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Fundament und Macht der britischen Krone

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Seit der Französischen Revolution geht Welle auf Welle eines ungeheuren historischen Prozesses über die Länder Europas hinweg, der eine Krone nach der andern von den Häuptern der Herrscher herunterriß. Auf den Sturz der Bourboncn in Frankreich während der Französischen Revolution, folgte die Entthronung der spanischen und italienischen Fürstenhäuser durch Napoleon, dem Sturz des Korsen derjenige der Napoleoniden. Die Revolution von 1830 entriß der bourbonischen Hauptlinie, die Revolution von 1848 der Nebenlinie das Diadem. Im Zeitraum von 1848 bis 1870 verschwanden alle italienischen Fürstenhäuser bis auf das Haus Saoyen, ^866 ein Teil der deutschen Fürsten. 1870 dankte der dritte Napoleon ab. Der erste Weltkrieg kostete dem Haus Romanow, allen deutschen Fürstenhäusern und den Habsburgern die Kronen. 1910 war, einem Vorspiel gleich, Portugal Republik geworden, 1930 folgte als Nachspiel Spanien. Und im zweiten Weltkrieg verschwanden die Herrscherhäuser der Savoyer, der Koburg und der Karageorgjevic. Selbst Ungarn, aus dessen politischem Leben die Krone nicht wegzudenken war, wurde Republik. Unberührt von allen diesen Veränderungen blieben die Kronen Britanniens. Nie wurde in England in der Periode dieser Umwandlungen die Forderung laut, daß das Königtum verschwinden möge und Großbritannien sich dem Zug der Zeit folgend zur Republik verwandeln soll. Alle Revolutionen, die seit über anderthalb Jahrhunderten über Europa hinwegrollten und das Antlitz des Kontinents verwandelten, gingen spurlos an der Krone Britanniens vorüber und auch an allen Kronen, die im Machtbereich dieser Krone liegen, wie der belgischen, niederländischen und den skandinavischen.

Welch ungeheure Macht ist mit dieser Krone verbunden, daß sie alle Erschütterungen überstehen konnte, oder welche Genies nahmen den Thron Englands ein, daß sie dadurch der Krone einen derartigen Glanz verleihen konnten? Weder das eine noch das andere ist der Fall. Während das britische Parlament eine Reihe von funkelnden Namen aufweist, weiß die Welt kaum, wer diese Georges und diese Edwards sind, die ständig aufeinanderfolgten. Während ein Ludwig XIV. oder ein Friedrich II. von Preußen tiefe Spuren in der Geschichte hinterließen, wissen selbst gute Gesrhichts-kenner nicht, welcher englische König zur Zeit der napoleonischen Kriege regierte. Niemals auch gab es in England einen ähnlichen Königsmythus wie in Frankreich, das seinen Königen die Macht zuschrieb, sie könnten auf wunderbare Weise Krankheiten heilen, niemals auch gab es einen Mythus der Krone wie im Reich der Deutschen, die annahmen, die Krone müsse ihren Träger unbedingt zum Helden und zum Heiligen stempeln. Nicht einmal die geringen politischen Rechte, die den Königen zustehen, wurden von ihnen seit 1689 ausgenützt, geschweige denn, daß ein König gegen das Parlament oder gar ohne ihm regiert hätte. Und dennoch spielt diese Krone eine ungeheure Bedeutung im Leben des britischen Reichs. Nicht nur, daß sie bis zur Konferenz von Ottawa im Jahre 1930, welche das „Commonwealth of nations“ — eine gegenseitige Unterstützungsverpflichtung der Mitglieder des britischen Weltreichs — brachte, das einzige rechtliche Band war, das dieses Riesenreich zusammenhielt, hat sie im Leben der britischen Nation noch eine viel wichtigere Bedeutung. Aufgabe des Königs ist es nicht, Politik zu treiben, Aufgabe des Königs ist es vielmehr, Hüter des Rechts und Repräsentant der Gerechtigkeit zu sein. Zum Unterschied von allen anderen Ländern, beschwört der britische König nicht die Verfassung, sondern schwört, die alten Gesetze und Gewohnheiten zu achten und bei seinen Urteilen „law and justice in mercy“, „Recht und Gerechtigkeit im Geiste der Erbarmnis“ zu üben. Der britische König ist nicht Souverän im Sinne jener aus der Antike stammenden Rechtslehre, die den König als einen „rex legibus solutus“, als einen König, der von den Gesetzen befreit ist, ansieht, sondern ein 1 König, von dem nichts anderes verlangt wird, als daß er ein vollkommener Hüter der Gerechtigkeit und damit der erste Gentleman des Landes sei. Das aber bedeutet, daß auch der König dem Recht und damit der Gerechtigkeit unterworfen ist. Der soviel zitierte Satz, der englische König könne nicht Unrecht tun — - the king cannot do wrong —, wird immer falsch verstanden. Er bedeutet vielmehr, daß jeder Herrscher aufhört, König zu sein, sobald er Unrecht begeht. England hat viele Königsabsetzungen gekannt — Richard IL, Eduard IL, Karl I. —, immer wurde behauptet, der König habe das Recht verletzt und sei somit kein König mehr. Noch in unseren Tagen mußte ein König — Eduard Vül. — abdanken, weil er eine geschiedene Frau heiraten wollte und dadurch das Recht verletzt hätte. Denn heilig ist das Recht, heilig, weil nach englischer Auffassung in unmittelbarem Zusammenhang mit Gott stehend. Aus diesem Aspekt heraus ist es auch verständlich, warum eine geschiedene Frau, die einen anderen geheiratet hat, nicht vor dem König erscheinen darf. Sie hat dadurch das Recht verletzt und ihr Erscheinen vor dem britischen König würde nicht diese Majestät, sondern die Majestät des Rechts selbst verletzen.

