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In Bayreuth mit dem Prinzen von Wales

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Sommer 1897

Liebe, gute Mutter!

Denke Dir, es gibt noch Wünschelruten und gütige Feen, und ich schreibe Dir wirklich aus Bayreuth. Ich saß brav in Innsbruck und sah mir das .Goldene Dachl“ an, während Otto seine Waffenübungen machte. Da kam mir der Gedanke, ob ich denn nicht auf einen Tag zu einer „ParsifaP-Aufführung fahren könnte. Ich telegraphierte an R. L., und siehe da, auf mein Telegramm kam eine Antwort, die wie ein Märchen klingt. Lady d e G r a y lädt mich ein, eine Woche bei ihr in Bayreuth, Schloß Fantasie, zu verbringen. Die Sitze sind für die ganze Serie der Festspiele vorhanden. Am selben Abend bin ich weggefahren und am nächsten Tag hier gelandet.

Fantasie“ ist ein verträumtes Schloß aus der verklingenden Empirezeit. Es liegt auf einer Anhöhe mitten in einem riesigen Park. Aus allen Fenstern sieht man in ein Meer von grünen Wipfeln. Durch meine offene Balkontüre schauen die Schlingrosen herein, nicken und fächeln mir ihren Duft zu. Ist das nicht wirklich ein Traum oder wie ein schönes Märchen? Meine Hausfrau stimmt auch genau zu der Märchenstimmung. Ich hatte sie ja bis dahin so flüchtig gekannt. Lediglich gemeinsame Freunde verbinden uns. Sie ist die auf Erden wandelnde verkörperte Schönheit. Wenn ich mit absoluter Vollkommenheit in Berührung komme, empfinde ich eine Art Schauer. Als mir Lady de Gray im Salon von Fantasie entgegenkam, habe ich ihn deutlich verspürt, den „Frisson divin“. Außer R. L. und meine Wenigkeit sind noch sieben Gäste im Hause, darunter S u 11 i v a n, der Komponist des „Mikado“, ein lieber, lustiger Mensch, und ein Mr. Arthur B a 1 f o u r, ein Parlamentarier, von dem sie alle die höchste Meinung haben. Er ist der typische Rasse-Engländer, hoch, schlank, ein kleiner Kopf, und die endlosen, schlenkernden Gliedmaßen eines jungen Vorstehhundes. Er ist sehr musikalisch in der klassischen Richtung, Bach, Händel. Nun soll ihm Verständnis für Wagner eingeflößt werden.

Vormittags tut jeder, was er will. Um 1 Uhr zum Lunch kommt immer irgendein interessanter Gast aus Bayreuth. Gestern war L e v y da, der uns von Richard

• Vergleiche „Die Warte' Nr. 52/1949.

Wagner und den ersten Festspielen erzählte, als er noch selbst den Dirigentenstock schwang. Heute kam M o 111, der morgen dirigiert. Er spielte uns eine Stunde lang aus der „Walküre“ vor. Nachmittags fahren wir dann ins Festspielhaus. Zwischen erstem und zweitem Akt trinkt man Tee im Restaurant und sieht sich das Getümmel an, zwischen zweitem und drittem Akt wird in irgendeiner schönen Ecke des Parks Picknick soupiert. Die Diener bringen alles aus Fantasie mit. Gestern hörten wir die „Wallküre“ mit Rosa Sucher —• unbeschreiblich schön. Als wir dann in weihevoller Stimmung bei herrlichem Mondschein durch den schlummernden Park unserem Märchenschloß zufuhren, zitterte jeder Nerv in mir. Es war so eine Stimmung zwischen Jauchzen und Weinen, und zum Schluß wählte ich letzteres, weil ich fürchtete, ein Jauchzer könnte den neben mir sitzenden Balfour veranlassen, um Hilfe zu rufen.

Da morgen keine Festspiele stattfinden, wurde ein größerer Ausflug geplant. Mottl hatte uns geraten, nach Prag zu fahren, wenn es die Zugsverbindungen gestatten. „Wo ist Prag“, fragte man in der Runde, und Sullivan wurde angestaunt, weil er etwas über Prag gelesen hatte, einen Roman von Marion Craw-ford „The Witch of Prague“. Ich bemerkte, Prag sei die Hauptstadt von Böhmen, das schien aber niemand etwas zu sagen. Arthur Balfour rief seinen Kurier, er reist mit einem Kurier, weil er kein Wort Deutsch kann. Da skizzierte ich mit meinem Schirm in dem Gartensand die böhmisch-bayrische Grenze und zeichnete Bayreuth und Prag sehr beiläufig ein. Der nachsichtigste Lehrer hätte mir für diese Fleißaufgabe kaum einen Dreivr gegönnt. Es wurden Karten herbeigeholt; da die Sache ungefähr richtig war, wurde ich die Heldin des Tages. Besonders Balfour war voll des Lobes über meine Kenntnisse. Nach Prag fahren wir aber doch nicht, die Zeit ist zu kure dazu.

Es gibt viel Neues. Der Prinz und die Prinzessin von Wales sind angekommen. Lady de Gray ist in die Stadt gefahren und kam mit Ihrer königlichen Hoheit zum Lunch heraus, der Prinz sollte abends folgen.

