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Diamanten und große Politik

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Raum gewinnen. Die im strengen Denken aufgewachsenen Intellektuellen, begriffsverengend vor allem die Naturwissenschaftler bezeichnend, kamen aus Europa.

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Selbst durch die Lincolnsche Großtat, dieMorrill Act von 1862, und ihre, die technischen Wissenschaften fördernde Wirkung (wertvollstes Staatsland von Belgiens Ausmaßen wurde zum Bau von Hochschulen in allen Unionsstaaten freigegeben) änderte nicht die antiintellektuelle öffentliche Meinung. Und noch heute bewahrt sich die Nation eine offen zur Schau tragende Schwäche für das wildgewachsene Naturtalent, den Selfmademan, und meint, Antüntellektualismus sei gleichbedeutend mit echtem Ameri-kanertum. Zweimal fiel das von der Bundesregierung angeregte reformistische Schulprogramm durch.

Die psychologischen Gründe, die den Anti-intellektualismus verursachen, mögen dem Nicht-amerikaner als Uebertreibung erscheinen. Tatsächlich wird das Dasein des amerikanischen Mannes weitgehend durch die dauernde Notwendigkeit beeinträchtigt, seinen Mitmenschen und sich selbst zu beweisen, daß er kein Weichling („Sissy“) sei. Die Ausmaße dieser Angst lassen sich gar nicht überschätzen. Homosexualität erregt bei Amerikanern nicht nur Abscheu, sondern Panik und wird als persönliche Gefährdung aufgefaßt. Als einzige kriegführende Macht verzichteten die USA darauf, schon bloß der Homosexualität verdächtige Männer zum Wehrdienst einzuberufen. Das weibliche Gewissen, die im amerikanischen Mann „verkapselte“ Mutter, ist nach Ansicht der Psychologen die Ursache dafür. Panische Angst vor allfälliger Homosexualität, die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Boykott zur Folge hat, läßt sie nicht nur ihr Interesse für die Frau unaufhörlich zur Schau stellen, sondern auch ausgesprochen „männliche“ Berufe ergreifen. Jedes Interesse, das als weibliches Bestreben gilt, wirkt tief suspekt. Geistige Bestrebungen gelten als nicht stubenfein. Opernbegeisterung und Lesehunger werden als „weibisch“ abgetan. Wenn amerikanische Intellektuelle zusammenkommen — so berichtet der Soziologe G. Gorer in seinem fundamentalen Werk „Der Amerikaner“ —, wird zunächst ein großer Zeitaufwand damit vertan, durch Geprahle sich gegenseitig zu beweisen, daß man ein „richtiger Mann“ sei.

.Aber erst seit 1945 braust eine umfassende Welle von Intellektuellenfeindlichkeit durch die Staaten. Schuld daran waren die Fälle von Spionage und Atomverrat. Namen wie Klaus Fuchs, Pontecorvo, Alger Hiss, Dexter White, Silverman, Duncan, Gold, Rosenberg, Noel Field, Tschao Tschung-yai, MacLean und Burgess, haben erst MacCarthy verursacht. Die amerikanische Oeffentlichkeit war durch solche Vertrauensbrüche gelähmt. Sie suchte Sündenböcke und fand sie, nicht ganz zu Unrecht, in den Intellektuellen, die in der Aera Roosevelt einflußreiche Stellungen erobert hatten. Es begannen „Hexenjagden“. Niemand Geringerer als Churchill legte Zeugnis ab von den Gefahren, die durch die Clique der Linksintellektuellen um das White House in den entscheidenden Stunden der Geschichte heraufbeschworen wurden. Im letzten Band seiner Memoiren beschreibt er die schweren Sorgen, die ihm der prorussische Kurs Washingtons nach dem Krieg bereitet hatte. Es bedurfte dann wieder einer gewaltigen Anstrengung, um MacCarthys Spitzelsystem abzubauen. Heute weiß man, eben durch die Aktion gegen ihn, wie groß seine Anhängerschaft, die zugleich auch ungefähr die Stärke des Anti-intellektualismus zeigt, gewesen ist. MacCarthys Anhänger sammelten 1954 Unterschriften für ein Gesuch an den Senat, die Rüge gegen ihn zu unterlassen. Zweieinhalb Millionen Amerikaner waren bereit mit ihrer Unterschrift für seine Methoden einzustehen. Diese Zahl übertraf alle Erwartungen, sie gewinnt an Gewicht, wenn man bedenkt, daß im politischen Leben nur die aktivsten Elemente bereit sind, aus der Anonymität ins volle Licht zu treten. Sie repräsentieren aber ein Vielfaches seiner stillen und passiven Bewunderer. Amerikas Rechte, so kann man sagen, stand hinter dem Senator aus Wisconsin. Das war ein historischer Pendelschwung gegen die russophile Politik Roosevelts. Die meisten „Eggheads“ wurden von Verwaltungsfachleuten abgelöst: Dean Acheson, Oppenheimer, Marshall, George K. Ke'nnan. Adlai Stevenson, Prototyp eines Intellektuellen, appellierte an Amerikas Vernunft — er wurde zweimal nicht erhört. Amerikas Herz schlug für einen golfspielenden Präsidenten. Es gehört zu den Ironien der Geschichte, daß es erst einer anläßlich des Geophysikalischen Jahres in den Weltraum geschleuderten kleinen Kugel bedurfte, um dem Antüntellektualismus einen gouvermentalen Stoß zu versetzen.

