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Der glückliche Erdteil

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Australischer Brief an die .Furche'

Canberra, Australien, 15. Dezember Canberra, Australiens Hauptstadt, ist erst zweiundzwanzig Jahre alt. Sie verdankt ihre Entstehung der Rivalität der einzelnen Bundesstaaten, da man weder Melbourne noch Sydney, noch eine der anderen Staatsmetropolen zum Sitz des Parlaments machen wollte. Dazu kam die militärische Uber-legung, die allerdings jetzt als überholt gilt, daß man die Bundeshauptstadt in einer militärisch gesicherten Lage, also nicht unmittelbar an der Küste, aufbauen wollte. Die ganze Gründung ist somit nicht aus einem natürlichen Bedürfnis, sondern aus einem Kompromiß entstanden, und jeder hat daran etwas auszusetzen. Ein großer Teil der Kritik richtet sich dabei gegen die jetzt eben bei den Wahlen gestürzte Labour-Party-Regierung und ihre unmittelbaren Vorgänger, die für die eigenartige Entwicklung Canberras die Verantwortung tragen.

Die Probleme einer Stadtgründung

Vor allem leidet Canberra darunter, daß die Bevölkerung fast ausschließlich aus ßun-desangestellten besteht, und unter alien Gewohnheitsraunzern sind die Fixangestellten Canberras die ärgsten. Die Regierung hat alles darangesetzt, Beamte, Wissenschaftler und Fachleute für Canberra zu gewinnen. Die Gehälter sind höher als irgendwo sonst in Australien, die Vorrückungsmöglichkeiten weitaus günstiger; das Einkommen wird durch eine „Cost of Living Allowance“ der jeweiligen Preislage angepaßt, wenn also während der Devalvationsperiode die Preise steigen, steigt automatisch der Gehalt in genau demselben Verhältnis.

Die Wohnungsfrage ist, wie überall in Australien, das schwierigste Problem. Es müssen nicht nur alle Häuser neu gebaut werden, sondern das Land muß urbar gemacht, gerodet, kanalisiert werden, Wasserleitungen, elektrische Leitungen, Straßen, Autobuslinien müssen ganz neu angelegt werden, Schulen, Spitäler, Geschäftszentren müssen sozusagen aus dem Nichts geschaffen werden. Dabei herrscht großer Mangel an Baumaterial und Arbeitskräften. Die Nachfrage nach manuellen Arbeitern ist in allen Betrieben so ungeheuer groß, daß der Australier trotz der besten Arbeitsbedingungen es sich überlegen kann, in der Hitze Bauarbeit zu leisten, wenn er sonst eine bequemere Beschäftigung finden kann.

Wieder hat die Regierung dem abzuhelfen versucht, indem sie aus Mitteleuropa Tausend von „Displaced Per-6ons“ aus den verschiedenen Flüchtlingslagern Deutschlands nach Australien transportiert hat. Am Wochenende in Canberra hat man den Eindruck, daß fast jeder zweite Mensch, den man trifft, entweder polnisch, litauisch oder deutsch spricht. Das ist hier eine ganz unerhörte Neuerscheinung. Alle diese Einwanderer bekommen ihre Fahrtkosten von der Regierung bezahlt, doch müssen sie sich verpflichten, zwei Jahre hindurch — gegen normale Entlohnung — für die Regierung zu arbeiten. Die Männer müssen also Straßen und Häuser bauen, ganz gleichgültig, ob sie in der Heimat Universitätsprofessoren oder Zahnärzte waren, und die Frauen sind als Kellnerinnen in den großen staatlichen Beamtenherbergen oder sonstwie in Heimen, Spitälern und Kanzleien beschäftigt. Aber alle diese Arbeiter müssen auch wieder irgendwo untergebracht werden, sie müssen Werkzeuge bekommen und verpflegt werden. Für alle diese Beamten und Arbeiter hat die Regierung große Hexbergen gebaut, die, je nach der Preislage, mehr oder weniger luxuriös ausgestattet sind. Die besten können sich getrost mit jedem europäischen Hotel vergleichen, ausgezeichnete Küche, herrliches Service, Silberschüsseln, prachtvolle Gesellschaftsräume mit Teppichen, Bildern, modernen Bade- und Waschanlagen — die einfachsten dieser „Hotels“ sind bloße Holzbaracken, aber überall herrscht große Sauberkeit. Die Australier verstehen es, dieses Gemeinschaftsleben gemütlich und unterhaltend zu gestalten. Der größte Nachteil liegt darin, daß es fast unmöglich ist, eine Familie unterzubringen. So steht jetzt jeder höhere Bundesangestellte vor der Wahl, enweder auf eine ausgezeichnete Karriere in Canberra zu verzichten, oder aber zwei bis drei Jahre von seiner Familie getrennt zu leben. Wenn die Familie zufällig in Sydney beheimatet ist, ist die Entfernung nicht so groß, Sydney ist nur 200 Meilen von Canberra entfernt, aber für alle anderen ist diese Trennung doch ein fast unerträgliches Opfer.

