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Napoleon im Exil

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Mit dem-zweiten, die Jahre t818 und 1819 umfassenden-Band der „Cahiers" des Generals Bertrand ist die Reihe der Schriften der Schicksalsgenossen Napoleons auf St. Helena nunmehr abgeschlossen. Der außerordentlichen Mühe, die kaum leserlichen Schriftzeichen und Abkürzungen zu Worten zusammenzufassen, hat sich der langjährige Direktor der Bibliotheque Marmotan in Boulogne-sur-Seine und Verfasser zahlreicher Schriften über das Erste Kaiserreich, Fleuriot de Langle, unterzogen. Nicht etwa durch einen Chiffrenschlüssel, sondern nur durch jahrelange tägliche Geduldproben und Vergleiche mit Schriften seiner Gefährten. ist das vorliegende Standardwerk aus den unleserlichen Tagebüchern hervorgegangen. Bertrands Manuskript enthält nur fallweise ein ausgeschriebenes Wort: Aus: „N. s. le mat. en cal.: ii dė. bi. se trv. un peu fat.“, entsteht unter der Hand Fleuriots: „Napoleon sort le matin en calėche: ii dėjeune bien, se trouve un peu fatigue."

Von all seinen Schicksalsgenossen hat Bertrand am wenigsten die immerwährenden Differenzen zwischen Napoleon und dem allen Bewohnern der Insel unerträglichen Gouverneur, Hudson Lowe sowie von den ebenfalls monoton wirkenden Zwistigkeiten und Eifersüchteleien innerhalb seiner eigenen Umgebung erwähnt. Das Wertvollste in den Tagebüchern sind Napoleons Gespräche, zumeist Monologe, in denen sein Genie sich in voller Entfaltung offenbart, er ohne Ueberheblichkeit von seinen Erfolgen spricht, jede kleinliche Härte gegenüber Menschen vermeidend, die sich ihm entgegenstellt, wie es auch seine im Exil in völliger Abgeklärtheit diktierten Schriften bezeugen. Schon bald nach der Ankunft Hudson Lowes hat sich Napoleon mit dem Gedanken abgefunden, daß er auf der Insel sein Leben beschließen werde. Diese Erkenntnis hat seinen Charakter zusehends gemildert, ihn Menschen und Dinge weniger streng beurteilen lassen. In der Verbannung hat er mehrmals beteuert, seine Zornanfälle seien gespielt gewesen. Es scheint dennoch, daß dies der Wahrheit nicht entspricht, sondern es zum Beispiel ein echter Temperamentsausbruch war, als er Talleyrand in Gegenwart mehrerer Würdenträger auf das Gröblichste beschimpfte, eine Szene, die ihm den bekannten Ausspruch seines Ministers einbrachte: „Wie schade, daß ein solches Genie derart schlechte Manieren zeigt."

Gleichwie Napoleon nicht erkannt hat, in welchem Maß er sich durch seinen gänzlich unangebrachten Ton von den angestammten Dynastien distanzierte, mit denen er „au pair angenommen zu werden anstrebte, hat er gleichfalls die Mentalität des Kaisers Franz nicht erfaßt. Im Zusammenhang mit dem gerade tagenden Kongreß von Aachen meinte Napoleon. wegen seiner Freilassung gäbe er sich keinen Illusionen mehr hin. „Kaiser Franz würde vorschützen, sein Schwiegersohn habe nicht naeh Wien kommen wollen. Wäre ich hingegangen, hätte man mich, wie ich glaube, gut behandelt ; . . Doch Wal soll man von Kaiser Franz denken, der vor allem nichts liebt, nicht einmal seine Tochter, die liebenswerteste Frau, und jetzt, nachdem er eine so unglückliche Ehe gestiftet, sein anderes Kind nach Brasilien schickt, um die bemitleidenswerte Gattin eines völlig unfähigen Prinzen zu werden.“ Einige Tage später kam Napoleon abermals auf Oesterreich zu sprechen: „Dort befände ich mich wegen Frau und Kind in einer mir zukommenden Stellung. Wäre ich einmal in Oesterreich, dächte ich nicht mehr daran, es zu verlassen. Räumte man mir Bewegungsfreiheit ein, würde ich weniger stören als unter Aufsicht gestellt. Denn, in der Lage, nach Wien zu kommen, würde ich ein Gut kaufen, um dort nach meinem Gutdünken zu leben.“ Zu wiederholten Malen, wie schon während des Krieges von 1809, hat er die österreichische Armee als die der französischen ebenbürtigste gepriesen. Während seines ersten Feldzuges (1796 97), „in dem die Oesterreicher sich gut geschlagen", zeigten sie sich den Franzosen gleichwertig. Ihre Armee besaß einen guten Stock von Generalstabsoffizieren und Instruktoren. „Allerdings manövrierten sie zu langsam, weshalb sie mir gegenüber den Kopf verloren … Dagegen übertrafen ihre Feldzugspläne die unseren." In seinen Augen war Erzherzog Carl „sicherlich einer der besten oder gar der beste österreichische General der letzten Zeit".