Ab und zu, auf kurze Zeit, hebt sich der Schleier, der über dieser halbvergessenen britischen Kolonie an der afrikanischen Westküste liegt, um nur allzubald dieses Land der Urwälder und Sümpfe schützend wieder zuzudecken und es neugierigen Augen zu entziehen. Wer den Roman von Graham Greene „Das Herz aller Dinge“ gelesen hat, dessen Handlung ja in Sierra Leone abrollt, wird sich erinnern, daß einzelne seiner Charaktere in den Diamantenschmuggel verwickelt waren. Aber diese Schmuggeltätigkeit in der Zeit vor dem letzten Krieg war eine „Bagatelle“, verglichen mit dem, was dort heutzutage vor sich geht.

Sierra Leone, fast so groß wie Bayern, hat in letzter Zeit von sich reden gemacht, als bis an die Zähne bewaffnete, gut organisierte Banden die Diamantenfelder bei Yengema, 300 Kilometer östlich von Freetown, besetzten. Die in Stahlkammern verwahrten Diamantenvorräte wurden geplündert und verschwanden auf Nimmerwiedersehen. Daran konnte auch der auf mehrere Tage verhängte Ausnahmezustand über den Diamantenbezirk von Kono nichts mehr ändern. Man verhaftete zwar einige Dutzend verdächtiger Personen und setzte einen Häuptling ab, aber damit hatte man bloß das Prestige der Kolonialverwaltung der Außenwelt gegenüber einigermaßen gestützt. Und selbst wenn man die ganze einheimische Bevölkerung im Konodistrikt hinter Schloß und Riegel gesetzt hätte (fast alle sind ja in irgendeiner Weise an dem illegalen Diamantenhandel beteiligt), selbst dann hätte man die wirklich Schuldigen nicht erwischen können. Die sitzen nämlich sicher im benachbarten Liberia, von wo aus sie fast ungestört operieren können, da die Exekutiv-organe der dortigen Regierung regelrechte Löhne dafür bekommen, daß sie die Augen zudrücken. *

Die wirklich Schuldigen sind die allmächtigen Zwischenhändler. Sie verfügen über ein ausgedehntes Netz von Agenten, die mit den Diamantengräbern Kontakte aufrechterhalten, und haben ihre guten Verbindungen mit dem Weltmarkt. Die IDB-Organisation (Illicit Diamond Bayers), wie sie von den Kriminalbehörden kurz genannt wird, braucht nicht vief mehr zu tun, als die Arbeiter der Diamantenfelder und Leute, die auf eigene Faust gesetzwidrig schürfen, ständig auf dem laufenden zu halten, wo sie die unrechtmäßig erworbenen Edelsteine vorteilhaft und ohne großes Risiko verkaufen können. Alles weitere geschieht fast von selbst. Die eingeborenen Lieferanten bringen es schon zuwege, ungesehen über die Grenze zu gelangen und sich dann bei einem kleinen geheimen Flugfeld im Dschungel oder an einer abgelegenen Bucht einzustellen, die ihnen von der IDB angegeben wurden. Meist sind die Abnehmer schlaue Kaufleute aus dem Libanon oder aus Syrien, die sich zu Hunderten an der westafrikanischen Küste angesiedelt haben.

Nach vorsichtigen Schätzungen von Fachleuten der betroffenen Firmen, die im „Sierra Leone Se-

lection Trust“, der vertraglich sämtliche Schürf-rechte in der Kolonie erworben hat, zusammengefaßt sind, sollen auf dem Schmuggelweg mehr Diamanten aus dem Lande weggeschafft werden als auf legale Weise. Sierra Leone gilt als das große Loch im Diamantenfaß des Schwarzen Kontinents. Von der kleinen westafrikanischen Kolonie aus werden mehr Edelsteine auf den Schwarzen Markt gebracht) als von allen Diamantenfeldern und -gruben Afrikas — von der Südafrikanischen Union, von Portugiesisch-Angola, von der Goldküste und von Tanganjika — zusammengerechnet!