Bevor man sich in einem dieser „Hotels“ eingerichtet hat, geht man zum Wohnungsamt und bewirbt sich um ein Haus. Ist man verheiratet, bekommt man eine Nummer, die dazu berechtigt, innerhalb einer Wartezeit von etwa drei Jahren von der Regierung ein Haus zugewiesen zu bekommen. Sobald ein neues Haus fertig wird, wird die nächste Nummer aufgerufen und jeder kommt daran, streng der Reihe nach, jedes Wohnungsschieben, jeder Betrug wird unnachsichtlich bestraft. Sobald man ein Haus hat, lebt man in einer Art Beam tenpa radies. Das Inaen-ministerium sorgt für alles: Blumen, Obstbäume für den“ Garten, elektrische Öfen und Warmwasserspeicher, alle Reparaturen in Haus und Garten, alles wird kostenlos von der Regierung besorgt. Wenn irgend etwas im Haus nicht funktioniert, geht man zum Telephon: „Innenministerium!“ Alles wird sofort instand gesetzt. Die Maler und Anstreicher ziehen von Haus zu Haus, die Hecken werden in ganz Canberra mathematisch gleich hoch zurechtgeschnit-ten, auf Staatskosten! Wenn es einem Bundesbeamten gelingt, ein möbliertes Haus zu erhalten, macht sich die Regierung sogar erbötig, den erheblichen Kostenunterschied zwischen möblierten und unmöblierten Häusern selbst zu bestreiten.

Was gibt es also an Canberra auszusetzen? Jeder beklagt sich, jeder Australier überhäuft die Regierung mit Vorwürfen. Warum? Die Regierung hat alles darangesetzt, Canberra zu einer schönen Stadt zu machen. Man muß die anderen australischen Städte kennen, um die Bedeutung Canberras voll einzuschätzen. Sydney ist prachtvoll gelegen, Melbourne hat einige schöne Parks, aber überall, sobald man sich von den Villenvierteln der Reichen entfernt, kommt man in ein häßliches Häusermeer, das kein Ende nehmen will; die Londoner Vorstädte sind unverändert ins sonnige Australien versetzt worden, wo alles Häßliche doppelt drückend wirkt, weil die Sonne und der Staub viel unnachsichtiger sind als der Londoner Nebel. Dächer aus Wellblech, Zäune aus Wellblech, Klosetts aus Wellblech, dunkle Veranden, in denen das Wellblech von massiven griechischen Imitationssäulen getragen wird. Fürchterlich!

In Canberra sieht man von alldem nichts. Jeder Stadtbezirk ist geschickt um einen Hügel gruppiert, so daß man zuerst von den Häusern überhaupt nichts sieht. Man kann quer die ganze Stadt fahren, ohne ein Privathaus zu erblicken. Da gibt es prachtvolle Alleen, endlose Reihen von blühenden Hecken, Beerensträuchern, Birken, Tannen, Eichen, Eukalyptus, Ulmen, Erlen, Zypressen — jede Art von Baum und Strauch. Um die wichtigsten Regierungsgebäude befinden sich Parkanlagen; jedes Haus hat einen Vorgarten mit Rosen, Flieder und großen Bäumen, der rückwärtige Teil ist meist mit Obstbäumen und Gemüse bepflanzt. Die Stadt liegt etwa 100 Meter über dem Meeresspiegel, auf einem Hochplateau. Die höchsten Berge Australiens bilden eine Kette, die, nur etwa 20 Kilometer von Canberra entfernt, die grüne Hügellandschaft malerisch begrenzt. Das Klima ist dem der österreichischen Alpen sehr ähnlich. Es gibt vielleicht im ganzen Jahr nur 14 Tage, an denen die Sonne nicht die ganze Landschaft vergoldet. Wandert man in dieser schönen Stadt vom Hotel Canberra zum Parlament, so trifft man auf dem Wege vielleicht auch die Minister der Bundesregierung, auch „Old Ben“, C h i e f 1 y, das Oberhaupt der Labour Party, ein ehemaliger Lokomotivführer, der sich auch bei seinen politischen Gegnern großer Volkstümlichkeit erfreut. Durch acht Jahr hat er die Regierungsmehrheit der Labour Party und die Regierung gelenkt. Seinen Amtskollegen gab er fast unbeschränkte Freiheit,

