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Ein Schiff voll Prinzen

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Am 18. März 1913 wurde König Georg von Griechenland, der wahrhaft musterhafte Herrscher, der sich vierzig Jahre lang alle Mühe gegeben hatte, sein kleines Königreich der großen Vergangenheit würdig zu gestalten, von fanatischer Mörderhand in Saloniki ermordet. In einem Lande, wo das Politisieren zum täglichen Brot der Höchsten und der Untersten gehört, ist auch der beste Herrscher — und das war König Georg gewiß — vor dem Anschlag irgendeines Fanatikers, deren es so viele in Griechenland gab und gibt, nicht sicher, und es lag eine tiefe Wahrheit in der Bemerkung König Georgs, als man ihm die Ermordung des serbischen Königspaares meldete: „C'est bien triste, mais d'etre tue c'est nötre metier“ („Es ist wohl traurig, aber getötet zu werden, gehört nun einmal zu unserem Beruf“).

Diesem Metier, das er so gewissenhaft erfüllt hatte, war nun auch König Georg selbst zum Opfer gefallen. Als ich mit meinem Dampfer von einer Reise ins Schwarze Meer am 21. März 1913 zurückkehrte, wurde mir von meinem vorgesetzten Inspektorat gleich bei der Ankunft mitgeteilt, daß ich mich unverzüglich auf dem Eildampfer „S. S. Leopolis“ einzuschiffen habe, auf dem eine große Anzahl von Kabinen für hohe und allerhöchste Herrschaften zur Fahrt nach Patras bestellt sei. Als ich die Schiffsliste dem Kommodore Badesich überreichte, war er von seiner vornehmen Fracht nicht sehr entzückt. „Das gibt viel Arbeit, Verantwortung und wenn — Dio guardi — etwas passiert, womit man doch in diesen aufgeregten Kriegszeiten immer rechnen muß, nur Undank. Aber Sie sind ja, caro Commissario, dafür da, um sich um die Gäste zu kümmern. Ich bleibe während der Fahrt auf der Brücke. Alles, was nötig, Sicherheit, reibungsloser Dienst usw., überlasse ich ganz Ihnen. Der Erste Offizier wird Sie dabei unterstützen und die nötige Mannschaft wird der Nostromo stellen. Col Dio.“

„Na, jetzt haben wir die Bescherung“, dachte ich mir und zog mich in meine Kabine zurück, um zu überlegen, was in den wenigen Tagen bis zur Ankunft und Einschiffung unserer Gäste zu veranlassen sei.

Die Schiffsliste? Nicht übel. Im Triester Hafen waren die wenigsten fällig. Die meisten sollten sich erst in Brindisi einschiffen. Der erste Passagier, der in Triest an Bord kam, war Baron Burian und sein Sekretär. Baron Burian fuhr als Sonderbeauftragter Sr. Majestät des Kaisers Franz Joseph zum Begräbnis nach Athen und war von einem Generalkonsul (der Name ist mir entfallen) als Personaladjutant begleitet. Baron Burian war ein sehr ernst und würdevoll aussehender ältlicher Herr, der in vollem Bewußtsein seiner hohen Mission sorgengebeugt stundenlang auf dem Promenadendeck umherging, drei Schritte hinter ihm sein Adjutant.

„Sie sind der Kommissär des Schiffes?“ fragte der Generalkonsul, als ich mich bei ihm meldete und mich nach den Wünschen von Exzellenz Burian erkundigte. „Momentan brauchen wir gar nichts. Nur wünscht Exzellenz nicht belästigt zu werden. Wenn Sie oder wer immer vom Schiff dienstlich etwas zu melden haben, ist mir das zu melden. Eine direkte Ansprache an Exzellenz ist nicht erlaubt. Auch wünscht Exzellenz von den Passagieren nicht irgendwie belästigt zu werden. Schließen Sie einen Teil der Deckpromenade ab, damit Exzellenz mit mir dort allein bleibt.“

Ich bot als Antwort lediglich die Schiffsliste zur Einsicht an.