Infolge des totalen Zusammenbruchs bei Waterloo, drei Tage nach der Eröffnung der Feindseligkeiten, nach weiteren vier Tagen zur Abdankung gezwungen, zögerte Napoleon eine volle Woche in Paris, den Weg ins Exil nach den Vereinigten Staaten anzutreten. Anstatt sich den alliierten Monarchen zu ergeben, spielte er sich in völliger Verkennung der englischen Mentalität seinen erbittertsten Feinden in die Hände. Weder Kaiser Franz noch der Zar hätten ihren Gegner so kleinlich und unmenschlich behandelt wie die Regierung Englands, das Napoleon nicht verzeihen konnte, daß er ihm so lange die Stirne geboten hatte. Wie anders hat der von seinen Alliierten grundlos verdächtigte Kaiser Franz, der wohl für seinen Schwiegersohn nicht intervenieren konnte, wie naive Seelen es meinen, versucht, wenigstens das Los der Familie Bonaparte zu mildern. Wegen einiger Eigenmächtigkeiten Jeröme Bonapartes, und um den in Wien akkreditierten Diplomaten keine Angriffspunkte zu bieten, ordnete Kaiser Franz an, kein Mitglied des Hauses Bonaparte dürfe sich innerhalb eines Kreises von vier Meilen Durchmesser um Wien ankaufen und den ihnen nach ihrer Wahl bestimmten Aufenthaltsort verlassen.

So seien diese Aufzeichnungen, die zu den wichtigsten Quellen des unübersehbaren Aktenmaterials aus der napoleonischen Zeit gehören, besonders jenen Oesterreichern empfohlen, die sich trotz ehrlichem., Bestreben r.den Leistungen ihrer„.-Vorfahren, gerecht. zu werden, nicht gänzlich von der klein , deutschen Schule zu emanzipieren vermocht, haben, welche die historische Wahrheit zu propagandistischen Zwecken entstellt hat.

Jean de Bourgoing

17 UNTER EINEM DACH. Heiterer Roman aus einem Vierfamilienhaus. Von Othmar Franz Lang. Verlag J. Pfeiffer, München. 159 Seiten.

Welch ein Unterschied zwischen den Romanen des

Berliners Kurtmartin Magiera „Im Paradies 9" und des Oesterreichers O. F. Lang „17 unter einem Dach". Beide erzählen die Geschichte eines Hauses und seiner Bewohner. Aber während Magiera das Aneinandervorbeigehen, die Gleichgültigkeit der Menschen, selbst gegenüber dem Nächsten, schildert, gibt es bei Lang Anteilnahme und Hilfsbereitschaft. So verschieden seine vier Fafnilien sind, sosehr sie sich manchmal aneinander reiben, sie halten gute Nachbarschaft; und das zu erfahren, tut dem Zeitgenossen wohl, der so oft das Gegenteil erleben muß. Ueberhaupt ein ergötzliches Buch, voll von köstlichen Einfällen! Am reizendsten ist die Familie

Fiedler — immer originell, herrlich unangefochten von allen Verführungen des Wirtschaftswunders, die häufigen Geldsorgen des „akademischen Malers" mit Humor meisternd. Die liebenswerten Marotten der vier Familienmitglieder sind herzerfrischend; man .kommt aus dem vergnügten Schmunzeln nicht heraus. Und welch nachahmenswerter Grundsatz, sich nicht um Sicherheit, sondern um das Leben zu.

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