Historische Rollenspiele

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Paraden, Manöver und Volksfeste: Der Wiener Kongress zwischen Revolution und Restauration war vor allem eine Epoche der Inszenierung, Theater und Malerei gehörten dabei zum Arrangement.

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Paraden, Manöver und Volksfeste: Der Wiener Kongress zwischen Revolution und Restauration war vor allem eine Epoche der Inszenierung, Theater und Malerei gehörten dabei zum Arrangement.

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Am 21. Jänner 1815 unterbrach das Requiem für den an diesem Tag des Jahres 1793 hingerichteten König Ludwig XVI. die rauschenden Feste des "tanzenden" Wiener Kongresses. Im schwarz ausgeschlagenen Stephansdom versammelten sich Kaiser Franz mit der "sämtlichen Allerhöchsten Familie", einschließlich der Kaisertochter Marie Louise als Herzogin von Parma, alle in Wien anwesenden Monarchen und das diplomatische Corps zum Pompe funèbre. Komponist war der Haydn-Schüler Sigismund von Neukomm, den Chor dirigierte Hofkapellmeister Salieri. Der greise Erzbischof Hohenwarth zelebrierte; es war noch nicht fünf Jahre her, dass er die prokuratorische Trauung Marie Louises mit Napoleon vollzogen hatte. Den riesigen Katafalk hatte der französische Hofmaler Isabey mit Allegorien geschmückt: "Frankreich in Schmerz versunken, Europa in Thränen, die Religion mit Ludwigs XVI. Testament, die Hoffnung mit gen Himmel gewandten Augen."

Isabey war der Porträtist dieser Epoche: Marie Antoinette hatte er ebenso verewigt wie die Kongressdiplomaten, er arrangierte Napoleons Krönung 1804, war Zeichenlehrer seiner Adoptivkinder Hortense und Eugène Beauharnais und Marie Louises. Der gewiegte Diplomat Talleyrand, ehemals Bischof von Autun, Steigbügelhalter der Machtergreifung Bonapartes und Außenminister des Empire, wollte einen Schlussstrich unter das Revolutionszeitalter ziehen. Die von ihm inspirierte Predigt hielt der Pfarrer von St. Anna in französischer Sprache. Er redete von "Macht und Ruhm der 1400 Jahre alten französischen Monarchie", die er mit den Merowingern beginnen ließ, von den Zerstörungen der Revolution und rief zum Gebet für das guillotinierte Königspaar auf.

Abends gab das Burgtheater "Maria Stuart", das Leopoldstädter Theater hingegen als Premiere die Posse "Herr Schabel, Edler von Baumschabel, Senffabrikant in Krems" - Bamschabel wurde zur Bezeichnung für einen eingebildeten Dummkopf.

Reenactment der Völkerschlacht

Wiens Bürger waren durch die Unterdrückung der frühen Demokraten in den Jakobinerprozessen mit Kerker und Galgen und die polizeilich gelenkte Presse seit Jahren antirevolutionär eingestimmt. Im Wachsfigurenkabinett in der Leopoldstadt waren nicht nur Rousseau, Voltaire und Robespierre zu gruseliger Warnung ausgestellt, selbst Marat "im Badkübel" fehlte nicht. Eine Hyäne der Schönbrunner Menagerie wurde "Robatsbär" oder "Jacobinerl" gerufen. Das "optisch-mechanische Theater" zeigte 1814 hochaktuell den Brand von Moskau, die Schlacht von Leipzig, den Rheinübergang der Alliierten und ihren "Triumpheinzug in Paris" mit "mehreren 1000 beweglichen Figuren".

Die Einholung des Zaren Alexander I. und des Preußenkönigs Friedrich Wilhelm III. durch Kaiser Franz am 25. September 1814 wurde von den Akteuren der dramatischen Zeitgeschichte inszeniert: Der Handschlag der Monarchen stellte die fiktive Zusammenkunft auf dem Völkerschlachtfeld publikumswirksam nach, der gemeinsame Einritt erinnerte an den siegreichen Feldzug gegen Paris. Johann Peter Kraffts Historienbilder für das Invalidenhaus (heute Heeresgeschichtliches Museum) hielten die heroischen Szenen von Aspern und Leipzig fest.

Das Äußere Burgtor, das den Wiener Festungsring nach der Sprengung der Burgbastei 1809 wiederum schloss, wurde elf Jahre nach der Völkerschlacht als ihr Denkmal eingeweiht (1824) - mit nachhaltigen Folgen für Heldenplatz und die Gedenkstätte beider Weltkriege. Der nach der Niederlage von Wagram seines Kommandos enthobene Erzherzog Karl durfte als "Sieger von Aspern" den Gästen dieses durch die apokryphe Fahnenszene berühmte Schlachtfeld zeigen - Fernkorns Reiterstatue verewigte die heroische Pose.

