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War Shakespeare Katholik?

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Die neuere historische Forschung in England haf zu einer anderen Beurteilung der Errichtung der englischen Staatskirche — des „Anglikanismus“ — geführt, als dies im 18. und früheren 19. Jahrhundert üblich war. Man weiß jetzt, daß die amtliche Einführung der 39 Glaubensartikel unter Königin Elisabeth ein vor allem aus staatspolitischen Gründen gefällter Entschluß war, der weder innerhalb der Geistlichkeit noch erst recht in den breiten Massen des Volkes viel Widerhall fand. Der Katholizismus, und zwar nicht nur der alte Glaube, sondern auch das katholische Ritual, das man nur sehr vorsichtig durch ein anderes ersetzte, und erst recht die überkommenen katholischen kirchlichen Einrichtungen ließen sich nicht so leicht durch neue ersetzen. Die Verfolgung von getreuen Katholiken und katholischen Priestern war vor allem eine staatspolitische Angelegenheit, weil sich diese zuerst an Maria Stuart und dann an Spanien hielten, das gegen Elisabeth offenen Krieg begann. Aber immer gab es innerhalb des Anglikanismus Kreise, die den Bruch mit Rom wiedergutmachen wollten. Diese Erkenntnisse der Historiker haben allmählich auch die literarische Forschung befruchtet. Während man früher aus Shakespeares Werken protestantische Einstellung herauslesen wollte und deutlich katholisches Wissen des Dichters als „historische Umgebungsschilderung“ erklärte ist man jetzt damit nicht mehr zufrieden. Als J. M. Raich 1884 sein Buch „Shakespeares Stellung zur katholischen Religion“ veröffentlichte, wurde er abgelehnt oder verschwiegen. Auch die diesbezüglichen Bemerkungen von Alois Brandl („Shakespeare“ 1922) 6ind noch sehr vorsichtig. Forschungen über die Stellung der Bürger von Stratford am Avon zeigen aber, daß diese Stadt sehr konservativ war, ja daß John Shakespeare, des Dichters Vater und erst recht die Familie seiner Frau ausgesprochen katholisch waren. Daraus kann geschlossen werden, daß der junge Shakespeare eine ausgesprochen katholische Erziehung genossen hat und ihm katholisches Denken selbstverständlich blieb. Er kennt daher katholische Einrichtungen genau und macht nie Verstöße dagegen, wie das bei protestantisch erzogenen Dichtern immer zu finden ist.

Die Verfasser bringen daher für jemanden, der Shakespeares Werke und die wenigen Lebensdaten, die wir über ihn haben, vorurteilsfrei im Lichte dieser neueren Erkenntnisse studiert, nicht viel Neues, man muß ihnen aber dankbar sein, alle Daten so genau zusammengetragen zu haben. Ob William Shakespeare zeitlebens römischer Katholik

blieb, läßt sich aus ihnen nicht erweisen, doch das ist vom literarhistorischen Standpunkt auch minder wichtig. Aber daß er der katholischen Geisteshaltung verwachsen ist, ist für das Verständnis der Werke wichtig. Vielleicht könnte man anders als die Verfasser aus der katholischen Erziehung und den katholischen Lehrern noch weitergehende Schlüsse ziehen, wie dies und anderen. Dover Wilson („The essential Shakespeare“, 1933) tut und wie ich das in meiner biographischen Einleitung zu der Ausgabe der Dramen für die Klaßsiker-Verlagsgesellsc*iaft, Wien (1949) vermutungsweise getan habe. Jedenfalls handelt es sich um ein aufschlußreiches Buch, das weiterer Forschung Anregung bieten kann. Und selbst Heinrich VIII., von dem die Verfasser mit

vielen anderen Kritikern größere Teile Shakespeare absprechen, ist, wenn man dies mit der neuesten englischen Forschung nicht mehr tut, ganz gut mit einer katholischen Einstellung des Dichters vereinbar, denn ein überzeugter Protestant hätte wohl die religiösen Fragen in den Vordergrund der Darstellung gestellt und sie nicht, wie Shakespeare, zurückgedrängt. Selbst in dem Epilog wird — echt bürgerlich — vor allem Elisabeths friedliche Regierung hervorgehoben, keineswegs ihre Einstellung zu Kirchenfragen.

Univ.-Prof. Dr. Karl B r u n n e r, Innsbruck

Leib und Seele. Roman. Von Maxence van der Meerech. Deutsch von Erich Sörensen. Verlag Gu6tav Kiepenheuer, Köln und Aachen 1949.

Den Sturm, den dieses Buch in der französischen Heimat des Autors ausgelöst hat, hat der kürzlich verstorbene Dichter zum Großteil noch selbst erlebt. Die Erregung Ist verständlich. Hier werden mit schonungsloser Offenheit, die stellenweise brutal anmutet, medizinische, soziale und allgemeinmenschliche Probleme der Zeit angeschnitten und mit einer bewunderungswürdigen Zähigkeit und Klarheit bis an die Wurzel bloßgelegt. Die verheerende Verfilzung von Politik, Wissenschaft und Wirtschaft mit Ehrgeiz, Geldsucht und Korruption wird zu einer lauten Anklage gegen das Gesellschaftsgefüge des ganzen Jahrhundert. Wie weit der Autor, der ausschließlich französische Verhältnisse im Auge hat, dabei selbst befangen, sozusagen Partei ist, oder übers Ziel schießt, läßt sich aus unserer Sicht nicht ganz verläßlich beurteilen. Zugestanden muß ihm ohne jeden Zweifel ein hohes Ethos werden, das dieses — glänzend und aufregend geschriebene — Buch zu einem Triumphgesang des Gewissens, des Geistes und der Seele über alle niederziehenden Tendenzen der Zeit werden läßt

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