Der Einwandererstrom

Calwell, der impulsive Minister für Einwanderung, gab der Regierung manche harte Nuß zu knacken. Calwell ist ohne Zweifel überaus tüchtig. Niemand sonst hätte eine Einwanderung in solchem Maßstab gewagt wie er; es ist ein ungeheures Risiko, plötzlich so viele Entwurzelte aus allen Teilen Europas in Australien einzuquartieren. Die Wohnungsbeschaffung, die Arbeits Verteilung, die Sprachschwierigkeiten, die verschiedenen kleinlichen nationalen Gehässigkeiten, die diese Menschen von Europa mitbringen und die hier ganz seiner Meinung möglich sei, erwidert der Fürst: „Es gibt davon nur zwei, ein einheitliches oder ein einiges. Das einheitliche kann entweder im monarchischen Sinn auf dem Weg der Eroberung, im republikanischen auf dem Weg der Revolution erreicht werden. Die Zeiten sind zur Eroberung nicht günstig, und Revolutionen kann kein Vernünftiger wollen. Das Mittel der Einigkeit unter souveränen Teilnehmern ist somit gegeben. In seiner Anwendung heißt es Staatenbund...“

Auf diese Ausführungen antwortet Graf Hartig in einem Brief vom 2. März 1851: „Die Bedingungen der Existenz Deutschlands sind so wie sie Euer Durchlaucht erkannt haben. A priori stimmen darin die Molecules Germaniques überein. Kommt es aber zur praktischen Ausführung, will ein jedes Molekül davon abweichen. Das Ende muß über kurz oder lang das Verschwinden Deutschlands aus der Staatenreihe sein und eine Konformation seiner Teile in der Weise, wie sie sich unter Napoleon gebildet hat. Daß eine solche Bildung die traurige Wirkung einer europäischen Katastrophe haben wird, ist leider nur zu gewiß. Wäre es, wenn sie nicht abgewendet werden könnte, für Österreich nicht minder gefährlich', selbst ihr entgegenzugehen, als in dieselbe hineingerissen zu werden?...“

Der politische Briefwechsel der beiden Staatsmänner endete im Herbst 1851, ab der Fürst nach Österreich zurückkehrte. Doch dauerte ihre freundschaftliche Verbundenheit bis zum Tode des Staatskanzlers an. Eine führende Stellung in der österreichischen Regierung nahm der mittlerweile über 60 Jahre alte Graf nicht mehr an. Im Reichsrat und später im Herrenhaus entfaltete er trotz seines Alters eine intensive Täigkeit, wobei er, seinem Charakter und seiner politischen Überzeugung gemäß, zwischen Konservativismus und Liberalismus, zwischen Föderalismus und Zentralismus eine vermittelnde Haltung einnahm. Im Jahre 1865 beendete eine kurze Krankheit das reich erfüllte und glückliche Leben dieses großen Österreichers. Zu den eindrucksvollsten Worten, die Graf Hartig der Nachwelt überliefert, gehört wohl jener Ausspruch Metternichs vom 30. März 1849: „Man sagt, ich hätte bei meinem Austritt aus meiner Stelle die Monarchie mit mir davongetragen ... Weder idi, noch niemand hat Schultern, breit genug, einen Staat davonzutragen. Verschwinden Reiche, so geschieht dies nur, wenn sie sich selbst aufgeben.“

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