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RANDBEMERKUNGEN ZUR WOCHE

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KOMMUNALPOLITIK IM VORDERGRUND: ODER: DIE LIESE ZUR STRASSENBAHN. Während auf Bundesebene der saisonbedingte Sommerfrieden herrscht, macht die Wiener Kommunalpolitik in diesem Jahre keine Ferien. Im Gegenteil: hier geht es recht hitzig zu. Der durch Jahre schon andauernde „kalte Krieg” um die Wiener Straßenbahn trat unvermutet in eine neue Phase. Die finanzielle Situation der Wiener Verkehrsbetriebe ist unhaltbar geworden. Wie immer in solchen und ähnlichen Fällen erhebt sich der Ruf „Es muß was g’schehen!” Darüber sind sich alle einig. Ueber das „was” allerdings gehen die Meinungen weit auseinander. Die Rathausmehrheit macht sich die Sache etwas leicht. „Hinauf mit den Fahrpreisen — und zwar ordentlich!” „Kostendeckende Preise!” Diese Forderungen würden von einem „kapitalistischen Privatunfernehmen nicht überraschen. Aber einem eben zur Verhinderung von Preisexzessen vor über einem einem halben Jahrhundert kommunalisierten Betrieb stehen sie schlecht an. Dennoch: War alle einschlägigen Veröffentlichungen von sozialistischer Seite aufmerksam liest, wird merken, daß man hier sehr vorsichtig, aber konsequent auf dieses Ziel lossfeuert. Weniger bemittelte Staatsbürger denken daher, sich um ein Auto umzusehen. Die Fraktion der Volkspartei im Wiener Rathaus legte dagegen ihren „Generalplan” vor. Mag dieser auch nicht ein Patentrezept für die Heilung aller finanziellen Nöte geben — dennoch eröffnet er Perspektiven für eine weitschauende Gemeindepolitik. Die Aufnahme durch die Rathausmehrheit war zwiespältig. Man versprach zwar eine Prüfung durch objektive Fachleute — diese ist inzwischen angelaufen —, zeigte ansonsfęn jedoch wenig Geneigtheit, auf die Argumente des Gesprächspartners auch nur einzugehen. Hinter all den vordergründigen Kämpfen und Scharmützel, den offenen oder heimlichen Bemühungen, sich gegenseitig den „schwarzen” — in diesem Fall korrekter — den „roten Peter” zuzustecken, steckt noch etwas anderes: ein eigenartiger „sozialistischer Konservatismus” unserer sozialistischen Rafhausmehrheit. Er äußert sich neben dem, wahrlich nicht in die Zukunft weisenden Stil der meisten unserer Gemeindebauten in einem zähen Festhalten an der Straßenbahn als Verkehrsmittel der Zukunft. Deswegen werden weiterhin schwere Großraum- friebwagen um teueres Geld angeschafft — „Er darf nicht stehenbleiben”, beschwört beinahe sentimental die letzte Ausgabe der sozialistischen Hauszeitung —, statt daß man daran denkt, allmählich gewisse Linien auf Aufobus- , betrieb umzustellen. Von einer ernsthaften’ Diskussion der U-Bahn-Pläne ganz zu schweigen. „Die hätte sollen der Lueger bauen”,’ ist das neueste, nicht gerade überzeugende Argument. So wird in Wien möglicherweise das Verkehrshindernis Straßenbahn nicht nur uns, sondern auch unseren Kindern und Kindeskindern bis ins 21. Jahrhundert erhalten bleiben. In zwanzig oder dreißig Jahren bestimmt eine verkehrs- fechnische Kuriosität, die die Fremden genau so anzuziehen versteht wie heute die „feuriger Elias” genannte Salzkammerguflokalbahn. Denn die von Lueger vor einem halben Jahrhundert in Dienst gestellten Wagen laufen zum Teil noch heute. Und erst die funkelnagelneuen Großtriebwagen! Schönp Aussichten.

