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DER KNIENDE KAISER

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Erst der aufmerksame Beschauer der Wiener Pestsäule am Graben wird bemerken, dafj an der Vorderfront des Denkmals ein Standbild des Stifters, des Habsburgerkaisers Leopold I., angebracht ist — oder eigentlich kein Standbild, sondern ein Kniebild, denn der Kaiser kniet. Und zugleich wird sich der Beschauer erinnern, denselben Kaiser unweit davon, ebenfalls kniend, erblickt zu haben: zusammen mit Papst Innozenz XII. im großen Relief in der Stephanskirche. Von diesem Kaiser gibt es nämlich in Wien keine anderen plastischen Darstellungen als diese beiden, die ihn kniend zeigen.

Kaiser Leopold ist der Zeitgenosse all der mächtigen Könige und Landesfürsten des 17. Jahrhunderts, die, Reges und Duces zugleich, den fürstlichen Absolutismus zur höchsten Blüte brachten — des Grofjen Kurfürsten Friedrich von Brandenburg, des Königs August des Starken von Polen, vor allem aber des Königs par excellence, des Sonnenkönigs Ludwig XIV. von Frankreich. Alle diese Herrscher sind, ihrer kratischen Funktion entsprechend, keineswegs kniend, sondern zu Pferde sitzend auf die Nachwelt gekommen; Leopold allein, der mit allen Zeichen der Würde eines Barockfürsten, Prunkharnisch, Allongeperücke, Spitzenjabot und Hermelinmantel, den Degen an der Seite, dargestellt ist — nur die Krone wird von einem Engel getragen —, wollte seine besondere Auffassung vom Herrscheramt auch äußerst kundtun: daß es höchste Aufgabe des Rex ist, für sein Volk zu beten und gerade in Zeiten der Prüfung den Zusammenhang mit dem Ewigen nicht abreißen zu lassen, und dafj die Abwendung der Pest durch sein Gebet die gröfile Tat seines Herrscherlebens gewesen ist.

Dabei hätte er mit Fug und Recht ein ganz anderes Denkmal seiner Leistungen in Krieg und Frieden errichten lassen können, wie es so viele seiner Zeitgenossen getan haben; an Anlässen hätte es ihm wahrlich nicht gefehlt.

Das 1679 gelobte und im gleichen Jahre begonnene Denkmal zu Ehren der Dreifaltigkeit wurde nämlich erst 1692 vollendet; in die Zeit seiner Errichtung fällt also eine der glorreichsten Epochen österreichischer und abendländischer Geschichte überhaupt, die siegreiche Abwehr des türkischen Großangriffes auf Wien und die darauffolgende Befreiungsoffensive der Christenheit gegen den türkischen Eindringling und Eroberer. Dazu kommt noch die Abwehr französischer Angriffe gegen die Westgrenze Deutschlands, der diplomatische Erfolg der Erhaltung der römischen Kaiserkrone für das Haus Oesterreich durch die Wahl des Kaisersohnes Josef zum Römischen König gegen die Bestrebungen Ludwigs XIV. und schließlich die sehr schwierige' Befriedung Ungarns nach dem Siege über die mit der Pforte verbündete ungarische Protestantenpartei.

Von all dem ist auf dem Denkmal und seinen Inschriften nichts erwähnt; weder von Türken noch von Franzosen ist die Rede, weder von Schlachten noch von Siegen; sein Stifter wollte eben nicht als der Türkensieger, sondern nur als der betende Kaiser auf die Nachwelt kommen.

Diesen tiefgläubigen Herrscher unterscheide) ein wesentliches Merkmal von allen seinen gekrönten Zeitgenossen. Er war, übrigens ebenso wie sein großer Paladin, der Prinz Eugen von Savoyen, ursprünglich zum geistlichen Stande bestimmt gewesen, bis er, durch den unvorhergesehenen Tod seines älteren Bruders, des Römischen Königs Ferdinand IV., zum Thronerben aufrückte. Er ist der einzige Habsburger, dessen ganze Haltung von der Theologie her bestimmt war; und anders als viele Herrscher der damaligen Zeit, vor allem als sein bedeutenderer Vetter, Schwager und Gegenspieler Ludwig XIV. von Frankreich, führte er ein sittlich vorbildliches Privat- und Familienleben. Die einzige Liebhaberei, der er mit wahrer Leidenschaft oblag, war die Musik — und damit mag es vielleicht zusammenhängen, daß sein Denkmal ähnlich durchkomponiert ist wie ein großes barockes Musikstück.

Text und Bild aus dem soeben erschienenen Buch,.Die Wiener Pestsäule“ (Verlag Herold. Wien)

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