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Die Königin von Australien

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Canberra, Ende Februar.

Vor wenigen Minuten ist die Königin zum letztenmal im offenen Auto langsam durch die Straßen gefahren, und wir haben von ihr und ihrem Gatten Abschied genommen.

Canberra hat eine Bevölkerung von 30.000 Einwohnern. Während der fünf Tage des Besuches der englischen Königin und ihres Gemahls waren es gegen 100.000. Im glitzernden Schmuck des festlichen Empfanges bildeten die vielgestaltigen Bäume der weiten Alleen, die weiten Rasenflächen und bunten Blumenbeete einen märchenhaften Anblick.

Am ersten Tag war die Begeisterung nicht überlaut. Der Australier läßt sich nicht gern von der Regierung beeinflussen, und die überschwenglichen Zeitungsberichte, die uns von Sydney zukamen, waren dazu geeignet, die meisten etwas mißtrauisch zu machen. Auch wurden amtlich allzu viele Vorbereitungen getroffen. Alle Häuser, die an der königlichen Route gelegen waren, wurden auf Regierungskosten neu angestrichen, die schönen Rasenplätze mit unnützen Geländern versehen, alle Straßenränder frisch umgeackert und neu bepflanzt. Viele weigerten sich erst, ihr Haus zu schmücken, mit der üblichen Bemerkung: „Um unsereinen kümmert sich die Königin sowieso nicht!“ In der Nacht vor der Ankunft der Königin habe ich aber doch gesehen, wie sie noch in der Dunkelheit die Gärten geschmückt und das Haus beflaggt haben, um hinter dem Nachbarn nicht zurückzustehen … Und dann kam der große Umschwung. Die Königin und der Herzog von Edinburgh, wurden bald vertraute Gäste. Jeder, der nur irgend Lust dazu hatte, konnte sie täglich oder sogar stündlich sehen. Es war erstaunlich, was für ein anstrengendes Programm man der jungen Frau in der sommerlich-australischen Hitze und Schwüle zumutete, und mit welch guter Laune sie es absolvierte. Am letzten Nachmittag, bei strahlendem Sommerwetter, wurde noch jeder, der seinen Namen ins Gästebuch des Government House (des Schlosses des Gouverneurs) eingetragen hatte, zu einem Gartenfest im Garten des Schlosses eingeladen. Es kamen etwa 4000 aus allen Schichten der Bevölkerung, darunter Fleischhauer, Spengler, Grünzeughändler, Arbeiter ebenso wie hohe Würdenträger der Kirche, Diplomaten, Beamte, kurz jeder, der sich an diesem Nachmittag frei machen und die Kleideransprüche seiner Gattin befriedigen konnte.

Für mich war dieses Gartenfest vielleicht das interessanteste Erlebnis von allen. Mancher Oesterreicher hat vielleicht das Vorurteil, daß die Königin in erster Linie ein Werkzeug der Politik und eine Stütze der Aristokratie sei. In Australien zumindest gehört die Königin dem Volk. Ich habe die Ueberzeugung gewonnen, daß sie wirklich alle Schichten der Bevölkerung als Nation zusammenhält. Es ist bestimmt ein Glücksfall seltener Art, daß diese junge Königin es fertigbringt, gleichzeitig Königin und Mensch zu sein. Wie sie es zustande bringt, ist ihr Geheimnis.

Wer Elisabeth II. am Abend des Banketts gesehen hat, wie sie zuerst vom Primeminister, Mr. Menzies, begleitet, die Treppe des Parlaments hinaufgestiegen und dann, von der obersten Terrasse sich umwendend, das Volk begrüßt hat, wird ihr diese Würde nicht absprechen können. Die Menschenmenge wofAe sich damit nicht zufrieden geben.

