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Der unauffällige König

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Georg V. Von Harold Nicolson. Verlag C. H. Beck. XIX646 Seiten mit 10 Abbildungen auf Tafeln. Preis 32 DM

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Georg V. Von Harold Nicolson. Verlag C. H. Beck. XIX646 Seiten mit 10 Abbildungen auf Tafeln. Preis 32 DM

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Am Abend des Sterbetages König Eduard VIL speiste Mrs. Asquith mit Winston Churchill und den Crewes. Als das Diner zu Ende ging, sagte Winston: „Trinken wir auf das Wohl des neuen Königs." Worauf Lord Crewe erwiderte: „Nein, lieber auf das Andenken des früheren." Andre Maurois, Eduard VII. und seine Zeit. Die an den epikuräisch-kosmopolitischen Lebensstil des Vaters gewöhnte Londoner Gesellschaft sah der Regierung des Sohnes mit gedämpften Erwartungen entgegen. Soldat — im besonderen Seemann durch und durch —, war diesem die Admiralsuniform auf den Leib geschnitten. Eduard VII. hatte nur in „Zivil", dessen Moden und Geschmacksrichtungen er souverän beeinflußte, seine Erscheinung richtig zur Geltung gebracht. Es fehlte auch dem Sohn der weltmännische Scharm, das leichtgeformte, treffende Wort — kurz, jene angeborenen gesellschaftlichen Gaben, welche es König Eduard VII. erlaubten, die Sympathien seiner Gesprächspartner im Handumdrehen zu gewinnen —, ausgenommen seinen „erlauchten Neffen", Kaiser Wilhelm II. Hier freilich hatte Georg V. eine große Vorgabe, die sich — ein Jahrzehnt früher — vielleicht sogar weltpolitisch ausgewirkt hätte. Georg V. war kein schillernder Stern, auf den sein deutscher Vetter hätte eifersüchtig sein können. Seine nobel-soldatische Art gefiel dem Kaiser, ohne ihn zu bedrücken; er empfand ihm gegenüber keine „Komplexe". Und vielleicht hätte er diesem britischen König gegenüber nicht den Drang zu der nach Geltung heischenden Flottenrüstung empfunden, die England und Deutschland so hoffnungslos entzweit hat. Aber als König Georg V. den Thron bestieg, standen bereits die beiden europäischen Fronten einander festgefügt gegenüber.

Der neue König hatte es sich zur Aufgabe gesetzt, das Empire, das er in mehreren ausgedehnten Reisen gut kennengelernt hatte, zu festigen. Sein Interesse an der Außenpolitik war demgegenüber gering. Es war gewiß besonders schmerzlich für ihn, daß während seiner 26jährigen Regierung die ersten entscheidenden Entschlüsse gefaßt werden mußten, welche das Band zwischen den britischen Herrschaften und Kolonien lockerer statt engerer gestalten Begründung des Irischen Freistaates.

Wie jeder britische König, übte er auf schwankendem staatsrechtlichem Boden seine Herrschaft aus — so fest gegründet die Krone im britischen Bewußtsein auch sein mochte. Und es fiel dem impulsiven Manne nicht immer leicht, sich in das dichte Netz der Begrenzungen zu fügen. Schon die Bill of rights 1688 hatte die Rechte des Königs äußerst beschnitten. Während jenseits des Aermelkanales Ludwig XIV. den Fürstenabsolutismus vorlebte, durfte Wilhelm von Oranien in England ohne Zustimmung des Parlamentes keine Steuern erheben und kein stehendes Heer unterhalten. Die Act of Settlement 1701 erklärte beim nächsten Thronwechsel, daß in Hinkunft die Minister die Verantwortung für die Handlungen des Souveräns zu tragen hätten. 1807 stellte Lord Erskine im Oberhaus fest, der König selbst könne keine Regierungshandlungen vornehmen. Immerhin hätte Königin Viktoria noch eine ganze Menge von bedeutsamen Handlungen ohne Zustimmung des Parlamentes setzen können: sie konnte das Heer auflösen allerdings nicht wieder neu anwerben, alle Offiziere bis zum Oberkommandierenden — ebenso wie alle Seeleute — entlassen, die ganze britische Kriegsflotte wie alle Marinemagazine verkaufen; sie konnte jeden Bürger des Königreiches zum Peer ernennen und in jedem Dorf des Landes eine Universität gründen. Aber daß dies alles nicht geschah, ist nicht nur der Einsicht der Königin, sondern auch — rechtlich gesehen — dem Umstand zu danken, daß sie keinen Schritt tun konnte, außer auf den „Rat“ eines dem Parlament verantwortlichen Ministers. Dennoch gibt es gewisse Funktionen, die nach der Verfassungslehre nur der König allein erfüllen kann: Niemand außer dem König kann das Parlament einberufen, vertagen oder auflösen. Niemand außer ihm den Premierminister entlassen oder ernennen. Niemand Gnadenerweise gewähren oder Peersitze verteilen. Kein Gesetz kann ohne die Zustimmung des Königs in Kraft treten. Aber auch diese Machtbefugnisse sind in ihrer Ausübung durch das allesbeherrschende Prinzip der verantwortlichen Regierung begrenzt. Praktisch pflegt der König dem Rat zu folgen, den ihm der jeweilige Premierminister erteilt.

Hier nun beginnt für den Kontinentalen das Mysterium. Wie kann der Träger einer Krone, die ein solches Minimum an Rechten gewährt, eine so bedeutende Rolle — nicht nur in der Empfindung, sondern auch im staatsrechtlichen Leben der Nation spielen? Zunächst durch das Recht: „Zu raten, zu ermutigen und zu warnen.“ Der König ist eine mit höchster Sorgfalt ausgebildete Persönlichkeit, der ungewöhnliche Quellen und Möglichkeiten, das Geschäft der: Politik zu erlernen, zur Verfügung stehen. „Der metaphysische Gehalt der konstitutionellen Monarchie entzieht sich jeder rationalen Kritik."

Das Beispiel, daß die Krone Vorbild und Spiegelbild des im Unterhause vertretenen Volke sein könne und solle, gab schon Königin Viktoria. Von da an wurde es sorgfältig gepflegt und weiter befolgt, und unter Georg V. überstand das britische Weltreich den an seine Wurzeln greifenden ersten Weltkrieg, dann eine Zeit schwerster internationaler Erschütterungen, und überwand im Innern „eine Phase schleichender Revolution mit erhöhtem Prestige und Einfluß — stets beraten von der Lauterkeit, Unvoreingenommenheit und den verständnisvoll-versöhnlichen Empfehlungen seines Herrschers.

So ist diese Biographie des „unauffälligen Königs" — von hoher Sachkunde getragen und in wahrhaft klassisch-schlichter Form dargestellt —- eine Fundgrube historischer und weltpolitischer Erkenntnisse.

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