Die Musealisierung der Zeitgeschichte fand ihren Höhepunkt am 18. Oktober 1814 mit der Feier des "Friedensfestes" am Jahrestag der Völkerschlacht, eine Mischung aus Parade, Manöver und Volksfest. Die Wiener Garnison rückte 14.000 Mann stark aus, die Messe las der Erzbischof, das Tedeum wurde von je hundert Kanonenschüssen gerahmt.

Die "hohen Souveraine" speisten in dem mit Trophäen, Fahnen und Lorbeerkränzen dekorierten Lusthaus im Prater, die Generäle auf der Galerie. Die Toaste der Herrscher auf Armee, Frieden und Volk wurden weitergerufen, das Fest erstreckte sich zur mit Pontonbrücken verbundenen Simmeringer Haide. Jeder Mann erhielt "eine Suppe mit Knödeln, ein Pfund Rindfleisch mit Sauce, ¾ Pfund Braten, 3 Krapfen, 3 Semmeln und ½ Maß Wein". Diese und andere Details hielt der "k.k. Obersthoflandjägermeisteramts-Secretair" Matthias Perth für die Nachwelt fest. - Abends war Ball bei Metternich, dessen Fürstentitel von Leipzig datierte.

Kontinuität des Alten Reichs

Am 9. Oktober 1814 lud Kaiser Franz die "Könige auf Ferien"(de Ligne) nach Laxenburg zum Besuch seiner "gothischen Burgveste" Franzensburg im "Rittergau" ein. Bei seiner Frankfurter Krönung 1792 als letzter Kaiser des Hl. Römischen Reiches, schon im Krieg mit dem revolutionären Frankreich, hatte der 19-jährige Metternich den Ball eröffnet, mit der schönen Prinzessin Luise von Mecklenburg, der späteren Gemahlin des Preußenkönigs.

Bau und Einrichtung der Franzensburg mit mittelalterlichen Kunstwerken und Waffen sollten die Kontinuität des Alten Reichs im österreichischen Kaisertum des Hauses Habsburg (seit 1804) bezeugen. Das Burgverlies mit dem kettenrasselnden Tempelritter zeugt noch heute von Revolutionsangst und Kerkerfantasie des "guten Kaisers Franz"; nur mit Mühe konnte die Kaiserin verhindern, dass hier die Schauerszene eines "feudalen Gerichtsverfahrens" nachgestellt wurde. Auch die Falkenbeize wurde vorgeführt; "eine unzählige Masse von wilden Schweinen, Hirschen, Hasen und Wildpret aller Art" wurde "durch die Kugeln der hohen Herrschaften niedergeschossen". Graf de La Garde, dem wir die Berichte über diese höfischen Belustigungen verdanken, besuchte auch die Kapuzinergruft, in Gesellschaft von sehr unterschiedlichen Persönlichkeiten, dem in russische Dienste getretenen Reitergeneral v. Tettenborn und dem späteren griechischen Freiheitskämpfer Alexander Ypsilanti. Dort begegnete man der skandalumwitterten Geliebten Metternichs und des Zaren, der verwitweten Fürstin Bagration. Ebenso retrospektiv war die Repräsentation der Aristokratie im aufwendigen Karussell mit Turnier in der Hofreitschule, mit üppigem Juwelenschmuck der "Ritter" und ihrer altdeutsch gekleideten Damen; hier wie in Lebenden Bildern folgte man barocker Repräsentation à la Louis XIV., Kaiser Leopold I. und Maria Theresia.

"Produkt der socialen Revolution"

Die Erinnerungskultur des Kongressjahrs war zwischen Revolution und Restauration der monarchischen Ordnung ausgespannt. Diese Ambivalenz zeigt sich in der Verdrängung des Exekutors der Ideen von 1789: Napoleon, den Metternich später ein "Produkt der socialen Revolution" nannte. Als das Leben des "Gewaltigen" (wie ihn Grillparzer im Ottokar-Drama verstand) 1821 auf St. Helena zu Ende ging, entstand der dorische Tempel im Volksgarten für Canovas Theseus im Kampf mit dem Kentauren - der ursprünglich zur Huldigung für Napoleon entstandene kolossale Marmorheros wurde zum Steinernen Gast dieser Epoche der Umwälzungen: Wir sollten uns daran erinnern, wenn wir ihm auf der Treppe des Kunsthistorischen Museums begegnen...

Beethoven, der einst die Eroica "auf Bonaparte geschrieben" hatte, wusste um diese Spannung, wenn er nunmehr "Wellingtons Sieg oder: Die Schlacht bey Vittoria" als Kriegslärm für Mälzels Automatenorchester komponierte und in seiner den Kongressmonarchen huldigenden Kantate "Der glorreiche Augenblick" "der Völker Chor und die alten Jahrhundert' verwundert empor schauen" ließ.

Europa in Wien

Der Wiener Kongress 1814/15

Belvedere.

20.2. - 21.06 2015

tägl. 10-18 Uhr, Do 10-21 Uhr

www.belvedere.at

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