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Die Wiener Shakespeare-Ausstellung

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Die Theatersammlung der österreichischen Nationalbibliothek konnte zur Feier ihres 25jährigen Bestehens kein glücklicheres Thema ihrer Jubiläumsausstellung wählen als Shakespeare. Dies „größte Phänomen des Theaters“ hat in seinen Ausstrahlungen in wundersamster Weise Europa umfaßt, den Genius seiner Völker zur Enthüllung eigenster Wesenheit gereizt: in der Reproduktion, in der eigenständigen Wieder-Gabe des Einmaligen, der heute allen Kulturvölkern, welche sich dem Abendland verbunden wissen, gehört. Ein wahrhaft internationales, völkerverbindendes Thema also — dies kommt auch äußerlich zum Ausdruck in der Beteiligung des Britisdien Museums und der National Portrait Gallcry in London, wie nun auch der Bibliotheque Nationale in Paris, die durch Leihgaben den Fundus der an sich einzigartig dastehenden Sammlungen unserer National-bibliothek ergänzen. Zu dem aber ist Shakespeare, seit der Übersetzertatigkeit Wiclands, Eschenburgs, A. W. Schlegels und Tiecks, seit der Beschäftigung Herders, Goethes und der Romantik mit Problematik, Stil und Charakter seiner Werke zutiefst in die Seele des deutschsprachigen Kulturraumes eingegangen — er hat schon früh — 1773 wird „Hamlet“ am Burgtheatcr aufgeführt, 1779 wagt sogar eine Vorstadtbühne, das Landstraßer Theater, sich an den „König Lear“ heran — die Bühnen unserer Heimat erobert. Die großen Schauspiclcrgcncrationep der letzten hundert Jahre haben in der

Darstellung Shakespearescher Gestalten die ersehnt Krönung ihrer Laufbahn, die letzte Ausreifung ihres Könnens erlebt. Ludwig Löwe und Josef Wagner, Friedrich Mitter-wurzer und Adolf Sonnenthal — Kainz — dann, von den neueren, Bassermann, Onno und Aslan haben „Hamlet“ gespielt, nein — gelebt —, wie es ihnen ihre Zeit auftrug und der eigene Entwicklungsgang befahl. Lear, Macbeth, König Richard III., Othello, Julius Cäsar, der Kaufmann von Venedig: Sternleistungen schauspielerischer Kultur des Wiener Burgtheaters, mehr als das: des Ringens um die treue Verwaltung des Vermächtnisses des größten Bühnendichters, den Europa hervorgebracht hat. Eine Shakespeare-Ausstellung bot also die hochwillkommene Gelegenheit, die tradionsreiche Verbundenheit Österreichs mit der Welt Shakespeares, dieses großen Europäers, eindrucksvoll zu demonstrieren. Dies erscheint uns überhaupt als ein bemerkenswertes, glückliches Charakteristikum der neuen Ausstellung: von allem Anfang an wird die innere Verbindung Shakespeares mit der Theater-, Kultur- und Gcisteswelt Europas an Hand vieler Schaustück* und Beispiele dargetan.

