Die ewige Wiederholung der Geschichte

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Ivo van Hoves "Kings of War" - eine fünfstündige Zusammenschau von drei Königsdramen William Shakespeares - zeigte in der Uraufführung im Rahmen der Wiener Festwochen im MuseumsQuartier die unerbittlichen Mechanismen der Macht.

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Ivo van Hoves "Kings of War" - eine fünfstündige Zusammenschau von drei Königsdramen William Shakespeares - zeigte in der Uraufführung im Rahmen der Wiener Festwochen im MuseumsQuartier die unerbittlichen Mechanismen der Macht.

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"Kings of War" hat der holländische Regisseur Ivo van Hove seine fast fünf Stunden in Anspruch nehmende Kompilation von Shakespeares Historien "Henry V.", "Henry VI." und "Richard III." genannt. Der Zeitraum, für den sich van Hove interessiert, ist somit jener der sogenannten Rosenkriege, in denen sich die zwei Nebenlinien der Plantagenets, das Haus Lancaster und das Haus York, zwischen 1455 und 1485 um die Macht in England stritten. Dabei geht es van Hove sowenig wie Shakespeare um die Rekonstruktion der historischen Ereignisse, als vielmehr um die "Darstellung von Macht, Streben, Führung und Verantwortung". Er benutzt die historischen Kontexte, um den Kampf um die Macht zu zeigen, und rekurriert dabei auf Shakespeare, weil dieser die Kämpfe um die Krone nie als abstrakte darstellte, sondern stets als solche, die sich zwischen lebendigen Menschen abspielten.

Van Hoves Interesse gilt zum einen dem Augenblick des Machtwechsels und andererseits den Protagonisten der Geschichte, der Frage nämlich, inwieweit Menschen an der Geschichte teilhaben, sie machen und ihr zum Opfer fallen. Daher sind es die Könige, die in "Kings of War" im Zentrum stehen. Ihre Namen wechseln zwar, aber die Mechanismen ihrer chronologischen Aufeinanderfolge bleiben stets dieselben. Jan Kott hat das den "großen Mechanismus der Geschichte" genannt, den er von Shakespeare beschrieben sieht und den -mit einer etwas anderen Gewichtung - der irische Literaturnobelpreisträger W. B. Yeats das "Auflodern des unzivilisierten Herzens" genannt hat.

Mechanismen der Macht

Die Chronik beginnt mit Heinrich V. und dessen siegreichem Feldzug gegen die übermächtigen Franzosen. Die Szenerie spielt in einem einheitlichen Raum, der einen Kommandobunker darstellen soll (Bühnenbildner Jan Versweyveld hat sich nach eigenen Worten von Churchills "war room" inspirieren lassen). An den Wänden sind strategische Karten zu erkennen, auf einem Computermonitor ist ein Radarbild zu sehen und auf einem Fernsehbildschirm offenbar Szenen von der Schlacht von außerhalb. Nach drei Seiten hin gibt es Durchgänge, die in ein labyrinthisches Gangsystem führen, wo im Lauf des Abends wichtige Szenen spielen, die van Hove live auf eine übermächtige Leinwand in der Mitte der Szene überträgt.

Ramsey Nasr spielt den fünften Heinrich als klugen, gottesfürchtigen, zielstrebigen Kriegerkönig, dessen Moral durch die Notwendigkeiten der Politik zunehmend ins Wanken geraten. Nach dem Sieg über Frankreich und dem Zuwachs an Macht ist er vom zweifelnden Jüngling zum brutalen Mann gereift, der sich nun bitter darüber beklagt, dass er selbst als König nicht frei sei. Die Mechanismen der Macht fordern zum ersten Mal ein Opfer. Die martialische Kriegsrhetorik dieser Szene konterkariert van Hove am Ende durch ein romantisches Kerzendinner, bei dem der König mit unbeholfenen Worten um die französische Prinzessin Katharina wirbt. Doch Staatsräson macht die linkische Süßholzraspelei ohnedies überflüssig.

Aus dieser Verbindung geht der Thronfolger Heinrich VI. hervor, den Eelco Smits mit übergroßer Brille beeindruckend als weinerliche Memme spielt. Eigentlich das Gute wollend und dabei stets das Böse hervorbringend, wird er zum Spielball höfischer Intrigen und der Interessen seiner Berater. Auf die Memme folgt im dritten und mit gut zweieinhalb Stunden längsten Teil des Abends der schurkischste der Könige auf den Thron, Richard III. Durch ihn, den Hans Kestings mit ostentativer Harmlosigkeit spielt, damit dessen nihilistische Weltsicht und menschlicher Abgrund umso drastischer erscheinen können, ist das Ende der Geschichte erreicht. Durch ihn zerbrechen alle menschlichen Werte, werden die Menschen zu wilden Tieren degradiert, regieren nur noch Hass, Begierde und Gewalt, weil die unerbittlichen Mechanismen der Geschichte, der Welt, stärker sind als der Mensch.

Unserer Welt überraschend nahe

Am Ende des fünfstündigen Marathons erscheint Geschichte also gleichsam im Stillstand. Es scheint, als gehe sie im Kreis, indem sie sich wiederholt und immer wieder zu sich zurückkehrt. In jeder Chronik macht sich der Herrscher mit und ohne Not verschiedenster Verbrechen schuldig. So taucht hinter den individuellen Zügen der Könige gleichsam das Bild der Geschichte selbst auf, als eine ewige Wiederholung. Der schon zitierte große Shakespeare- Kenner Jan Kott schrieb einmal sinngemäß, dass bei Shakespeare jede Epoche das findet, wonach sie selber suche und was sie selber sehen wolle. Ist es also so, dass wir in Shakespeares Gegenwart unsere wieder erkennen, dass Shakespeares Welt der unseren überraschend nahe kommt? Leider ist das mit Blick auf globale Entwicklungen nicht von der Hand zu weisen und was den Stillstand betrifft, schreiben wir hierzulande bekanntlich ein ganz eigenes Kapitel.

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