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Die weihe Hand aus der Karosse

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Zwei englische Journalisten treffen sich. Der eine entsteigt einem schimmernden „Jaguar", der andere einem kleinen Vehikel, dem niemand 80.000 Meilen und mehr würde absprechen wollen. „Noch immer den alten .Morris Minor'!“, kommentiert der „Jaguar“- Besitzer die ohnedies nicht zu übersehende Sachlage, „mußt dich doch einmal nach etwas anderem umsehen!“ So, als ob der Kollege dies bisher nur aus Zeitmangel unterlassen hätte. „Ja, du hast ganz recht, nur... du mußt wissen... kurzum, mir ist noch nichts Häßliches über die Königin eingefallen!“ In dieser Anekdote ist eine für das England von 1957 kennzeichnende Wahrheit eingefangen. Angriffe auf die Königin haben bis dahin unbekannte Journalisten, wie Lord Altrincham, bekannt, und bis dahin schon bekannte, wie Malcolm Muggeridge, zwar nicht reich, aber doch wohlhabender gemacht. Mehr als 200.000 Schilling soll die amerikanische „Saturday Evening Post" Muggeridge, dem früheren Herausgeber von „Punch", für seine Kritik an der englischen Monarchie bezahlt haben.

Was ist da eigentlich passiert? Wie konnte es geschehen, daß die Königin, eben noch das maßlos vergötterte Idol der Nation, einer ebenso herben wie lieblosen Beurteilung ausgesetzt ist, in die selbst Mitglieder des Hochadels, unter ihnen ein neunzehnjähriger Marquis, einfielen? Hat sie irgendeine ihrer Pflichten vernachlässigt, war das königliche Paar zu Prinzessin Anne zu streng, hat man Prinz Charles auf einen Monat das Cricket verboten, oder ist sonst etwas Furchtbares vorgefallen? Nichts von alledem; vielmehr ist es wohl so, daß Idolisierung und Kritik recht eng Zusammenhängen. Auch ist unschwer zu begreifen, daß der seelische Vorgang, der viele Menschen die Llnerfülltheit der eigenen Existenz im ständigen Nachleben des königlichen Daseins, in einem Vollsaugen mit der Purpursoße „Royal“ vergessen ließ, einmal umschlagen kann. Dann wird das, was man ständig betrachtete, der Ausgleichsfunktion entkleidet, die „weiße Hand aus der Karosse“ wird zum Symbol der Unbefriedigtheit, des staatlichen Machtverlustes, des nationalen Abgleitens.

So war es auch kein ungefährliches Beginnen beim Regierungsantritt der jetzigen Königin, immer wieder die Erinnerung an die erste Elizabeth, unter der die englische Macht in die Weite des Raumes brach, zu beschwören. Unwillkürlich sah man sich um und wollte wissen, wo denn die Drake, die Raleigh und Leicester und wie sie alle geheißen haben mögen, seien, und entdeckte nur die Eden, Butler und Gaitskell, was ein wenig enttäuschend war. Dazu kam eine Atmosphäre schwer erträglicher Süßigkeit, in der die Massenpresse alles Königliche stellte, ein Sirup von Sentimentalität, der das Funktionelle des Königtums und seine tiefere Bedeutung immer mehr verdeckte, das Billige der Idolisierung, die falsche Vertraulichkeit und die leichte Vervielfältigung desselben. Es muß in England Tage gegeben haben, da sich fast alle alten Jungfrauen mit derselben Anspielung auf die „royal family" begrüßt haben.

Die Reaktion mußte eines Tages einsetzen. Die Kritik wurde zunächst von den Monarchisten vorgetragen, zu denen Lord Altrincham zu zählen war; sie wurde dann von besonnenen und recht vereinzelten Republikanern vom Schlage Muggeridge übernommen, fand aber schließlich ein seltsam dumpfes, rollendes Echo, aus dem man die soziale Ranküne jener Intelligenzschichte heraushören konnte, die von den Backsteinuniversitäten kommt und in den „zornigen jungen Männern" (sie sind mit viel Erfolg, auch mit viel finanziellem Erfolg zornig) ihre literarischen Sprecher gefunden hat. John Osborne, vielleicht der bekannteste Literat dieser Gruppe, ist bezeichnenderweise ein erbitterter Gegner der Monarchie. „Ich habe sie das nationale Spüllicht genannt", schreibt er irgendwo, „weil sie giftig ist, weil sie das ist, was ein alter Vegetarier .nahrungslose Nahrung' nannte, oder wie Örwell vielleicht gesagt hätte, weil die Leitartikler und die bestochenen Klatschspaltenautoren nur mit ihren Stöcken im Monarchieeimer zu rasseln brauchen. damit die meisten ihrer Leser den Kopf in den Trog der Königinnenanbetung stecken.“ Das klingt bitter und ganz effektvoll auch. Tut man aber das und die ganze übrige Kritik in ein Sieb, schüttelt die Phrasen durch und be-

