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Seltsame „UNO" vor 300 Jahren

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An den großen Kampf Heinrichs IV., der mit Hilfe der Türken und im Bunde mit der „Union der evangelischen Reichsstände", die Frankreich umklammernde Macht Habsburgs brechen wollte, um spinem Lande die Vorherrschaft in Europa zu erringen, an diesen politischen Kampf knüpft sich auch der beachtenswerte Plan, der diesem König zugeschrieben wird, eine „Christliche Republik“ im Abendlande zu gründen. Ein Plan, der in unseren Tagen die Gedankengänge eines anderen Staatsmannes, Winston Churchills, beschäftigt.

Worin bestand diese Idee eines „E w i- gen Staatenbundes“, der die Bürgschaft für die Ruhe, Wohlfahrt und das Glück Europas werden sollte?

Zur Gründung einer „Christlichen Republik" erschienen dem Franzosen damals drei Dinge erforderlich: die Schwächung des Hauses Habsburg im Deutschen Reich und in Spanien, die Vertreibung der Türken nach Asien und drittens die Erneuerung des griechischen Amphiktionengerichts für ganz Europa.

Gesandtschaften jedes der Mitglieder des „Ewigen Staatenbundes" sollten eine permanente Versammlung bilden, die den allgemeinen Frieden aufrechtzuerhalten, Reibungen zu verhüten, Streitigkeiten zu schlichten, für die Verteidigung der Gren?en und für die Leitung eines Angriffs gegen einen gemeinsamen Feind Sorge zu tragen hätte. —

Um diesen christlichen Staatenbund zu bilden, waren fünfzehn „gleichmächtige“ Staaten ausersehen: sechs erbliche Königreiche, fünf Wahlmonarchien und vier Republiken. — Ein Teil der Niederlande sollte in zehn „unabhängige" Fürstentümer aufgeteilt werden und als solche die Nordostgrenze Frankreichs schützen; acht weitere als südliche Vormauer einer belgischen Republik dienen; zu den ersteren hatte Frankreich, für die letzten England das Ernennungsrecht. Ferner sollten die meisten deutschen Fürstentümer auf Kosten Österreichs vergrößert werden. Dieser „grand dessein", für den Heinrichs IV. militärische Talente und seine durch Sully reichlich fließenden Finanzquellen einen günstigen Erfolg zu versprechen schienen, soll nach dem Urteil vieler Geschichtsforscher nicht dem Kopfe des praktisch und nüchtern denkenden Bourbonenkönigs, sondern der Phantasie seines Staatskanzlers Sully entsprungen sein. Geschichtsforscher, wie Ranke, Philippson und andere, erklären, daß dieser angebliche „große Plan" nur eine „Chimäre" gewesen sei, eine Erzeugung des nach der Ermordung Heinrichs IV. (1610) von der neuen Regierung ungnädig verabschiedeten Kanzlers, der seine unfreiwillige Muße dazu benutzt hätte, Memoiren zu verfassen, um in ihnen sich und seinen König auf Kosten der neuen Regierung (Ludwigs XIII. und Richelieus) zu verherrlichen ...

Moritz Ritter glaubt nachweisen zu können, daß Sullys Memoiren (Oecono- mies Royales, erschienen 1638), soweit sie diesen französischen Völkerbundsplan behandeln, widersprechend und unvereinbar mit den damaligen Staatsverhältnissen gewesen seien. Sully behauptet nämlich, daß England, Dänemark, Schweden, Savoyen, Venedig, die Niederlande, die protestantischen Reichsstände und Schweizer Kantone, wie auch der Herzog von Bayern und die Landstände Böhmens, Mährens, Niederösterreichs, Ungarns, Schlesiens und der Lausitz, Heinrich IV. ihre tätige Beihilfe zur Verwirklichung seines großen Planes“ mittels förmlichen Allianzversprechens zugesagt hätten. Dagegen sei aus unwiderlegbaren Aktertstücken erwiesen, daß sich nur Savoyen und die „Evangelische Union" im deutschen Reich mit Frankreich verbündet hätten, wobei es sich aber nur um zwischenstaatliche und praktische Ziele, keineswegs aber um eine „Christliche Republik" gehandelt habe. Die übrigen von Sully angeführten Staaten hätten entweder gar keine Allianzverhandlungen mit der französischen Regierung geführt oder dahin zielende Angebote abgelehnt. Aber auch hiebei sei von einer „Christlichen Republik“ nicht die Rede gewesen. Dennoch —

selbst wenn der „Große Plan“ in vorliegender Form weitgehend Sullys Ausarbeitung entstammen sollte, läßt sich nicht leugnen, daß er reale Grundlagen und Beziehungen zur Politik Heinrichs IV. besitzt.