Der „Sierra Leone Selection Trust“, der den Oppenheimer Konzernen angehört, die )a prak-

tisch ein Diamanten-Weltmonopol haben, versucht so'manches/ um die andauernden'Dieb* stähle und- des - (.-schwärzte Schürfen“.; zu verhindern. Einige der ergiebigsten Diamantengruben sind mit den modernsten Sicherheitsvorrichtungen versehen. So wurde damit begonnen, Arbeiter beim Verlassen der abgesperrten Schürfzonen mit Röntgenstrahlen zu durchleuchten. Es gibt nämlich nicht wenige, die wertvolle Steine schlucken, um sie so herauszubekommen. Aber damit hat es natürlich seinen Haken. Die Arbeiter können nicht täglich durchleuchtet werden, da regelmäßige Einwirkung von Gammastrahlen bald den Tod herbeiführen würde. Man ist also zum Teil dazu übergegangen, Attrappen von Röntgen-apparaten aufzustellen, um die Arbeiter glauben zu machen, daß sie durchleuchtet werden. Die Sicherheitsorgane sind in der Hauptsache darauf bedacht, die Diamantenarbeiter über die

wahren Kontrollmaßnahmen im Ungewissen zu lassen. So stellt man zum Beispiel an allen möglichen Orten automatische Fernsehkameras auf; niemand weiß, welche davon wirklich in Tätigkeit und welche Attrappen sind. Und dennoch — immer wieder finden Steine ihren Weg nach außen, selbst aus diesen streng überwachten Zonen.

Die Wirtschaft Sierra Leones wurde durch den schwunghaften Diamantenhandel vollkommen auf den Kopf gestellt. Jeder will gerne schnell reich werden. Aus allen Gegenden des Landes und von jenseits der Grenzen kommen iie, um illegal nach Diamanten zu suchen. Die Männer verlassen ihre Reisfelder, ihre Arbeitsstätten, ihre Dörfer und ihre Familien, um ihr Glück zu versuchen. Die Agrarproduktion nimmt rapid ab, und in vielen Teilen des Landes kommt es deshalb zu akuter Lebensmittelknappheit. Die Preise der einzelnen Grundnahrungsmittel, wie zum Beispiel Reis, erreichen schwindelnde Höhen. Ueber Nacht reich gewordene Diamantengräber kaufen Fernsehapparate, die nicht verwendet werden können, Kühlschränke, die ohne elektrischen Strom unbrauchbar sind, und

amerikanische Luxusautos, mit denen man geradd/iri-E*8eitowriihnd einige Kil&rjfiete'i'-landeinwärts fahren kann, denn ein Straßennetz gibt es so gut wie nicht. Der chaotischen Lage in der Wirtschaft versucht die Regierung durch Einfuhr wichtiger Lebensmittel etwas abzuhelfen, aBer damit werden die Wurzeln des Uebels nicht einmal berührt, geschweige denn beseitigt. *

Der große Verlust an Diamanten beunruhigt die Magnaten in den Marmorhallen der „Diamond Corporation“ in der Londoner Charter-house Street, durch deren Hände 90 Prozent der legalen Diamanten wandern, nicht allzusehr, solange die Nachfrage stärker bleibt als der Nachschub. Wesentlich ist, daß sie in die entsprechende Richtung gelenkt werden — nämlich nach dem Osten. Ein Absatz „schwarzer Diamanten“ in der freien Welt würde die Preise drücken, und das kann nicht im Interesse der „Diamond Corporation“ liegen. Was allerdings Regierungen dazu sagen, die verhindern wollen, daß für die Rüstung wichtige Materialien — die Diamanten gehören auch dazu — nach dem Osten gelangen, ist eine andere Sache.

Rußland, China und die Satellitenstaaten verfügen — selbst wenn man die letzten Meldungen über Diamantenfunde in Sibirien einbezieht — über keine nennenswerten Diamantenvorkommen. Ein Mangel, der hochindustrialisierten Staaten höchst unangenehm werden kann, denn Industriediamanten sind heutzutage einfach unentbehrlich. Sie werden unter anderem benötigt für Spitzen von Schneidewerkzeugen und Bohrern, für das Ziehen von Drähten, für Schleifund Poliermaterial, als Lager für sich bewegende Teile in feinen Instrumenten und so weiter. Der Osten ist bereit, höchste Preise für jeden nur erreichbaren Diamanten zu zahlen. Die syrischen Händler in Sierra Leone wissen das nur allzu genau. Ihre“ Steine gelangen über die illegale Diamantenzentrale Beirut nach Rußland und China. Dabei erzielen die schlauen Levantiner Gewinne, die oft das hundert- bis zweihundertfache der Preise betragen, die sie an die kleinen Diamantendiebe gezahlt haben. Der Bedarf an Industriediamanten ist in den letzten Jahren, vor allem in den großen Rüstungsländern, steil angestiegen. Und besonders der Verbrauch der Sowjetunion scheint nahezu unbegrenzt. Die russischen Käufer scheuen sogar davor nicht zurück, teuere Schmuckdiamanten zu erstehen, um sie dann für Industriezwecke brechen zu lassen. Kein Wunder, daß die Diamantenpreise auf dem Schwarzen Markt in letzter Zeit schwindelnde Höhen erreicht haben, die jedes Risiko, das durch Diebstahl und Schmuggel eingegangen wird, doppelt wert macht.

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