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Eine kommunistische Erfindung?

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Der Begriff einer österreichischen Nation, eines Nationalbewußtseins, das zugleich österreichisches Staatsbewußtsein ist, ist nicht bloß ein Ergebnis abstrakter Deduktionen, er war früheren österreichischen Geschlechtern bereits wohlbekannt und ist bloß im Verlaufe von etwa 80 Jahren in Vergessenheit geraten.

Josef von Sonnenfels, zweifellos ein Hauptverantwortlicher für die Fehler des Josephinismus, trug größtes Verdienst für die bleibenden Werte, die dieser gebracht hat. Das gilt auch für die Formung eines einheitlichen österreichischen Staatsund Nationalbewußtseins. Seine kurze Schrift „Uber die Liebe des Vaterlandes“ behandelte im Gegensatz zu den gelehrten Dichtern des Jahrhunderts (Denis u. a.) nicht im besonderen das Haus Österreich und dessen Staat. Es betrifft den abstrakten Begriff des Vaterlandes und sucht das Vorbild des antiken Staates nach klassischer Methode auf die Gegenwart zu verpflanzen, wie das seit der Renaissance wiederholt geschehen war. Bedeutsam in dem Büchlein Sonnenfels’ wird hier vor allem, daß es den noch vom Geiste mittelalterlicher Feudal- und Lehenstreue durchdrungenen Patriotismus durch die Liebe des Bürgers zum Vaterlande ersetzt.

österreichisch-nationale Bewegung

memden Zeit der Herrschaft des Bürgertums; denn zu den Milizen stieß nicht nur in großen Scharen das Landvolk, sondern auch das Bürgertum, Angehörige des Handels und des Gewerbes sowie der bürgerlichen Intelligenz, die sich in den österreichischen Städten im Schatten des Josephinischen Beamtenstaates als Klasse zu formen begann.

Von den literarischen Zeugnissen des österreichischen Nationalgedankens und des Gebrauches des Wortes „österreichische Nation“ in dieser Epoche sei zunächst ein in der „Wiener Zeitung“ vom 5. April 1797 veröffentlichter Aufruf an die Bevölkerung erwähnt, der auf das allgemeine Aufgebot vorbereitete. In diesem Aufruf wurden die Worte „österreichische Nation“ amtlich gebraucht. Ein treffliches Zeugnis für den österreichischen Nationalgeist

alles, wenn es nur will — rauh ist dieser Ruf und erlaubt der Stolz einer treuen, freudigen, selbstbewußten Nation, Losung unseres gemeinschaftlichen Wettkampfes Österreich und Deutschland!“ Deutschland ist für Hormayer Bundesgenosse, nicht übergeordnete Gemeinschaft.

Herder — Feind Österreichs

Auch ein durchaus auf dem Boden „gesamtdeutscher“ Geschichtsauffassung stehender Gelehrter wie Heinrich von Srbik sagte von der Landwehrbewegung der ersten Jahre de 19. Jahrhunderts in Österreich: „Landwehr und Landsturm sollte das starke Band dieser österreichischen Staatsnation sein. Der Staat sollte die Nation schaffen, nicht die Na tiem den Staat.“

Der konservative Legitimismus

Das Volksaufgebot der Napoleonischen Kriege war die erste nationale Bewegung der Österreicher zum Schutz der Heimat, „national“ übrigens auch im Sinne der In Österreich gleichfalls herandäm- bietet dann Hormayers Einleitung zum „österreichischen Plutarch“, in dem er das Leben berühmter Habsburger und sonstiger Österreicher schilderte (1807). Aus dieser Einleitung sei nur folgender Satz erwähnt: „Provinzialpatriotismus ist natürlich und löblich, aber Nationalgeist, Gefühl für das große Ganze ist noch weit löblicher; denn seiner vor allem bedarf unsere Zeit und ewig wahr, wenn auch hunderte Male wiederholt bleibt die Fabel des Menenius Agrippa.“

Noch sei aus Hormayers 1814 nach der Schlacht bei Leipzig erschienener Schrift „Österreich und Deutschland“ erwähnt: Im Zuge einer Polemik gegen die, die Opfermut im Kriege scheuen (Drückeberger und Defaitisten hat es auch damals gegeben), spricht Hormayer von der „Versündigung gegen die österreichische Nation“. Hormayers Buch „Österreich und Deutschland“ endet:

wir wollen — Österreich über

war übernational. Er griff im 19. Jahrhundert auf alte vor there- sranische Überlieferungen Österreichs zurück, freilich nicht mehr im Gewände des römischen Kaisertums, dem Franz II. entsagt hatte, auch nicht einer anderen „Universalmonarchie“, der man glücklich durch Besiegung des neuen Cäsars der Franzosen entronnen war, sondern in Gestalt einer „heiligen Allianz“, einer „Familie" gleichberechtigter christlicher Souveräne. Der Nationalismus aber paarte sich, wie Kaiser Franz ganz richtig gesehen hatte, mit der revolutionären Demokratie. Daß man in Österreich die am Ende doch siegreichen demokratischen Ideen nicht in die Form eines österreichischen Nationalismus überzuleiten verstand, sollte erst einer späteren Zeit anzurechnen sein.