„Eigentlich bin ich nicht neugierig, wer auf dem alten Kasten ist („S. S. Leopolis“ war eines unserer besten und neuesten Schiffe), aber ist vielleicht jemand unter den Passagieren, der Se. Exzellenz interessieren könnte?“ Er nahm die Schiffsliste und seine Augen wurden immer größer. „Das ist natürlich etwas anderes“, meinte er herablassend, „das muß ich Sr. Exzellenz sofort melden.“

Die Passagierliste war wirklich bemerkenswert. Sie enthielt zum großen Teil kaiserliche oder königliche Hoheiten: Prinz Waldemar von Dänemark, Prinz Aage von Dänemark, der Bruder des Königs von Schweden, Großfürst Dimitrij, Großfürstin Maria und Tochter, Prinz Bonaparte und noch so ein Dutzend Herzoge, Prinzen oder wenigstens Durchlauchte. Von den Spezialgesandten gar nicht zu reden.

In Brindisi, wo wir am nächsten Tag ankamen, ging der Sturm los. Es waren mehr Gäste da als Kabinen, und zu guter Letzt blieb Großfürst Dimitrij, der eine der Deckkabinen rechtzeitig belegen ließ, ohne Bett, da er galanterweise seine Kabine einer Dame überlassen hatte. So quartierten wir ihn in die Kabine des Ersten Offiziers ein, die am Promenadendeck lag, und mein Büro nahm den Ersten Offizier auf. Nun war Großfürst Dimitrij ein riesenlanger Herr, hager, etwa zwei Meter groß — und auf solche Größen sind Schiffskabinen nicht eingerichtet. Am ersten Tag nach der Abfahrt von Brindisi, als ich meine Runde machte, um die von mir aufgestellten Wachen zu kontrollieren, sah ich am Promenadendeck beim Fenster zwei magere Beine heraushängen. Ich hatte ganz vergessen, wer in der Kabine einquartiert war, und blieb neugierig beim offenen Fenster stehen, um des Rätsels Lösung zu finden. Da hörte ich schon aus der Kabine eine Stimme: „Kommen Sie nur herein, die Tür ist offen.“ Ich trat in die Kabine des Großfürsten Dimitrij und konnte den Anblick genießen, der nicht alltäglich war. Der Großfürst lag in dem viel zu kurzen Bett, und da er für seine Füße keinen anderen Platz gefunden hatte, ließ er sie beim Fenster, hinausbaumeln. Ich konnte ein Lächeln nicht unterdrücken, und Großfürst Dimitrij meinte belustigt: „Ja, unsere Familie ist etwas zu lang ausgefallen. Da sollten Sie erst meinen Bruder sehen — der ist noch um einen Kopf größer als ich und dabei um sechs Kilogramm leichter.“

Als Se. Kaiserliche Hoheit erfuhr, daß ich aus Wien sei, wurde er ordentlich warm: „Wien ist außer Paris die schönste Stadt der Welt. Ich fühle mich in Wien sogar besser als in Paris. Wien ist mehr konservativ und gesetzter. Unsere ganze Familie ist mit Wien verrückt...“ Mit dieser Liebeserklärung blieb er nicht allein. Mit Ausnahme des Prinzen Bonaparte, der allein Brüssel gelten ließ, waren alle kaiserlichen und königlichen Hoheiten leidenschaftliche Freunde Wiens.

Am zweiten Tag unserer Fahrt saß ich im Rauchsalon mit der ganzen Korona der Hoheiten und sprach dem guten Pilsener Exportbier zu, als die Gestalt Baron Burians auf seinem unermüdlichen Spaziergang wiederholt beim Fenster vorbeihuschte, von seinem getreuen Adjutanten, dem Generalkonsul, in respektvoller Distanz gefolgt.

