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Die Jugend eines Kaisers

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Franz, der Gute. Von Walter Consuelo Langsam. Verlag Herold, Wien-München. 285 Seiten 13 Abbildungen. Preis 68 S

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Franz, der Gute. Von Walter Consuelo Langsam. Verlag Herold, Wien-München. 285 Seiten 13 Abbildungen. Preis 68 S

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Angelsächsische und vor allem amerikanische Historiker haben sich in den letzten Jahren immer mehr für die Geschichte des alten und des kleineren neuen Oesterreich interessiert. Eines der besten Werke, die dieser Anteilnahme ihren Ursprung danken, stammt vom Präsidenten des Wagner-College in Staaten, Island, N. Y., Doktor Langsam. Deutscher Abkunft und mit der deutschen Sprache wohlvertraut, hat er aus den reichen archivalischen Quellen des Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchivs und aus einer umfänglichen Literatur — bei der leider nur die Bücher in slawischen Idiomen fehlen — den Stoff Tür die hervorragende Darstellung des Lebens des letzten römisch-deutschen und ersten österreichischen Kaisers geschöpft. Sie ist 1949 bei der angelsächsischen Weltfirma Macmillan erschienen, mit einem Untertitel „The Education of an Emperor", den wir in der nun vorliegenden ausgezeichneten deutschen Uebertragung nicht gerne mit „Die Jugend eines Kaisers" wiedergegeben sehen. Denn es handelt sich bei Langsam um die „Lehrjahre" eines Kaisers, um das, was den Erzherzog Franz zu dem geformt hat, das er schließlich, auf der Grundlage seiner Erbeigenschaften, geworden ist. Der amerikanische Geschichtsforscher ist ein glänzender Psychologe und da er die Methode gewissenhaftester Quellenbenützung virtuos beherrscht, vermag er uns in unübertrefflicher Weise ebendiese Vorbereitung des, angesichts der späteren Kinderlosigkeit Josefs II. seit geraumer Frist zum Thron bestimmten, Habsburg-Lothringers zu schildern. Der einzige Vorbehalt, den wir dabei zu machen haben, ist die Vernachlässigung des Ausblicks auf die blutmäßigen Gegebenheiten, ohne die Franz II. ebensowenig zu begreifen ist wie ohne die, wir gestehen das entschieden ein, wichtigeren Einflüsse der Umwelt, der bewußten Erziehung und der meist unbeabsichtigten Erfahrung an ungewollten Eindrücken. Wenn der Kaiser, seiner gütigen Grundart zum Trotz, manche Anwandlungen zur Härte hatte, dann entsinnen wir uns seiner Abstammung von August dem Starken und der durch die Wettiner vermittelten schlimmen Eigenschaften, nicht zuletzt des düsteren, pathologischen Vermächtnis der Herzoge von

Jülich — es flackert fort im Mißtrauen und in allerlei Kleinlichkeit des Monarchen —; wenn er sich von seinem Oheim Josef II. in vielem sehr unterschied, dann deshalb, weil dem kühnen Neuerer, dem im Charakter bald die deutschen Pfälzer und Braunschweiger Ahnen, bald die ungestümen und leichtfertigen französischen Vorfahren erneuerndem Volkskaiser das Erbg der Italiener fehlte, die Franzens Mutter durch die Farnese zu Vorfahren hatte. Ein wenig genealogisch-biologische Einsicht, die wir sehr leicht aus dem vergessenen, leider auch langsam unbekannten großen Ahnentafelwerk von Herzog (1839 veröffentlicht) holen können, hätte die gehässigen und oberflächlichen Anklagen verhütet, die gegenüber Franz bei Historikern und solchen, die das sein wollten, allzuoft Mode waren. Der amerikanische Gelehrte hat nun das große Verdienst, wesentlich, ja ausschlaggebend zur Berichtigung des eben erwähnten Zerrbildes beizutragen.

Ohne die neckische Liederlichkeit einer Tritsch- Tratsch-Polka, ohne die Mätzchen einer neugierig Alkoven durchspähenden feuilletonischen Geschichtsschreibung, bietet uns Langsam ein gediegenes, vortrefflich geschriebenes und in der adäquaten deutschen Uebertragung wie ein Original wirkendes Bild des Menschen, des Regenten, des politischen Denkers. Das ist nicht mehr die „Canaille Franz“, die jeder in seinen gekränkten nationalen oder sozialen Gefühlen verletzte Skribent mit Unrat aus dem Aufklärichthaufen bewirft. Es zeigt sich auch nicht, wie aus einem Neuruppiner Bilderbogen herausgeschnitten, Franz der Kaiser, unser guter Kaiser Franz, als schlackenloser Vater einer ihn mit schuldiger Demut verehrenden, Millionen zählenden Familie gehorsamer Untertanen. Wir sehen vor uns einen mit gesundem Hausverstand, mit mancherlei wissenschaftlichen und künstlerischen Neigungen begabten, gut gewachsenen, jungen Herrn aus sehr, sehr großem Hause, dem freilich keine Marschallin die Education sentimentale vermittelt, sondern der direkt in die Arme einer glücklicherweise ebenbürtigen. gleichaltrigen Braut eilt; dem mehrmals ein schönes Eheglück inmitten einer anmutigen Kinderschar beschieden ist und der seine ererbte Sinnlichkeit wie jederlei Verstoß gegen die von ihm als verpflichtend anerkannte christliche Moral früh zu beherrschen und zu überwinden gelernt hat. Kluge und sittlich hochstehende Erzieher — der Ajo Colloredo, der oberste Lehrer Hohenwart —, vorzügliche Professoren — Schloissnig, Michael Schmidt —- bescheren dem Knaben, dem Jüngling Kenntnisse und Erkenntnisse. Er verwendet das alles, zurückhaltend und bescheiden als Mensch; doch seiner Mission als Herrscher stolz bewußt, um nach seinem guten Wissen und nach seinem noch besseren Gewissen seine Länder, seine Untertanen zu regieren. Er ist sich zeitlebens treu geblieben. Doch die Welt ringsumher hat sich verändert, und das ist der Hauptgrund jenes tragischen Konflikts gewesen, der ausbrach, als sich Franzens unzulängliche Testamentvollstrecker noch immer an dessen bereits von der allgemeinen Entwicklung überholte Grundsätze starr hielten.

Was keineswegs die Leistung des musterhaften Herrschers verringert, der in seinen Staaten milde und gerecht die überlieferte Ordnung hütete. Wäre ihm ein Nachfolger beschieden worden, der ebenso auf der Höhe, wenigstens der eigenen Jugendzeit, beharrte wie Franz auf der Höhe seines früheren Lebensabschnitts, dann wäre der Habsburgermonarchie wohl die Erschütterung des allzu stürmischen Völkerfrühlings erspart worden. Docį mit derlei Betrachtungen greifen wir über das Thema des Langsamsten Buches hinaus, das seiner umgrenzten Aufgabe vollkommen Erfüllung gewährt.

An der deutschen Ausgabe müssen wir speziell rühmen, daß sie die vom Amerikaner in englischer Uebersetzung abgedruckten Urkunden und Akten dem deutschen Wortlaut nach, auf Grund der Wiener Originalarchivalien bringt, ferner daß die heutigen Signaturen der verwendeten Quellen genannt werden. Die Zuverlässigkeit und die Gründlichkeit Langsams leuchten dabei hervor, daß sie jeder Ueberprüfung durch die Bewahrer der österreichischen Archivschätze standgehalten haben.

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