sieht sich den- Rest etwas genauer, so bleibt erstaunlich wenig übrig. Wie hat man eigentlich mit diesem „bißchen“ nur soviel Lärm erzeugen können? Hier kommt nun wohl hinzu, daß man mit dem winzigen Trommelschläger ein von der Geschichte gespanntes Trommelfell getroffen hat. Die Monarchie ist von den Engländern fast immer akzeptiert worden, die Monarchen waren fast immer unbeliebt, und eine heimliche Bereitschaft zur Animosität ist in manchem Winkel des nationalen Bewußtseins übriggeblieben. Die meisten Hannoveraner waren unbeliebt oder sogar verhaßt. Als der Prinzregent, der spätere Georg IV., dem eben angekommenen Zaren Alexander einen Gegenbesuch machen wollte, mußte er absagen, weil die Menge, die sich angesammelt hatte, nur darauf wartete, ihm zu zeigen, wie abscheulich man ihn fand. Die Beliebtheit der Königin Viktoria hat geschwankt; es gab eine Zeit, da man ihr Parteilichkeit vorwarf und sie Lady ,.M“ nannte — boshafte Anspielung auf die Art, wie sie ihren Premier, Lord Melbourne, unterstützte —, der so ungemein begabte Prinzgemahl war unpopulär. Noch bei Ausbruch des ersten Weltkrieges konnte Bernard Shaw schreiben, das Volk seufze unter einem fremden Hof, einem nicht gerade inspirierenden König, der nicht einmal englisch sei. „Nicht inspirierend — das mag stimmen", bemerkte der geduldige Monarch dazu, „aber unenglisch, das stimmt nicht!“

Will man sich nun mit der gegenwärtigen Kritik an Elizabeth II. auseinandersetzen, so müßte man zunächst die Funktionen, die diese junge und so anziehende Frau ausübt, in zwei Gruppen teilen. Es gäbe zunächst die wichtige Gruppe der Staatsfunktionen teils essentieller, teils dekorativer Natur. Die Königin hat eine Unmenge von Dokumenten zu lesen und zu unterschreiben, sie muß Kontakt mit ihren Ministern halten und den Ministerpräsidenten ernennen. Dieses Prärogativ war übrigens von weltgeschichtlicher Bedeutung, als Georg VI. gegen den Willen des scheidenden Premiers nicht Halifax, sondern Churchill die Geschäfte der Nation übertrug. Elizabeth II. hatte ebenfalls eine schwierige Wahl zu treffen, als sie sich zwischen Butler und MacMillan entscheiden mußte. Die von ihr getroffene Wahl war damals Anlaß zu unwilligen Bemerkungen, die aber so offensichtlich einer augenblicklichen Verärgerung entstammten, daß ihnen niemand Bedeutung beimaß. Abgesehen davon fehlt in der ganzen Kritik jede ernsthafte Auseinandersetzung mit der Zentralfunktion. Die Antimonarchisten. die sich so gern als Hüter der reinen Vernunft ausgeben, haben in England ihr Hauptquartier im Sumpf des Emotionell- Irrationalen aufgeschlagen. Die ganze Wucht ihres Angriffes richtet sich gegen die zweite und recht unwichtige Gruppe königlicher Funktionen, die gesellschaftlichen, und gegen die Manager dieser Funktion, die Hofbeamten. Sie gehören einer bestimmten Kaste an. seien weder aufgeschlossen noch progressiv, hätten selten neue oder zündende Gedanken. Wie denn auch anders! 1st ihre Aufgabe nicht eine beschränkte und notwendigerweise zeremoniöse? Können sie mehr tun, als Anregungen der Königin durchführen, wie etwa die Mittwochlunche, zu denen sie Menschen aus allen Lebenslagen, die sie interessieren, einlädt und, wie man hört, vorzüglich bewirtet? Und was würde man mit ihnen im Buckingham-Palace machen, wenn sie jeden Tag mit neuen, zündenden Gedanken ankämen? Hinausjagen müßte man sie, hinaus in die Ministerien, Gewerkschaften und Redaktionen, wo sie den gegenwärtigen Kritikern bald das „Saturday-Evening- Post“-Brot wegnehmen würden.

Die Königin hat ihre Feinde richtig ein-

geschätzt; als die bunte Karosse durchs herbstliche England fuhr, hat die weiße Ha'nd nicht nur gewinkt, sondern eine kleine Puppenfigur fallen lassen. Die Puppenfigur eines jungen Mädchens, tadellos frisiert und angezogen und mit der Röte der Erwartung auf den Wangen, die Figur der „Debütantin“, die bisher ihr gesell schaftliches Leben mit der Vorstellung bei Hof begann. Das wird in Zukunft nicht mehr so sein, die zweite Elizabeth hat es abgeschafft. Die Karosse ist längst in der herbstlichen Parklandschaft entschwunden, und die Wölfe, die ihr gefolgt waren, stehen etwas ratlos um die kleine Kunstfigur herum.

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