Immer lauter wird das Rufen der Menge: „We want the Queen! We want the Queen!“ Da, plötzlich erscheinen sie und der Herzog unvermutet auf dem Balkon, vor einem dunklen Hintergrund. Ringsum der phantastisch erleuchtete Parlamentsgarten, auch das Parlament im vielfarbigen Scheinwerferlicht. Das diamantbesetzte Diadem glitzert durch die Nacht. Wie sie hin und her geht und nach allen Seiten grüßt, schillert ihr prächtiges Ballkleid in den verschiedensten Farben. Zuerst einen Augenblick lang lautlose Stille, einer flüstert dem anderen zu: „See, the Queen, on the balcony, the Queen.“ Und dann bricht der Jubel los und will nicht enden.

Ich erzähle das nicht, weil ich denke, daß es für jemanden, der den Prunk des Habsburgerhofes gekannt hat, irgendwie überraschend sein könnte. Nur klarmachen, möchte ich, was das für ein junges Land bedeutet, wo man seit den ersten Pioniertagen nie für Kunst, Prunk, Tradition auch nur eine Minute Zeit gefunden hat. Das Volk hier hat für das Zarte und Vornehme wenig Verständnis und sieht jetzt auf einmal, daß es auch eine Königin hat, daß es auch Feste feiern kann. Das gibt zu denken.

Aber zurück zu unserem Gartenfest auf grünem Rasen. Die Königin und der Herzog durchbrechen die steifen Reihen, die die Polizei so mühsam aufgerichtet hat. Sie plaudert gerade mit „unserem Fleischhauer“. Ich stehe nahe genug, fast jedes Wort zu hören.

Die Königin: „Hoffentlich bin ich nicht daran schuld, wenn morgen Ihre Kunden kein Fleisch zu essen haben?“

Der Fleischhauer: „Nein, immer im Sommer haben wir jeden Mittwoch nachmittag geschlossen, dafür haben wir das Geschäft am Samstag vormittag offen. Im Winter haben wir das ganze Wochenende geschlossen, da dann das Fleisch sowieso nicht verdirbt.“ Dann fügt er noch mit bescheidener Anerkennung hinzu: „Es war sehr lieb von Eurer Majestät, mich an meinem freien Nachmittag einzuladen.“

Die Königin: „Ja haben denn alle australischen Geschäfte am Samstag geschlossen? Was machen Sie denn da mit so viel Freizeit?“

Der Fleischhauer (errötend): „Oh, Majestät, ich bin Vizepräsident vom … -Fußballklub usw.“

Der Aide-de-Camp stellt einen nach dem andern vor. Meist wählt er ältere Bürger, die die Ehre wohl besonders hoch einschätzen. Die Königin geht plaudernd den ganzen Garten entlang, der Herzog unterhält sich lachend mit einer anderen Gruppe. Er hat etwas Frisches, Heiteres, Praktisches an sich, das menschlich befreiend und lösend wirkt. Wie er unser neues Universitätsgebäude eröffnet hat, hat er sich den treffenden Ausspruch geleistet: „Es gibt immer mehr triftige Gründe, etwas nicht zu tun, als etwas zu tun. Ich bewundere daher jeden, der etwas tut!“

Ich habe so lange beim Canberra-Besuch der Königin verweilt, weil ich immer wieder im Gespräch mit Oesterreichern und anderen Einwanderern erfahren muß, daß sie das Wesen des britischen Königtums doch nicht richtig verstehen. Sie überschätzen den politischen Einfluß des Königshauses und unterschätzen merkwürdigerweise seine gesellschaftliche Bedeutung. Ich habe so viele sagen hören, daß jetzt bestimmt England bald Krieg erklären und sich vorerst der Treue der Australier versichern wolle, oder daß jetzt bestimmt die australische Regierung ganz nach dem Willen der Königin umgestellt werden wird. Einer hat sogar entrüstet erklärt, daß ihm eigentlich die Königin sehr gut gefällt, daß er aber prinzipiell gegen den Einfluß der Frauen in der Politik sei. Und ähnlichen Unsinn mehr.

