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Shakespeare

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Der als Verfasser einer Cervantes-Monographie rühmlichst bekannte Autor legt mit seinem Shakespeare-Buch einen „Führer zum Verständnis der Shakespearschen Dramen’ vor, der es „weiten Kreisen literarisch Gebildeter“ ermöglichen soll, Shakespeares Werk vom Standpunkt unseres Jahrhunderts zu überblicken. Dieser Aufgabe hat sich Rüegg mit einem gedanklichen und spiachlichen Elan entledigt, der bei Wissenschaftlern selten ist. Man kann Rüeggs Prosa wohl am besten dadurch charakterisieren, daß man ihr““ bestätigt, sie treffe stets den Nagel auf den Kopf. Ein solcher Effekt wird nur durch einen Fanatismus des Extrakts erzielt, der das allerletzte Produkt einer stets von neuen filtrierten Gedankenreihe drucken läßt. Das Resultat von Rüeggs Betrachtung ist die Tatsache, „daß der Pessimismus und das tragische Lebensgefühl Shakespeares… nicht konstitutionell ist wie etwa bei Dostojewskij, Strindberg, Hebbel, Ibsen“, sondern „allmählich in natürlich sichtbarem Wachstum aus dem Lustspiel hervorgegangen ist. Wichtig ist, daß Shakespeares Kunst nicht ein Kontrasten gehorchendes Nebeneinander von Komödie und Tragödie ist, wie etwa bei den großen Spaniern, sondern eine einheitliche Linie erkennen läßt, in der der Verfasser eine biologisch verständlich gemachte Lebenskurve erkennt, „die von der kaum bewußten naiven Lebensfreude eine; gesunden Jugend, durch die Depression unter dem Gewicht schwerer Heimsuchungen und Erfahrungen im reifen Leben… zur Regeneration und zum bewußten Wiederaufleben kindlicher Freude am Leben im Alter führt“. Der Tiefpunkt dieser Kurve sind nicht die Tragödien —- und das ist besonders interessant —, sondern die Lustspiele nach der Manier von „Measure for Measure“ und „Troilus und Cressida“, in denen „eine peinliche Verzweiflung und Laxheit, ein energieloses Gewährenlassen ohne Kampf und Widerstand und ohne hohe Ziele Platz greift“. Als besondere wichtige Ergebnisse dieses Buches sind noch feslzuhalten, daß Shakespeares Schaffen letzten Endes einem „olympischen Übermut des Spielens entspringt, also einer positiven Einstellung zum Leben; die großen Tragödien entwickeln sich erst allmählich aus dem Lustspieltypus infolge „Verdunklung der seelischen Disposition des Dichters“, Der Geist der Tragödien „ist der aus dem Lustspiel übernommene, aber durch Uberchargierung Yom Spielerischen ins Quälende gewandte Geist der Ironie . Die hier auf Shakespeare angewandte ästhetische These, daß die beiden Gattungen der Komödie und der Tragödie einer Wurzel entstammen, hat schon Plato aufgestellt, und Ulrich von Wilamowitz-Möllendorf hat gegenüber Aristoteles’ scharfer Trennung beider Typen auf die gemeinsame religiöse Wurzel von Komödie und Tragödie im Dionysoskult hingewiesen. Auch Rüegg bekennt sich zu dieser Anschauung. Er kann das Verdienst in Anspruch nehmen, diese platonische, an der griechischen Tragödie gewonnene kunstpsychologische Einsicht auf Shakespeare mit Erfolg angewendet zu haben. Die These, Bacon sei der Verfasser der Shakespeare- Dramen, weist Rüegg energisch zurück. In sieben einwandfreien Punkten wird das Beweismaterial für Shakespeares Autorschaft nebeneinandergestellt, wofür wir dem Autor besonders Dank wissen. Allen mehr oder weniger phantastischen und sogar tüchtigen Spekulationen „Abenteuerlustiger Geister“ wird damit durch das Prinzip wissenschaftlicher Redlichkeit ein Riegel vorgeschoben. Welcher Jahrmarkt gerade um den größten Tragiker des Abendlandes seit nunmehr hundert Jahren geistert, hat ja erst jüngst da-s Buch des Amerikaners Charlton Ogburn („Der wähle Shakespeare , Zürich 1950) wieder gezeigt, in dem Shakespeare als bloßer Metzgerbursch und Malzsackprofiteur beschmutzt wird, und demzufolge Edward de Vere, Earl of Oxford, der Verfasser der Dramen sei. Die Kritik dieses Buches durch Rüegg möge der Leser an Ort und Stelle nachlesen. Sie verdient, beachtet zu werden. So führt denn dieses Buch durch die Analyse der Dramen zur Seele des Dichters. Freilich darf nicht verschwiegen werden,’ daß die mangelhafte Kenntnis von Shakespeares Leben der These Rüeggs von der inneren Geschichte des Dichters nicht genügend Handhaben liefert, diese durch Fakten entsprechend zu untermauern. Einzig die glaubwürdige Voraussetzung, Shakespeares Werke seien Hervorbringungen eines besonders erlebnisbetonten Dichters, ermöglicht die Aufstellung einer solcher). Chronologie. Nun ist Rüegg ein Meister eines klaren, überzeugenden wissenschaftlichen Analogieverfahrens, Wir stehen nicht an, ihm hier zu bestätigen, daß er durch innere Wahrhaftigkeit zu überzeugen vermag.

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