"Vom Erhabenen zum Lächerlichen …“

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In Heroismus und Blamage seiner Protagonisten hinterließ das Kriegsjahr 1812 ein zwiespältiges Erbe. Napoleon hatte seinen Nimbus eingebüßt - der Weg sollte nach Waterloo (1815) führen.

Am 5. Dezember 1812, eine Woche nach dem Übergang über die Beresina, hatte Napoleon in Smorgoni die Trümmer seines ums nackte Überleben ringenden Heeres verlassen und reiste in rekordverdächtigen zwei Wochen im pelzgefütterten Schlitten nach Paris. Die berühmten Vieraugengespräche mit dem Begleiter, Großstallmeister Graf Caulaincourt, kreisten um das "Klima“ und den Hauptfeind England, mit dem es keinen Frieden geben könne und das den verhängnisvollen Feldzug gegen Russland notwendig gemacht habe. Am 10. Dezember wurde kurz in Warschau haltgemacht, wo Napoleon mit dem französischen Gesandten beim Herzogtum Warschau, Abbé de Pradt, nachmals Erzbischof von Mecheln, ein an Vorwürfen reiches Gespräch führte.

Vom Sublimen zum Ridikülen

Die Begegnung fand - Treppenwitz der Geschichte - im Hôtel d’Angleterre statt. Der Kaiser bot "in seinem prächtigen, mit grünem Samt überzogenen Pelz, mit herrlichen Goldquasten besetzt“, mit Pelzkappe und -stiefeln einen grotesken Anblick. Erregt auf- und abgehend stieß Napoleon immer wieder die Worte hervor: "Vom Erhabenen zum Lächerlichen ist nur ein Schritt.“ Dies war ein Zitat nach dem Aufklärer Jean-François Marmontel und dem Radikaldemokraten Thomas Paine, welche die Nähe des Sublimen zum Ridikülen formuliert hatten, kombiniert mit der Erinnerung an Mirabeaus Wort in der Nationalversammlung 1790, dass es nur ein Schritt vom Kapitol zum Tarpeischen Felsen sei. Auch mag Napoleon ein Bonmot Voltaires in den Sinn gekommen sein, der seinen Feinden Lächerlichkeit an den Hals gewünscht hatte.

Der Dichter Karl Immermann schrieb in seinen Memorabilien über den "Despotismus“ als den "Schatten des Riesen“. Er zitierte de Pradt mit seiner Äußerung über den "Jupiter Scapin“ und machte sich über den "Kuckuck“ der napoleonischen Adler lustig: "Das Komische aber ist der furchtbarste Feind des Furchtbaren; es zerreibt es heimlich.“ - Nur mit Mühe konnte Caulaincourt Napoleon abhalten, Maria Walewska auf ihrem Landgut einen Besuch abzustatten; Napoleon fand immerhin noch Zeit, bei der Passage durch Weimar, "Monsieur Goth“, der ihm in Erfurt 1808 die Aufwartung gemacht hatte, einen Gruß zu bestellen. Die Spannung, die Bonaparte sehr bewusst zwischen den Selbstbildern des "Petit Caporal“ und des vom Schicksal bestimmten Führers der Grande Armée und Grande Nation des Grand Empire aufgebaut hatte, kippte ins Tragikomische.

Ironie konnte Napoleon, vom Spott seiner Mitschüler angefangen, nicht vertragen. Das gelassene Lächeln Talleyrands angesichts eines Wutausbruchs - "Sie Scheiße in Seidenstrümpfen!“ - machte ihn rasend. "Wie schade, daß ein so großer Mann so schlechte Manieren hat“, bemerkte der immer noch lächelnde Fürst von Benevent. Die Widersprüche im Hofleben des Parvenus und Soldatenkaisers lagen zutage.

Der Schlusssatz des 29. Bulletins der Grande Armée vom 3. Dezember 1812, welches "das entsetzliche Unglück der Armee“ allein dem russischen Winter zuschrieb, klang wie Hohn.: "Die Gesundheit Seiner Majestät war nie besser“ - nachdem ihn im Sommer Husten und Schnupfen, Dysurie und Hämorrhoiden übel geplagt und seine militärische und politische Entscheidungsfähigkeit arg beeinträchtigt hatten.

