallsbestimmten: Thomas Manns Leitmotive.

Man muß anerkennen, daß auch die Bibliographie des Werkes der Frau McGuigan sich durch ihre Reichhaltigkeit auszeichnet: für den nichtamerikanischen Leser wird die Aufzeichnung der Arbeiten amerikanischer Historiker über die Doppelmonarchie von besonderem Interesse sein.

Wenn man etwas an dem Werk auszusetzen hat, so scheint die Darstellung der Regierung des letzten Kaisers von Österreich nicht ganz geglückt, zumindest nicht ganz gerecht: kein Geringerer als der verstorbene Friedrich Wilhelm Foerster hat Karl I. einen viel bedeutenderen Rang zugewiesen als manche geringere Historiker es getan haben, und es ist auch bedauerlich, daß Heinrich Benedikts wichtiges Werk „Die Friedensaktion der Meinl-Gruppe 1917/183“ der Verfasserin scheinbar unbekannt geblieben ist.

Auch der berühmte „Verrat“ in der Sixtus-Brief-Affäre wird etwas obenhin und für das Haus Österreich ungünstig behandelt — beinahe im Lichte der alldeutschen Historik, der wir alle so viel Unglück zu verdanken haben.

Heute weiß man in den Vereinigten Staaten, was man an Österreich-Ungarn verloren hat. Es ist gewiß auch charakteristisch, daß bedeutende Immigranten aus Ungarn, die zum Beispiel wegen des Numerus Clausus unter dem Horthy-Regime zur Abwanderung genötigt worden waren und in den Staaten eine neue Heimat und ein weites Wirkungsfeld gefunden hatten — nicht wenige darunter als Kern-waffen„schmiede“, die unter Umständen zur Zerschmetterung ihrer Vertreiber beigetragen hätten: wir denken an die Physiker von Neu-man oder Teller —, einfach zu den Österreichern gerechnet werden.

Fast an allen Universitäten wird österreichische Geschichte gelehrt, die jetzt aus den Händen der Immigranten in die jüngeren herangereiften gebürtigen Amerikaner übergeht4.

Im Zeitalter der Quasar-Forschungen der Astrophysiker drängt sich ein passender Vergleich auf: Aus dem versinkenden AU der Geschichte wirkt eine Kulturenergiequelle, deren sich ältere Österreicher mit Stolz bewußt sein dürfen: denn wir haben den Stern noch leuchten gesehen, ehe er zerfiel.

1 Michael Arnold: The Archduke. New York 1967 (Doubleday & Co.) 8 Dorothy Gies McGuigan: The Habsburgs. New York 1966 (Doubleday & Co.)

3 Graz 1962 (Verlag Böhlau)

4 Jedes zweite Jahr erscheint das Austrian History Yearbook, redigiert von dem ausgezeichneten amerikanischen Historiker R. John Rath, im Verlag der Rice University, Houston, Texas. Dem Redaktionsausschuß gehören u. a. an: Hans Kohn, Charles Jelavich, Robert A. Kann, Arthur J. May, S. H. Thomson, jeder einzelne ein bedeutender Fachmann in mitteleuropäischer Geschichte. In Österreich wirkende Mitglieder sind: Friedrich Engel-Janosi, Fritz Fell-ner und Hugo Hantsch.

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