DER ZUG NACH DEM SÜDEN. Wenn die Zeichen und bestimmte Zeitungsmeldungen nicht trügen, dann wird Oesterreich ab nächstes Jahr in das Netz der TEE- (Transeuropaexpreß-) Züge einbezogen werden. Die „TEE-Züge” sind eine übernationale europäische Einrichtung, wobei die Niederländischen Staatsbahnen federführend auftrefen. TEE-Züge verkehren heute bereits im Dreieck Hamburg—Amsterdam—Basel. Nun wollen sie sich über die Alpen wagen, und die Oesterreichische Bundesbahn macht mit. Der Gedanke, der bei der Einführung der TEE-Züge, die mit Ersfe-Klasse-Karfen und preiswerten Aufschlägen benützt werden können, Pate stand, ist, wieder Expreßzüge einzuführen, die nicht nur dem Namen nach welche sind. Und außerdem: die immer stärkere Konkurrenz der internationalen Fluglinien verlangt rechtzeitig Gegenmaßnahmen. So wird man also vielleicht schon nächstes Jahr die Strecke Wien—Zürich in 11 Stunden zurücklegen können, und bis Innsbruck soll es gar nur noch sechs Stunden dauern. Die Kinder hören es gerne… Während also die durch den Arlberg- und Orientexpreß an sich schon ganz passable West-Osl-Verbin- dung noch eine weitere begrüßenswerfe Verbesserung erhalten soll, geht unser Blick die Geleise der Südbahn entlang. Er sieht dort das rote Schlußlicht des gemächlich durch die Landschaft bummelnden, seinen Namen als Täuschung führenden sogenannten „Oesferreich- Ifalien-Expreß”. Allein zwischen Wien und dem Semmering hält er dreimal. Im Mürz- und Murtal entfaltet er, durch oftmalige Aufenthalte bedingt, das Tempo eines gehobenen Eilzuges. Wer aber glaubt, daß es ab der Grenze besser wird, täuscht sich. Von Tarvis bis Venedig bummelt er als simpler „Direffo” (die zweiiunfersfe Klasse in der Rangordnung der italienischen Eisenbahnen). In Venedig schwingt er sich zwar zu einer „Standeserhöhung” auf. Dennoch: auch als „Direftissimo” hält er, während die schrillen Pfiffe der innerifalienischen „Rapidi” an seinen Fenstern vorbeigellen, bei jedem der offzitierten Ecksteine. Ergebnis: für die Fahrt Wien—Rom braucht man mit dem „Expreß” auch heute noch über 24 Stunden. Kundige Ifalienfahrer haben sich verschiedene „Springersysteme” erdacht, mit Hilfe derer sie die Reisezeit um drei bis vier Stunden verkürzen können. Wenn die Gepäcksträger auf den Umsteigebahnhöfen flink sind… (Die Einführung des „Venezia-Triebwagen” könnte hier den Anfang für einen schnelleren „Zug nach dem Süden machen. Den Anfang, wohlgemerkf.) Aber schauen wir nicht nur den Schienen entlang, blicken wir auch in die Luft. Auch hier dasselbe. Bis heute gibt es keine direkte Flugverbindung Wien—Rom; sondern nur einen Umweg über München oder Zürich, mit nochmaliger Zwischenlandung. Unsere Verbindung zu unserem südlichen Nachbarstaat ist also nicht die beste. Wir sprechen hier nicht von der Politik. Wir sprechen vom Verkehr. Und für diesen gibt es kein Südtirolproblem.

