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Hüter der Gerechtigkeit

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In den ersten Tagen des Mai wird Elizabeth II., Königin von England, Schottland und Nordirland, Königin von Kanada und Australien, Herrscherin der Besitzungen über dem Meer, Haupt des Commonwealth, Österreich einen offiziellen Staatsbesuch abstatten, in Erwiderung des Besuches, den der österreichische Bundespräsident Jonas am Hof von St. James abstattete. Seitdem König Edward VII. Kaiser Franz Joseph besucht hatte, ist dies nach vielen Jahrzehnten wieder ein offizieller britischer Besuch in Österreich. Damals bestand Europa nur aus Monarchien, mit Ausnahme Frankreichs und der Schweiz. Heute besteht Europa fast nur noch aus Republiken, die wenigen skandinavischen Königreiche, Holland und Belgien abgesehen. Spanien ist zwar eine Monarchie, hat aber keinen König, während Griechenlands Herrscher zwar noch offiziell König der Hellenen ist, aber fern von seiner Heimat weilt Die britische Krone dagegen scheint von allen Erschütterungen, die über Europa in den letzten Jahrzehnten und Jahrhunderten hinweggingen, unberührt zu sein.

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In den ersten Tagen des Mai wird Elizabeth II., Königin von England, Schottland und Nordirland, Königin von Kanada und Australien, Herrscherin der Besitzungen über dem Meer, Haupt des Commonwealth, Österreich einen offiziellen Staatsbesuch abstatten, in Erwiderung des Besuches, den der österreichische Bundespräsident Jonas am Hof von St. James abstattete. Seitdem König Edward VII. Kaiser Franz Joseph besucht hatte, ist dies nach vielen Jahrzehnten wieder ein offizieller britischer Besuch in Österreich. Damals bestand Europa nur aus Monarchien, mit Ausnahme Frankreichs und der Schweiz. Heute besteht Europa fast nur noch aus Republiken, die wenigen skandinavischen Königreiche, Holland und Belgien abgesehen. Spanien ist zwar eine Monarchie, hat aber keinen König, während Griechenlands Herrscher zwar noch offiziell König der Hellenen ist, aber fern von seiner Heimat weilt Die britische Krone dagegen scheint von allen Erschütterungen, die über Europa in den letzten Jahrzehnten und Jahrhunderten hinweggingen, unberührt zu sein.

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Denn seit der Französischen Revolution geht Welle auf Welle eines ungeheuren historischen Prozesses über die Länder Europas hinweg, der eine Krone nach der anderen von den Häuptern der Herrscher herunterriß. Auf den Sturz der Bourbonen in Frankreich während der Französischen Revolution folgte die Entthronung der spanischen und italienischen Fürstenhäuser durch Napoleon, dem Sturz des Korsen derjenige der Napoleoniden. Die Revolution von 1830 entriß der bour-bonischen Hauptlinie, die Revolution von 1848 der Nebenlinie das Diadem. Im Zeitraum von 1848 bis 1870 verschwanden alle italienischen Fürstenhäuser bis auf das Haus Savoyen, 1866 ein Teil der deutschen Fürsten. 1870 dankte der dritte Napoleon ab. Der erste Weltkrieg kostete dem Haus Romanow, allen deutschen Fürstenhäusern und den Habsburgern die Kronen. 1910 war, einem Vorspiel gleich, Portugal Republik geworden. 1930 folgte als Nachspiel Spanien. Im zweiten Weltkrieg verschwanden die Herrscherhäuser der Savoyer, der Kobur-ger und der Karageorgjevic. Selbst Ungarn, aus dessen politischem Leben die Krone nicht wegzudenken schien, wurde Republik. Unberührt von allen dieser Veränderungen blieb die Krone Britanniens. Fast nie wurde in England in der Periode dieser Umwandlungen die Forderung laut daß das Königtum verschwinden'möge und Großbritannien sich, dem Zug der Zeit folgend, zur Republik verwandeln soll. Alle Revolutionen, die seit mehr als anderthalb Jahrhunderten über Europa hinwegrollten und das Antlitz des Kontinents verwandelten, gingen spurlos an der Krone Britanniens vorüber. Als im Jahr 1953 der damalige Leiter der österreichischen Außenpolitik Dr. Kreisky zu den Krönungsfeierlichkeiten in England weilte, wunderte er sich, daß am Tag der Krönung selbst die härtesten Gewerkschaftsbosse Krawatten trugen, in denen die englische Krone eingestickt war.

Welche große Macht ist mit dieser Krone verbunden, daß sie alle Erschütterungen überstehen konnte, oder welche Genies nahmen den Thron Englands ein, daß sie dadurch der Krone einen derartigen Glanz verleihen konnten? Weder das eine noch das andere ist der Fall. Während das britische Parlament eine Reihe von funkelnden Namen aufweist, weiß die Welt kaum, wer diese Georges und diese Edwards sind, die aufeinanderfolgten. Während ein Ludwig XIV. oder ein Friedrich II. von Preußen tiefe Spuren in der Geschichte hinterließen, wissen selbst gute Geschichtskenner nicht, welcher englische König zur Zeit der Napoleonischen Kriege regierte. Niemals auch gab es in England einen ähnlichen Königsmythus wie in Frankreich, das seinen Königen die Macht zuschrieb, sie könnten auf wunderbare Weise Krankheiten heilen, niemals auch gab es einen Mythus der Krone wie im Reich der Deutschen, die annahmen, die Krone müsse ihren Träger unbedingt zum Helden und zum Heiligen stempeln. Nicht einmal die geringen politischen Rechte, die den Königen zustehen, wurden von ihnen seit 1689 ausgenützt, geschweige denn, daß ein König gegen das Parlament oder gar ohne dieses regiert hätte. Und dennoch spielt diese Krone eine außerordentliche Bedeutung im Leben des britischen Reiches. Nicht nur, daß sie bis zur Konferenz von Ottawa, welche das „Commonwealth of nations“ — eine gegenseitige Unterstützungsverpflichtung der Mitglieder des britischen Weltreiches — brachte, das einzige rechtliche Band war, das dieses Riesenreich zusammenhielt, hat sie im Leben der britischen Nation noch eine wesentlichere und wichtigere Bedeutung.

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