Das Mißtrauen des franziszäischen Regimes war ideologisch auch nach anderer Richtung hin begründet, nämlich dem unsteten zweideutigen aufzuhalten. Die österreichische Substanz im Liberalismus war nicht stark genug, als -daß er das um die Jahrhundertwende heranreifende Nationalgefühl hätte erhalten und entfalten können. Geistig stand er im protestantischen, preußischen Norden wider das katholische, aus Gegenreformation und Restauration erstandene Österreich. Liberalismus und Bürgertum, der geistige und der soziale Träger des Nationalismus im Europa des 19. Jahrhunderts, haben so in Österreich letzten Endes versagt.

und konservatives Versagen

Der österreichische Konservativismus wiederum mußte sich als unfähig erweisen, die Idee einer österreichischen Staatsnation weiterzu-

Verschüttung

Erst in den Christlich-Sozialen, im Großösterreichertum Luegers und Geßmanns schienen neue Voraussetzungen für ein österreichisches nationales Rinascimento zu erstehen. Denn die Christlich-Sozialen reichten in die Tiefe des Volkes, und bei ihnen dämmerte zuerst die Idee einer wirklich über den Klassen stehenden Volksgemeinschaft heran. Allein die intellektuelle Tragkraft des städtischen Kleinbürgertums, des Trägers der christlich-sozialen Bewegung, war zu gering. Karl Lueger war, neben dem Erzherzog- Thonfolger Franz Ferdinand, der ein eigenartiges Gemisch von Altkonservativismus und modernem Imperialismus verkörperte, der letzte Stem am politischen Himmel Altösterreichs. In dieser Zeit schien noch eine Chance für die österreichische Staatsnation zu bestehen, als die Krone nämlich die Arbeiterklasse als deren sozialen Träger mit heranzuziehen suchte. Das allgemeine Wahlrecht vom Jahre 1907 war ein Schritt in dieser Richtung. Weit zeitgemäßer als die „historisch-politischen“ Individualitäten der Konservativen war der Gedanke der „nationalen Autonomie“, der den Sprachgemeinschaften öffentlich-rechtliche Gestalt gegeben, sie aber der Staatsnation untergeordnet hätte.

Dieser Gedanke nun fand, abgesehen von einem kleinen Häuflein von Großösterreichern, so von Aurel von Popovici, vor allem in der Sozialdemokratie, insbesondere bei Karl Renner, Nährboden. Aber die Sozialdemokratie schleppte die nationale Problematik des Liberalismus mit sich. Nach den Wahlen vom Jahre 1911 zerfiel die sozialdemokratische Partei in sprachnationale Parteien.

Das Jahr 1918 brachte den vollen und, wie es schien, endgültigen Zusammenbruch der Idee einer österreichischen Staatsnation. Die demokratischen Parteien, einschließlich der Christlich-Sozialen, von deren österreichertum nur noch enge landschaftliche Gefühle erhalten geblieben waren, und in deren Parteiprogramm vom 1. Jänner 1927 das Wort Österreich bezeichnenderweise gar nicht vorkam, gaben Österreich preis und erklärten es zum Zwangsstaat des Friedensvertrages. Erst Ignaz Seipel richtete die Fahne des österreichertums wieder auf. Er rettete das Andenken Altösterreichs: der Begriff einer österreichischen Staatsnation aber blieb ihm fremd, er vertrug sich nicht mit der dualistischen Auffassung des Problems Nation und Staat, die der gelehrte Staatsmann in seinem Werk „Nation und Staat“ vertreten hatte und in dem er noch bis zum Schluß Altösterreich vor den vermeintlichen Folgerungen des „nationalen Prinzips“ zu retten gesucht hatte. Daß die Österreicher sich noch bis tief hinein ins 19. Jahrhundert als Nation gefühlt hatten, war in Vergessenheit geraten.

Geschichtliche Wende

Erst das Jahr 1934 brachte eine geschichtliche Wendung. Die Schlacht, die damals dem nationalsozialistischen Preußen-Deutschland auf österreichischem Boden geschlagen wurde, war ideell ungleich bedeutsamer als die vaterländische Geschlossenheit der Deutschösterreicher im Jahre 1866; denn damals