An diesem Punkt packte Metternich Napoleon in der für den Eintritt Österreichs in die feindliche Allianz entscheidenden Besprechung in Dresden (26. Juni 1813). Der zürnende Kaiser warf seinen Hut zu Boden. Der geschmeidige Diplomat provozierte Napoleons Zynismus: "Die Franzosen können sich nicht über mich beklagen; um sie zu schonen, habe ich die Deutschen und die Polen geopfert. Ich habe in dem Feldzug von Moskau dreimal hunderttausend Mann verloren; es waren nicht mehr als 30.000 Franzosen darunter.“ Napoleon musste seinen Hut selbst aufheben; seine von Metternich vermittelte Heirat mit der "Erzherzogin von Österreich“ nannte er trotzig einen "dummen Streich“.

Als man den Kaiser in den hundert Tagen am 20. März 1815 im grauen Feldherrenmantel in die Tuilerien trug, lachte niemand; er büßte seinen Nimbus ein, als er sich auf dem "Maifeld“ in einem seltsam misslungenen Kostüm als konstitutioneller Monarch einem süffisanten Publikum präsentierte - der Weg führte nach Waterloo.

"… die Nachhut der Großen Armee“

Napoleon fand das Spiegelbild seiner Inszenierung von Grandeur und Gloire in Marschall Michel Ney, dem, gleichfalls 1769, in Saarlouis geborenen Küfersohn. Die Saarländer sprechen den Namen ihres Landsmanns noch heute deutsch aus. Die Mehrzahl der siegreichen Schlachten, an denen Ney beteiligt war, fanden auf deutschem Boden statt: von Hohenlinden (1800) über Ulm (1805, von hier datiert der Titel Herzog von Elchingen) nach Preußisch-Eylau, Friedland und Deutsch-Wagram. Im Russlandfeldzug erwarb Ney in der Schlacht von Borodino den Titel eines Fürsten von der Moskwa. Die Lethargie Napoleons in den fünf in Moskau vergeudeten Wochen - die Comédie française erhielt von hier aus ihr Statut - ließ Ney murren, ein als Feldherr tatenloser Kaiser gehöre in die Tuilerien. Auf dem Rückmarsch vermochte Ney noch mit einem Teil seines abgekämpften Korps den zugefrorenen Dnjepr bei Orscha zu überqueren; Napoleon begrüßte ihn als "den Tapfersten der Tapferen“. In einem letzten Gefecht deckte Ney, um der "Waffenehre“ willen, noch den Übergang der Garde über den Njemen. Als er in einem verdreckten Pelz, mit struppigem rotem Bart in das Offiziersquartier von Gumbinnen eintrat, wollte man ihn hinauswerfen. Ney erwiderte: "Ich habe den letzten Schuss in Kowno abgefeuert, ich bin Marschall Ney - die Nachhut der Großen Armee.“ In den Kämpfen von 1813/14 hielt Ney stand, doch war er der erste, der Napoleon von Abdankung zu sprechen wagte und sich den Bourbonen zur Verfügung stellte.

"Nach Frankreich zogen …“

Den von Elba rückkehrenden Kaiser wollte er Ludwig XVIII. "in einem eisernen Käfig“ bringen, doch aufs Neue trat er unter die Fahnen Napoleons - bis zum bitteren Ende bei Waterloo. Bei seinen zur unrechten Zeit geführten Frontalattacken auf die englischen Reihen wurden fünf Pferde unter ihm erschossen, mit abgebrochenem Säbel irrte er auf dem Schlachtfeld umher. Er weigerte sich, aus Frankreich zu fliehen. Das mit ehemaligen Kameraden besetzte Kriegsgericht erklärte sich für unzuständig, doch sprach ihn die Pairskammer, der er angehörte, des Hochverrats schuldig - am 7. Dezember 1815 kommandierte Ney selbst seine Erschießung nahe dem Palais Luxembourg - die Bourbonen rächten an ihm den Tod Ludwigs XVI. und d’Enghiens. Vergeblich hatte die Gattin bei der Tochter Ludwigs XVI. eine Audienz erbeten …

Heinrich Heines Gedicht von den in Russland gefangenen Grenadieren, unsterblich geworden in Schumanns Vertonung, gilt als Inbegriff des Napoleon-Kultes der Veteranen der Grande Armée. Doch ist auch die Aussage des großen Satirikers über den tosenden Straßenverkehr Londons mitzulesen - die Beresina als Metapher für den kapitalistischen struggle for life: "… ganz London eine Beresinabrücke, wo jeder in wahnsinniger Angst, um sein bißchen Leben zu fristen, sich durchdrängen will, wo die besten Kameraden fühllos einer über die Leiche des andern dahineilen, und Tausende, die, sterbensmatt und blutend, sich vergebens an den Planken der Brücke festklammern wollen, in die kalte Eisgrube des Todes hinabstürzen […] in der grauenhaften Hast der Liebe, des Hungers und des Hasses“.

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