„Wer ist eigentlich dieser chinesische Kaiser?“ fragte mich unter dem Gelächter der anderen Prinz Waldemar, auf den tiefen Ernst des Gesichtsausdruckes des kaiserlichen Spezialgesandten hinweisend. Nebenbei gesagt war das Benehmen Baron Burians, den Zweck der Reise in Betracht gezogen, der Trauer viel entsprechender als die ausgelassene Heiterkeit- der hohen Reisegesellschaft, die von Trauer nicht sehr viel zur Schau trug.

„Das ist der Vertreter Se. Majestät des Kaisers Franz Joseph“, gab ich dem Prinzen zur Antwort, worauf er sich sofort entschuldigte und meinte: „Das war ja nur ein dummer Spaß. Sie brauchen ihn nicht ernst zu nehmen.“

Gerade in dieser Minute erschien der Schiffssteward und bat mich, hinauszukommen, um eine dienstliche Angelegenheit zu erledigen.

Kaum trat ich auf das Promenadendeck, als der Generalkonsul auf mich zutrat, sich sehr entschuldigte, daß er mich in meiner Unterhaltung mit meinen Gästen stören müsse, mich vertraulich unter dem Arm nahm und stotternd und sehr aufgeregt die Bitte zum Ausdruck brachte: Se. Exzellenz befinde sich am Schiff in einer äußerst schwierigen Lage. Er sei Spezial-gesandter Se. Kaiserlichen und Königlichen Majestät und müßte die allerhöchsten Herrschaften eigentlich kennen. Nun sei jedoch auf dem Schiff niemand, der als Chef des Protokolls diese Aufgabe erfüllen könnte, und so bitte mich Se. Exzellenz, ihn aufzusuchen, um aus dieser schwierigen Lage einen Ausweg zu finden.

Se. Exzellenz saß auf einem Bordstuhl unter der Navigationsbrücke und seine Gesichtszüge waren von noch schwereren Sorgenfalten durchfurcht als sonst. Als er mich mit dem Generalkonsul kommen sah, eilte er mir einige Schritte mit weit ausgestreckten Armen entgegen.

„Danke, daß Sie gekommen sind und sich von Ihrer Gesellschaft meinetwegen losgerissen haben. Ich hätte Sie nicht gestört, schon weil ich sehe, wie die allerhöchsten Herrschaften sich in Ihrer Gesellschaft wohlfühlen, aber ich habe eine höchst wichtige Frage mit Ihnen zu besprechen und hoffe, daß Sie versuchen werden, mich aus meiner außerordentlich schwierigen Situation zu befreien Ich kenne niemanden von den an Bord versammelten kaiserlichen und königlichen Hoheiten. Wie soll man das machen, daß ich den Herrschaften in aller Form vorgestellt werde? Können Sie mir einen Rat geben, Sie scheinen ja mit den Hofsitten an Bord vertraut zu sein?“

„Aber, Exzellenz, nichts leichter als das. Ich gehe sofort zurück ins Rauchzimmer, wo mich die Herrschaften ohnehin erwarten, und werde vor allem den Prinzen Waldemar, mit dem ich mich am besten stehe, bitten, die Vorstellung im Rauchsalon vornehmen zu dürfen.“

Exzellenz Burian schien ein Stein vom Herzen zu fallen. „Ich wäre Ihnen auf ewig dankbar, wenn Sie mir da behilflich sein könnten.“

Ich verschwand im Rauchsalon und wendete mich mit meiner Bitte an den so liebenswürdigen Prinzen Waldemar von Dänemark, als den Aeltesten der Gesellschaft, den „chinesischen Kaiser“ vorstellen zu dürfen. Natürlich erhielt ich sofort die Zustimmung aller, nur meinte Prinz Waldemar: „Der .chinesische Kaiser' bleibt aber unser Geheimnis.“

Was nun folgte war höchst einfach. Ich verkündete drei Schritte vor den großen, zusammengeschobenen Tischen, wo die Gäste saßen, daß ich um die Erlaubnis bitte, den Gesandten Sr Kaiserlichen und Königlichen Apostolischen Majestät Kaiser Franz Joseph I., Baron Burian, den allerhöchsten Herrschaften vorzustellen, und nachdem die zahlreichen Händedrücke ausgetauscht waren, lud der Aelteste, Prinz Waldemar, Baron Burian ein, bei ihnen Platz zu nehmen. Man tauschte die üblichen Höflichkeitsfloskeln aus und die Situation war gerettet.