Charakter der Romantik gegenüber. Tatsächlich hatte Friedrich Schlegel als das würdigste Prinzip für die Einteilung der Staaten die Sprache bezeichnet, in der er den Beweis gemeinsamer Abstammung zu erblik- ken vermeinte. Darin setzte er die Gedanken Herders fort, des Erweckens jenes eigenartigen Nationalbewußtseins in Mittel- und Osteuropa, der gerade das Unstaatliche und, soweit es sich wenigstens um den jener Zeit geschichtlich überkommenen Staat handelt, vielfach das Gegenstaatliche al Nation anerkennen wollte. Herder war neben Mazzini wohl der größte Feind Österreichs im Bereich des Geistigen. Sagt er doch in seinen „Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit“, 9. Buch: „Nichts scheint dem Zweck der Regierungen so offenbar entgegen als unnatürliche Vergrößerung der Staaten, die wilde Vermischung der Menschengattungen und Nationen unter einem Zepter.“ Ein Volk ist Herder eine „Pflanze der Natur“, der Staat eine „Maschine“, und zwar eine „brechliche“ Maschine, wenn sie aus „widersinnigen Teilen“ „zusammengeleimt“ wird. Hier tritt schon jener angebliche Gegensatz. Volk gegen Staat, Natur gegen Geschichte, Leben gegen Ordnung zutage, der seither das deutsche und slawische Denken über den Staat zerklüftet, eine Naturvergottung, die endlich im deutschen Nationalsozialismus höchste Triumphe erleben sollte.

Liberales

Im Bunde mit diesen geistigen Kräften aber trat zusehends der Liberalismus auf den Schauplatz, bei den nichtdeutschen Völkerschaften der Monarchie, immer mehr aber auch beim deutsch-österreichischen Bürgertum, das, trotz seiner Vergünstigung durch den monarchischen Absolutismus, nun zum Liberalismus hinüberschwenkte.

Österreich wurde 1848 von den Konservativen, darunter den slawischen Bauern, und den Jose- phinem gerettet, vor allem aber nach Grillparzers unvergeßlichem Zeugnis in „Feldmarschall Radetzky“ von der Armee. Grillparzers „Sie folgen, ob deutsch auch der Feld- hermruf, denn vorwärts ist ung’risch und böhmisch“ bedeutet den Vorrang des staatlichen Befehls vor „völkischen“, auf Sprachgemeinschaft ruhenden Bestrebungen.

Wenn 1866 der Liberalismus österreichisch blieb — Bismarck hatte seinen Krieg gegen die Meinung der preußischen Liberalen geführt —, so war der Verfall nach der Trennung Österreichs von Deutschland nicht tragen, obwohl er geistig ungleich tiefer verwachsen war mit dem Gedankengut des Habsburgerreiches als der Liberalismus, obwohl seine sozialen Anschauungen ihm die Erkenntnis erschlossen, daß die österreichische Frage staatsrechtlich nur auf dem Boden des Föderalismus zu lösen sei. Aber die Konservativen erfaßten nicht den dritten Stand, der damals Substrat des Nationalen war, der Nationalismus der Konservativen lag weit zurück in der Geschichte bei den Adelsnationen der ständischen Zeit, die von der Monarchie ins Mark getroffen wurden und die lediglich in Galizien und Ungarn, hier zum Teil im reichsfeindlichen Geist, politisches Eigenleben fortführten. Der Patriotismus der österreichischen Konservativen war felsenfest und überdauerte den Zusammenbruch des Reiches im Jahre 1918, aber er war und ist bei ihren Nachfahren bis heute ein Patriotismus aus dem 17. Jahrhundert, spätestens aus der theresia- nischen Zeit des 18. Jahrhunderts, aus der Zeit der patrimonialen und der patriarchalischen Monarchie.

waren Österreich und Großdeutschland in Form des Deutschen Bundes in einer Front gestanden. 1933 und 1934 aber ging der Kampf um Österreichs Unabhängigkeit oder Einschmelzung in ein unter Führung Berlins geratenes Großdeutschland.

Der Gedanke einer österreichischen Nation ist also keine Erfindung dieser Tage. Er ist Wiederkehr aus eigener Geschichte. Wenn wir uns unserer Geschichte bewußt sind, können wir wie Graf Stadion 1807 sagen: „Wir sind als Nation konstituiert.“

Nachwort

Gestatten Sie mir, noch aus der Sicht des Jahres 1966 ein kurzes Nachwort zu meinen Darlegungen, die fast drei Jahrzehnte in de'r Schublade geruht haben. Mein für März 1938 angekündigter Vortrag hatte den Titel „Die Wiederkehr der österreichischen Nation“ getragen. Den Gedanken von der Wiederkehr, dem Ricorso, hatte ich der Kulturzyklenlehre des italienischen Philosophen des 18. Jahrhunderts, Gian Battista Vico, entnommen. Dies war die Absicht meiner Bemühungen: zu zeigen, daß es sich bei der Idee einer österreichischen Nation nicht um eine neue Erfindung, sondern um eine Wiederkehr aus der eigenen österreichischen Geschichte handelt, um eine Idee, die in einem Jahrhundert des vaterländischen Verfalls verschüttet wurde.

Das Problem einer österreichischen Nation begegnet heute gewiß weit weniger Schwierigkeiten, als dies bei der vielsprachigen österreichischen Monarchie der Fall war. Aber eine Nation als soziale Trägerin des Staatsgedankens, die ihren Staat als lebenswerte Notwendigkeit empfindet, muß sein, damit dieser Staat sein unabhängiges Ich bewahre. Dies gilt auch für den österreichischen Bundesstaat und die österreichische Nation.

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