Diese Leute übersehen vollkommen, wie gut es dem Durchschnittsaustralier tut, daß er jetzt sein Land gewissermaßen mit den Augen der Königin sieht. Unwillkürlich denkt sich jetzt ein jeder, wenn er durch die Straßen der Hauptstadt wandert: „Was würde sich die Königin denken, wenn sie das sähe? Ist das meines Landes würdig? Und ich selbst, wenn mich die Königin fragte, was ich für mein Land getan habe, was würde ich sagen?“

Wer australische Verhältnisse nicht kennt, das schnelle Geldverdienen, den schnellen Wechsel von Beruf zu Beruf, den Raubbau an Land und Material, das derbe Unabhängigkeitsgefühl der Massen, der merkt wohl nicht, daß hier ein ganz neues Nationalgefühl zum Vorschein kommt. Australien braucht einen Vergleich mit anderen Ländern nicht mehr zu scheuen. Bei jeder Gelegenheit wurde feierlichst betont, daß es nicht die englische Königin ist, der all der Jubel gilt: Elisabeth II. ist „Königin von Australien“. Australien hat volle Gleichberechtigung mit dem Mutterland, und im stillen hofft man, wie das nun mal bei solchen Sprößlingen üblich ist, daß dem jungen Lande die Zukunft gehört, daß die Zeit nicht allzufern ist, wo australische Universitäten, australische wissenschaftliche Forschung, australische technische Leistungen das alte Europa überflügeln werden.

In all diese Zukunftsträume klingt aber auch ein ernster Ton. Australien gehört nach Lage und geographischer Entstehung zu Asien. Australiens Zukunft hängt viel mehr von seinem Verhältnis zu seinen asiatischen Nachbarn als von England ab. Auch das wurde der jungen Königin immer wieder zu Ohren gebracht, und sie wird es bestimmt nicht vergessen. Es ist von großer Bedeutung für die Lebensfähigkeit des weißen Australien, daß auch die asiatischen Völker dem britischen Weltreich und der Königin treu bleiben. Damit ersteht der Königin eine neue und schwierige Aufgabe, und niemand kann Vorhersagen, ob und wie sie sie lösen wird. Jedenfalls werden bei allen öffentlichen Veranstaltungen die Vertreter asiatischer Mächte mit Glacehandschuhen behandelt, und im Colomboplan werden gewaltige Summen darauf verwendet, asiatische Nachbarn in den britischen Kulturkreis zu ziehen. Unzählige asiatische Studenten haben Freiplätze an australischen Universitäten, und australische Sachverständige bereisen alle Nachbarländer und helfen mit Rat und Tat in Technik, Verwaltung, Industrie.

Auch die Vertreter der im Krieg gegen Japan als „kraushaarige Engel“ gefeierten halbwilden Naturvölker von Neuguinea und Papua wurden von der Königin und der australischen Bevölkerung besonders freundlich empfangen. Nur die australische Urbevölkerung war bloß durch vier Vollblutaustralier vertreten, darunter der berühmte schwarze Maler Namajira. Sie haben sich ganz offenbar in ihren europäischen Anzügen sehr unwohl gefühlt, und Namajira hat immer wieder den Kopf geschüttelt und sich gewundert, wie man nur in einer Großstadt wie Sydney leben könne.

Für mich besteht kein Zweifel darüber, daß wir uns alle, zumindest solange die Königin die übrigen Teile Australiens bereist, „zusammennehmen“ werden. Australien hat in den letzten Jahren so viel Talent importiert und auf wissenschaftlichem und technischem Gebiet so viele grandiose Projekte begonnen, daß es der versprochenen Wiederkehr der Königin mit großer Zuversicht entgegensehen kann. Was uns fehlt, ist die Zeit und Muße, dem Leben auch ein wenig ideale Schönheit und edle Würde zu geben. Aber auch dazu haben uns die Erlebnisse der letzten Tage ein wenig Zuversicht und Hoffnung gegeben.

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