Es war der 52. Geburtstag der Prinzessin. Ist es Natur oder Kunst, ich ahne es nicht, jedenfalls sieht sie fabelhaft aus. In einem grauen Kleid mit einem kleinen steifen Girardihut, bei dem brennenden Sonnenschein ohne Schleier. Kein Mensch hätte ihr mehr als dreißig Jahre gegeben. Seitdem ich sie in Athen gesehen habe, ist sie sehr schwerhörig geworden. Ich mußte ihr vorspielen wie damals. Ob sie wohl viel davon gehört hat? In der Konversation hilft sie sich sehr geschickt mit ja — soso —, aber sie versteht wenig. Alles ist hocherfreut über ihr Erscheinen, sie ist sehr beliebt. Vielleicht realisiert sie das Ideal der Prinzessin „durch Mitleid wissend ein reiner Tor“ wie Parsifal! So sollten sie immer sein, die Prinzessinnen! Wenn sie zu fest mit beiden Füßen auf der Erde stehen, schockieren sie mich, wenn sie zu sehr in Höhen schweben, gehen sie einem auf die Nerven. Sie sollen in ihrer etwas weltentrückten Atmosphäre leben und durch Mitleid menschliche Miseren und Schwächen verstehen.

Ihre königliche Hoheit hat übrigens den Beweis geliefert, daß sie in praktischen Fragen gut Bescheid weiß. Da, wie gesagt, an dem Tag kein Festspiel stattfand, fuhren wir in ein hübsches kleines Bad, Bernegg, wo wir einen Spaziergang machten und abends essen sollten. Als wir aus dem Wagen stiegen, kamen gerade die Kinder aus der Schule. Die Prinzessin blieb stehen und begann mit ihnen zu reden. Die Kleinen schauten die schöne Dame bewundernd an und grüßten sehr artig. Deutsch spricht die Prinzessin fast ohne fremden Akzent. Nach einer Weile meinte sie, sie möchte den Kindern eine Jause verabreichen lassen. Wie viel soll ich dem Wirt geben? fragte der Adjutant Captain Fortescue. Die Prinzessin überlegte einen Augenblick, sah sich noch einmal die Kinder an und sagte: „Ich denke, Sie geben ihm drei Pfund.“ Also 60 Mark für 50 Kinder, die da waren, genau das Richtige zu einer üppigen Jause. Ich glaube, das hätten wenige hohe Damen so genau gewußt.

Bei unserer Rückkehr fanden wir den Prinzen von Wales in Fantasie. Das war eine ganz andere Geschichte, darüber schien sich niemand besonders zu freuen. Ich war höchst erstaunt über das Aussehen dieses Herzensknickers, dieses „Arbiter elegantiarum“, von dem ich so viel gehört hatte. Wenn ich ihm irgendwo begegnet wäre, ohne zu wissen, wer er ist, hätte ich gesagt: ein etwas dicker, deutscher Kommerzialrat. überrascht hat mich auch die Art, wie man hier im Hause mit ihm umgeht. Wir, saßen alle abends auf der Terrasse, und der Prinz interpellierte Mr. Balfour über irgendeinen Zwischenfall im englischen Parlament. Balfour antwortete ihm klipp und klar und eher schroff, daß er in Bayreuth auf Urlaub sei, um Fantasie, Musik und Wagner zu genießen, und keine Lust zum Fachsimpeln habe. „To talk shop!“ Sprach's, stand auf und ging in den Salon, wo er sich in einen riesigen Armstuhl und in Wagner-Literatur vergrub. Er ist zu komisch, will alles verstehen und ist über die verzwickten Familienverhältnisse der Götter ganz unglücklich.

Beim Tee in Bayreuth setzt sich der Prinz auch immer an einen anderen Tisch als die Prinzessin und Lady de Gray und lädt sich seine Gäste ein. Neulich hatte ich die Ehre, berufen zu werden, und noch einige hübsche Amerikanerinnen, die ungemein familiär mit ihm umgehen. Ich erzählte das in „Fantasie“, und da meinte die respektlose Gesellschaft, der Prinz erinnere überhaupt sehr an Wotan — wenn er kommt, gibt es ein wunderbares Motiv, man glaubt, er wird weiß Gott was tun, und schließlich beklagt er sich bei einem Frauenzimmer oder wird von einem anderen frech behandelt. Seitdem nennen wir ihn oft unter uns Wotan. Es ist ein „Standing joke“ geworden.

Ubermorgen ist es aus mit meinem schönen Märchentraum. Es war ein einziger, herrlicher Akkord, die Harmonie bis in die kleinsten Dinge.

Wien 1919

Der Weltkrieg ist zu Ende. Deutschland und Österreich-Ungarn sind zerschmettert, und unter denen, die über uns richten, ist Arthur Balfour. Heute dürfte er wohl wissen, wie die Hauptstadt der Tschechoslowakei heißt. Er und seine Kollegen haben oft während des Krieges den großen König Eduard VII. genannt und gesagt, daß sie in seinem Sinne arbeiten wollen. Daß der König von England die Freunde des Prinzen von Wales nicht kennt, hat uns Shakespeare gesagt. Aber es scheint auch, daß die Freunde des Königs von England vergessen, wie sie über ihn dachten, als er noch Prinz von Wales war.

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