FLEGELEI ODER STAATSAKTION! Die Angriffe Lord Altrinchams in seiner Zeitschrift „National and British Revue” gegen das bisherige Auftreten der Königin Elizabeth II. und mehr noch gegen ihren Hof haben weif über England hinaus ein vielstimmiges Echo gefunden. Flegelei eines Eton-Boy, eines ehemaligen Gardeoffiziers? Verwegener Versuch, die Auflage seiner Zeitschrift zu erhöhen? Nun, Lord Altrincham, Mitglied der Konservativen Partei und des Oberhauses, in dem er sich weigert, seinen Sitz einzunehmen, hat schon öfter in der letzten Zeit den Anlaß benützt, sich bei seiner Partei und weifen Kreisen der Bevölkerung unpopulär und darüber hinaus bekannt zu machen: er protestierte gegen die Suezaktion, traf für die Abschaffung der Todesstrafe und des Oberhauses ein … Ein Lord mit seinem Spleen? — Vielleicht auch das. Uebersehen wir aber nicht ganz die Grundlagen seiner Person und seiner Aktion. Zur Person: Altrinchams Vater war niemand geringerer als der wohlbekannte Sir Edward Grey, Außenminister Englands am Vorabend des ersten Weltkrieges, ein Mann, der für den Frieden kämpfte und mit seltener Klarheit die Katastrophe des Krieges und die katastrophalen Folgen, gerade auch für Mitteleuropa und Oesterreich, voraussah. Zur Aktion! es gehört zu den ältesten Traditionen des Adels und zu den Vorrechten der Konservativen, allzeit die treueste und bitterste Opposition zur Krone zu bilden. Die Geschichte Englands ist zum großen Teil nichts anderes als die Geschichte dieses Kampfes des Adels mit dem Königr ü’rid’ü’m deW König. Der Kämpf der Tories um did Queen, um Königin Victoria, im 19. Jahrhundert, klang schon, bei all seiner Bitterkeit, wie ein Abgesang der großen alten Kämpfe. Naturgemäß spielen da Rivalität, Ehrgeiz, manchmal auch Geiz, herein und eine nicht geringe Rolle. Mancher Adeliger rühmt sich ja, älteren und „besseren” Geschlechts zu sein als dieses und jenes, zumal weibliche Mitglied des Königshauses. Zu dieser naturgegebenen Animosität kommt aber nun unleugbar das politische Anliegen. Dieser junge Lord hat offen ausgesprochen, was die geheime Sorge vieler Mitglieder des Commonwealth ist: die Krone, die Königin, ist das einzige Band, das die Völker und Reiche Zusammenhalt, im Bewußtsein und Gefühl der Massen, der Völker in Afrika, Uebersee, Kanada, Großbritannien. Was wird nun geschehen, so stellt, unverschämt und sorgenvoll zugleich, Altrincham die Gegenfrage: wenn die Königin ihren Charme verliert und dann immer noch die wenig ansprechenden Reden verliest, die ihr der Hof vorfabriziert hat? Offensichtlich, meint der Lord, war ihre Erziehung nicht hinreichend, und so konzentriert er seine neuen Angriffe auf die Aufgaben der Gegenwart und Zukunft: Prinz Charles soll eine moderne Erziehung erhalten, die ihn mit dem Volk und den harten Wirklichkeiten des Tages in direkte Verbindung bringt, und der Hof soll erneuert werden. Damit trifft er wieder einen empfindlichen Nerv: seit der großen Krise der Krone um die Abdankung Eduards VIII, und der öffentlichen Debatte um die Heirat der Prinzessin Margaret ist die Kritik an Hof, Hofgesellschaft und einer damit verbundenen Führungsschicht der englischen Staafskirche nicht verstummt. Es geht, man täusche sich nicht, um weif mehr als um die Person der Königin oder (und) ihres uncharmanten, oppositionellen Dieners. Soll eine letzte Distanz fallen zwischen König und Volk? Sollen gewisse undefinierbare Tabus fallen, die ihre Macht und ihren Reiz bei der Krönung und Salbung der Königin Elizabeth II. noch einmal überwältigend bekundeten? — Soll der letzte König in Europa gänzlich säkularisiert werden? (Denn die anderen Könige in Europa sind nicht mehr Könige der alten Art.) Der hier sichtbar werdende Konflikt wird also weiterschwelen und, wie es englischer Zähigkeit entspricht, wohl noch dauern, wenn das Papier der Reden der Königin und der Aufsätze ihres ungestümen Freundes längst verascht sind. Glückliches England, das solche Kämpfe erlebt! (Eine für Reaktionäre erschreckende Tatsache: das konservativste Reich Europas kennt keinen Paragraphen für Majestätsbeleidigung.)

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