Fast unscheinbar ist der erste Teil der Ausstellung — und doch enthält er gewichtige Zeugen für die „Grundlagen“ Shakespeares. Da ist zuerst das religiöse Theater des englischen Mittelalters (uns allen durch Hofmannsthals „Jedermann“ — eine Neuformung des altenglischen Every-man-Spiels — nahegebracht), das seinen Hauptsitz in der altberühmtcn reichen Abtei Canterbury hatte. Ihm schließt sich das volkshafte Theater an: der Puck, die Verwandlungsszencn des Sommernachtstraums —, wie nahe stehen sie doch genetisch innerlidi dem Maskenspiel des „gemeinen Landvolks“ unserer Alpentäler! Zuletzt das humanistisch-höfische Theater, das uns durch seine barocke Form tief vertraut ist. Bilder, Bücher, seltene Erst- und Frühdrucke führen in die zeitgenössische englische Welt um Shakespeare ein. Da blicken uns die gelehrten romantisch-höfischen Dichter Sidney und Dryden, der groß; Staatskanzler und Märtyrer Thomas Morus, Autor der „Utopia“, selbst Held vieler Stücke, an. Es ist die große englische Ge-sellchaft um Elisabeth..., dann Francis Bacon, in dem bis zur Gegenwart immer wieder Klug-Wisser den wahren Shakespeare sehen wollen, es sind aber auch die großen zeitgenössischen Schauspielerkollegen Shakespeares! Mit Interesse ruht unser Auge auf einem Blatt, das den Festzug beim Begräbnis der Königin Elisabeth wiedergibt: Das Gewand der kön'.glidien „Diener“, die in zunftmäßiger Gruppierung der großen Toten folgen, trug wahrscheinlidi auch Shakespeare selbst. In Photokopien erscheinen Shakespeares letztes Testament — mit dem bekannten Zusatz, der neben dem Pflichtteil, das „zweitbeste Bett“ seiner Gattin zuspricht, das Dering-Manuskript von Heinrich IV., das einzige, welches die persönliche Mitarbeit Shakespeares zeigt —, die berühmten Eintragungen seiner Werke in das Londoner ■ Buchhändlerregister. Ein Schaukasten vereinigt die „Porträts“ Shakespeares — ein beliebtes jahrhundertealtes Streitobjekt der Shakespeare-Forscher: Welches von ihnen darf Anspruch erheben, den „wirklichen“ Shakespeare zu konterfeien? Wichtiger ist für uns die Rekonstruktion eines Theaters der Shakespeare-Zeit. Wir blicken in den Innenraum des Swan-Theaters: Weit ragt das Spielpodium in den Zusdiauer-raum vor, eine Ober-, Unter- und Hinterbühne (letztere durch einen Vorhang abgedeckt) erlaubt den für Shakespeare-Werke so wichtigen schnellen Szenenwechsel. Des Holländers de Witt Skizze von 1596 erlaubt eine ziemlich naturgetreue Rekonstruktion. Auffallend — auch im Londoner Stadtbild — der Rundturmdiarakter dieser frühen englischen Theater: Es ist das Rund der Arena — fürTierhatz und derbe Volksbelustigung wurden jene Gebäude erbaut, indenen derGeistShakespeares um seine 1 erste Inkarnation ringen sollte. Wer Shakespeare zu spiritualisiercn versuchte, sollte immer dieses Rundbaues eingedenk sein ... Die genial einfache Lösung der Shakespeareschen Bühne hat Nugent Monk in Norwich in seinem Madder-market-Theater zu einer modernen Rekonstruktion und Wiederverwendung dieser alten Bühnenform bewogen: Photos zeigen, wie gut auch moderne Schauspiele auf dieser Bühne gespielt werden können: auch eine „Ewigkeit“ Shakespeare ...

Unmöglich, die Materialfülle der weiteren Abteilungen der großen Ausstellung hier auch nur annähernd wiederzugeben. Von den berühmten Quartausgaben der Shakespeare-Zeit über die ersten englischen Gesamtausgaben seiner Werke (Folio 1623 und 1632) verfolgen wir seinen Siegeszug durch Europa, zumal durch Deutschland, immer an Hand der Editionen. Dann wird das Bild sichtlich bunter: die großen Inszenierungen des 19. und 20. Jahrhunderts erstehen im Bild, Photo und Modell vor unserem Auge. Von den ausländischen Inszenierungen, beziehungsweise Bühnenbildern, sind vielleicht die interessantesten Akimows Hamlet am Wachtangow-Theater in Moskau und Craigs Entwürfe für Stanislawski. Max Reinhardts Inszenierungen am Deutschen Theater in Berlin, bei den Salzburger Festspielen, für den imerikani-

schen Film leiten zu den großen neueren Meistern des Burgtheaterdekors über: zu Strnad und Roller. Des Wiener Altmeisters O. Laske zauberhaft farbige märchenselige Dekorationsentwürfe zum „Sturm“ mögen den Reigen beschließen: Vergleichen wir diese Skizzen mit den zeitgenössischen Hinweisen auf das Bühnenbild der Shakespeare-Zeit, welch ein Wechsel, welch ein Wandel der Auffassungen und doch: wie ein Regenbogen wölbt sich über dem gewitterigen Horizont der europäischen Stimmen und Stimmungen der in Sturm und Stille gleich stark strahlende mächtige Geist Shakespeares, des großen Unbekannten, um dessen Begreifen die Meister der europäischen Bühne seit dreihundert Jahren ringen.

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