Wie schon gesagt, richtete sich Heinrichs IV. Politik allein auf die Schwächung des Hauses Habsburg im Deutschen Reich und in Spanien und in beider Interessensphären in Italien. Die Unabhängigkeitserklärung der „Vereinigten Provinzen der Niederlande“, die Spanien nach vierzigjährigem Ringen 1609 in einem zwölfjährigen Waffenstillstand anzunehmen gezwungen worden war, bildete für Frankreich das Signal, sich an Stelle Spaniens der Vormachtstellung in Europa zu versichern. Denn diese Niederlage der spanischen Großmacht gegenüber seinen niederländischen Untertanen enthüllte vor den Augen Europas die tatsächliche Schwäche dieses äußerlich so gigantischen Weltreiches. Es galt für Frankreich nun aber gleichzeitig auch das kaiserliche Habsburg im Deutschen Reich zur Ohnmacht niederzuzwingen — auf dieses Ziel hatten sich schon geraume Zeit alle diplomatischen Bemühungen der französischen Regierung konzentriert. Schon 1602, als es zu Friedensverhand- lungen zwischen Kaiser Rudolf II. und dem osmanischen Reiche kam, hatte Heinrich IV. diese zu stören vermocht, indem er dem 1603 auf den Thron gekommenen tatkräftigen Sultan Achmed I. den „guten Rat“ gab, er möge doch lieber erst mit Persien Frieden schließen und dann erst mit seiner ganzen Kraft zur Überwältigung des deutschen Kaisers zum Kampf antreten. Dieser Rat leuchtete dem Sultan auch ein — bald darauf gelang es ihm bereits, Budapest zu erobern und so die Türkengefahr bis an die Grenze Westeuropas heranzutragen. — In bezug auf die inneren Angelegenheiten im Deutschen Reich verfolgte Heinrich IV. den Plan, die evangelischen Reichsstände u einem festen, gutorganisierten Bündnis zu vereinigen, dessen Spitze sich gegen den Kaiser und das mit ihm engverbundene Spanien richten sollte. — Im Jahre 1608 war es endlich so weit, daß eine „Evangelische Union“ entstand, der die französische Regierung die kräftigste Unterstützung gegen den deutschen Kaiser versprach. Dieser Bund brachte den König auf den Gedanken, seinen Hauptangriff gegen das habsburgische Gesamthaus nach Deutschland selbst zu verlegen. — Die Ermordung Heinrichs IV. änderte alles! Waren nun, so darf man doch fragen, die „Enthüllungen“ Sullys, jene Pläne, die er als Kanzler mit seinem König geheim besprochen und verfolgt hatte, wirklich nur eine „rachsüchtige Fälschung des abgedankten Kanzlers, mit dem Zwecke, die (schwächliche) Regierung Ludwigs XIII. zu diskreditieren"? — Das geheime Büpdnis mit dem Sultan, dem Erbfeind des christlichen Abendlandes, soll für diese Auffassung sprechen. Denn, wenn der Sultan von französischer Seite geradezu aufgefordert wurde, sich Ungarns zu bemächtigen und weitergreifend auch Spaniens Interessen zu bedrohen, so wäre das — so scheint es — ein Widerspruch gegen den angeführten Artikel 2 des Planes der Gründung einer „Christlichen Republik", der die Vertreibung der Türken aus Europa beinhaltet! — Lag es aber vielleicht im Sinne der Geheimpolitik, die Heinrich IV. und Sully verfolgten, Westeuropa durch die Heraufbeschwörung der Türkengefahr zu alarmieren und reif zu machen, sich zu jener „Christlichen Republik" zusammenzuschließen, die trotz sehr schöner Reden von „Gleichgewicht und souveräner Unabhängigkeit" von Paris aus gelenkt werden sollte? Es war doch faktisch schon die Rede davon, den schwachen Kaiser Rudolf abzusetzen, um die Krone Karls des Großen dem Frankenkönig aufzusetzen — ein Anspruch, der (über Franz I. bis zu Ludwig XIV. und Napoleon) in Frankreich nicht erloschen ist. .

Aber der Mensch denkt und — die Geschichte geht andere Wege! Mit der Ermordung Heinrichs IV., mit der Thronbesteigung eines Kindes, der Günstlingswirtschaft Maria von Medičis und der Ausschaltung Sullys wurde auch der geheime Plan einer „Christlichen Republik" begraben — der Kampf um die Hegemonie in Europa setzte sich fort — zunächst in einem dreißigjährigen Weltkrieg.

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