Als wir in Patras ankamen, wo uns unsere hohen Gäste verließen, um die Reise mit dem bereitstehenden Sonderzug fortzusetzen, verabschiedete sich Baron Burian mit Rührung von mir und forderte mich auf, wann immer ich etwas benötige, mich an ihn zu wenden. „Sie haben mir in einer sehr peinlichen Lage geholfen, und das mit Geschick und Takt. Ich danke Ihnen nochmals.“

Auch sonst war der Abschied von den Hoheiten sehr herzlich Großfürst Dimitrij, dessen gute Zigaretten ich besonders gerne rauchte, fragte mich zum Abschied, ob ich viel auf Orden gebe. „Nein. Kaiserliche Hoheit“, antwortete ich ihm wahrheitsgemäß. — „Nun, dann werde ich Ihnen ein großes Rauchpaket von diesen Zigaretten der kaiserlichen Tabakpflanzungen in der Krim durch die Wiener Botschaft übermitteln.“ — Ich bedankte mich er-gebenst, doch die Zigaretten habe ich nie erhalten. Wahrscheinlich haben sie sich am Weg von Livadia nach Wien irgendwo verirrt, wie das ja im Osten Europas so oft vorgekommen ist.

Als unser Schiff nach Patras sein normales Aussehen wiederbekommen hatte, war ich ehrlich froh. Am zweiten Tag unserer Reise, als ich mit zwei Matrosen meinen Abendrundgang machte hatten wir nämlich am Bootsdeck einen Reisenden der dritten Klasse entdeckt, der irgendwie, trotz Absperrung, sich in die erste Klasse hineingeschmuggelt hatte. Die Verständigung mit dem Mann war unmöglich, denn er sprach nur seine kaukasische Sprache. Ich ließ ihn untersuchen und fand in seiner Tasche zwei Neunmillimeter-Mauserpistolen. Ohne Aufsehen ließ ich den Mann in einen Raum am Bug des Schiffes festsetzen und ließ ihn erst wieder aus, als wir Patras am Abend verließen. Ob der Mann etwas Böses plante oder nicht, konnte ich nicht feststellen. In Konstantinopel verließ er unseren Dampfer, und ich war heilfroh, weiter keine Scherereien zu haben.

Gehört habe ich von den hohen Herrschaften mit Ausnahme von Prinz Aage von Dänemark nichts mehr. Er allein schrieb mir in Erinnerung der vielen Glas Whisky, die er in meiner Kabine zum Leidweisen seines Adjutanten, eines rothaarigen englischen Kapitäns, leerte, noch zwei Ansichtskarten. Eine aus Kopenhagen und eine aus London. Lieb und menschlich, wie die ganze dänische Königsfamilie war. Als er mehrere Jahre später — ich glaube eine italienische Aristokratin — heiratete, schied er aus der Familie als königlicher Prinz und diente viele Jahre lang in der französischen Fremdenlegion als gewöhnlicher Tnfanterieoffizier. Er starb in jungen Jahren, wohl infolge des schweren Dienstes, den sein Körper nicht vertrug. Ich habe ihn und die anderen, von denen, soweit ich weiß, keiner mehr lebt (Großfürst Dimitrij wurde von den Revolutionären ermordet), im besten Angedenken. Bescheideneren, rücksichtsvolleren, höflicheren Passagieren konnte ich kaum mehr noch begegnen.

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