England ohne Krone wäre ein Torso, denn dann würde ihm jener „rocher de bronze“ fehlen, der Repräsentant der Gerechtigkeit ist, an der sich die englische Politik ausrichten soll. Das Parlament von 1689 handelte ganz richtig im englischen Sinn, als es nach der Flucht Jakobs II. einen neuen König berief, um das Gleichgewicht im Staat wieder herzustellen. Denn zum Unterschied von allen konstitutionellen Monarchien steht der König nicht dem Parlament gegenüber, sondern bildet mit dem Parlament eine Einheit. Eine Einheit, in der durch ein kunstvolles System von Balancen dafü^p gesorgt ist, daß niemand zuviel Macht in den Händen hält. Die Macht des Parlaments ist durch die Gegenwart des Königs beschränkt, die Macht des Unterhauses durch die Gegenwart des Oberhauses, die Macht der herrschenden Partei durch das Vorhandensein der Opposition. Parlament und König bilden eine Einheit. Zum Unterschied von allen konstitutionellen Monarchien, denen England immer als ein Vorbild diente, war dieses England selbst nie eine konstitutionelle Monarchie. Alle konstitutionellen Monarchien sind in irgendeiner Form ein Kompromiß. Entweder sind sie verkappte, absolute Monarchien, dann führt das Parlament ein Scheindasein, oder sie sind verkappte, demokratische Republiken, dann führt das Königtum eine Scheinexistenz. In England aber sind König und Parlament politische Realitäten. Denn nicht der König repräsentiert England und nicht das Parlament, auch nicht der König und das Parlament, sondern der König i m Parlament — the king in His Parliament — ist England. König und Parlament können sich nie Konkurrenz machen, weil sie verschiedene Aufgaben haben. Sache des Parlaments ist es, Politik zu treiben, Sache der Könige ist es, Hüter der ewigen und immer gleichen Gerechtigkeit zu sein. England hat dadurch in seiner Geschichte das Glück erfahren, die Herrschaft von Tyrannen nie lang ertragen zu müssen, und der Satzs „Recht ist, was dem Staat nützt“ hat nie-m8!s Gültigkeit erlangt.

Als das Genie eines Shakespeares sich der Tragödie zuwandte, brauchte er nicht lang nach Stoffen zu suchen. In der Geschichte der Heimat fand er mehr als genug. Denn was ist in einer Tragödie anderes dargestellt, als daß die Welt aus den Fugen sei, wie „Hamlet“ sagt, und daß sie wieder eingerichtet werden soll. Das Unterliegen des Empörers ist eigentlicher Inhalt. In den Tragödien Shakespeares ist die Krone die Repräsentantin der Gerechtigkeit und die Mitte einer sich ordnenden Welt, und die Menschen, welche sich gegen die Krone empören, gehen zugrunde, weil sie das System der Gerechtigkeit verletzen.

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